Es ist die größte Einsatztruppe im Gehirn. Sie kontrollieren ihre Umgebung, spähen jeden Gang aus und wenn sie etwas finden, schlagen sie zu. Hirnforscher nennen sie Mikroglia. Und langsam beginnt man zu verstehen, wie sie arbeiten.
Noch vor einigen Jahrzehnten traute man ihnen kaum etwas zu. Glia-Forscher fühlten sich, als müssten sie ihre Existenz rechtfertigen. Denn Mikroglia so die gängige Meinung damals – schienen nicht viel mehr als Füllmaterial im Gehirn zu sein. Die eigentlichen Superstars waren die Neuronen. Dabei machen die Nervenzellen gerade einmal zehn Prozent der Zellen im Gehirn aus. Jahre der Forschung kippen nun das Bild.
Mikroglia – wichtige Funktionen
Unser Gehirn ist auf die Mikroglia angewiesen. Denn die Blut-Hirn-Schranke hält zwar die meisten Giftstoffe, Schädlinge und Pathogene davon ab, ins Gehirn einzudringen, aber auch Immunzellen aus dem Körper werden zurück gehalten. Mikroglia übernehmen daher ihre Aufgaben. Sie schlucken Pathogene, tote Zellen und fehlgefaltete Proteine und sie helfen bei der Regeneration von Nerven und der plastischen Veränderung des Gehirns, indem sie Synapsen und Nervenzellen trimmen.
Denn im Gegensatz zu andern Gliazellen wie den Astrozyten oder den Oligodendrozyten stammen Mikroglia vom Immunsystem ab. Im Mutterleib entstehen sie aus Vorläuferzellen des Knochenmarks und sie ähneln den körpereigenen Fresszellen, den Makrophagen. Schon nach einigen Tagen wandern sie jedoch über das Blut bis ins Gehirn. An dicken Nervenfaserbündeln hangeln sie sich entlang bis sie vor allem in der Großhirnrinde ihren Platz gefunden haben. Von dort beginnen sie die Umgebung zu scannen.
Gefahr im Körper: Mikroglia werden mobil
Jede Veränderung, sei es eine Verletzung oder eindringende Krankheitserreger, jede akute oder mögliche Gefahr versetzt sie in einen Alarmzustand. Innerhalb kürzester Zeit verändern sie ihr Aussehen, ihre Genexpression und ihr Verhalten. Die Mikroglia werden mobil, eilen zur Hilfe. Sie beginnen über Botenstoffe wie dem Tumornekrosefaktor Alpha oder dem Interleucin-6 zu kommunizieren. Außerdem locken sie über sogenannte Chemokine weitere Immunzellen an und leiten sie zum Einsatzort. Fremde Antigene wie Eiweißmoleküle präsentieren sie dem Immunsystem auf ihrer Oberfläche.
Ein großer Teil ihrer Arbeit besteht jedoch darin, wie ihre makrophagische Verwandtschaft alte Zellteile zu entsorgen oder komplette Zellen zu beseitigen, weil sie die Reparatur behindern oder das Gewebe schädigen.
Wie funktionieren Mikrogliazellen?
Lange haben sich Forscher gefragt, wie Mikroglia eine verletzte Stelle im Gehirn finden. Antworten haben nun Francesca Peri, vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg und ihre Kollegen gefunden. „Angesichts der Tatsache, dass Mikroglia einiges zur Gesundheit des Gehirn beitragen, wissen wir erstaunlich wenig über sie“, sagt Peri. Mit Hilfe ihrer Studien an Zebrafischen verstehen Forscher nun ein wenig mehr.
Im Gehirn der Tiere setzen verletzte Neuronen einen Hilfeschrei in Form von Glutamat ab. Benachbarte Nervenzellen erkennen den Botenstoff und nehmen daraufhin Kalzium-Ionen auf. Währenddessen breitet sich das Glutamat aus und immer mehr Kalzium landet in den Zellen. Durch die wellenartige Aufnahme der Ionen wird ein weiteres Molekül freigesetzt, das ATP. Sobald die Signalwelle eine Mikrogliazelle erreicht, erkennt sie das ATP und verfolgt die Informationen zurück bis zu ihrem Startpunkt.
Mikroglia greift nicht nur bei Gefahr ein
Ist der Schaden übersichtlich, schützt sie die Nervenzellen, regt die Regeneration an oder puffert ein Übermaß neuronaler Erregung ab. Erst wenn eine Reparatur keinen Sinn mehr macht, fressen die Mikroglia die beschädigten Zellen einfach auf oder töten sie ab. So verhindern sie, dass sich eine Infektion ausbreitet oder der Schaden auf andere Zellen übergreift. Forscher vermuten nun, dass der Mechanismus beim Menschen ein ganz ähnlicher ist.
Doch nicht nur bei Gefahr scheinen die Mikroglia einzugreifen. Die Zellen scheinen auch dabei zu helfen, schwache Verbindungen zwischen Zellen zu kappen und so Informationswege umzugestalten. Diese Umbauarbeiten geschehen fortwährend im Gehirn und sind wichtig bei der Entwicklung wie auch beim Lernen und der Gedächtnisbildung.
Doch das Schnippeln im Gehirn könnte auch gefährlich werden. Neurologische Erkrankungen wie Autismus und Schizophrenie werden mit fehlerhaften Umbaumaßnahmen in Verbindung gebracht. Zwei Studien zeigten kürzlich, dass sich die Symptome von Mäusemodellen mit einer Zwangsstörung sowie dem Rett-Syndrom besserten, nachdem die Mikroglia entfernt wurden. Und auch bei der Nervenkrankheit Multiple Sklerose scheinen die Immunzellen eine Rolle zu spielen.
Nervenzellen könnten zu neuen Therapiemethoden führen
Diese Ergebnisse schüren die Hoffnung, über Mikroglia Krankheiten zu behandeln. Eine Studie im März diesen Jahres zeigte, dass eine Knochenmarktransplantation die Lebensspanne von Mäusen mit Rett-Syndrom verlängerte. Die Zeiten, in denen Forscher sich nur für die Nervenzellen interessieren sind jedenfalls vorbei.