Laute Geräusche, martialische Geräte, ein Hauch von Desinfektionsmittel in der Luft und Gestalten mit Mundschutz: Dieses Szenario lässt Patienten das Blut in den Adern gefrieren. Doch es gibt Mittel und Wege, erfolgreich gegenzusteuern.
Karies und Parodontitis, soweit das Auge reicht: Viele Kollegen erkennen Angstpatienten schon auf den ersten Blick. Das Thema beschränkt sich keineswegs auf zahnmedizinische Behandlungen, nicht selten haben Menschen Panik vor diagnostischen und therapeutischen Verfahren aller Art. Zwar fehlen wissenschaftliche Studien zu dem Thema. Erfahrungen zeigen, dass fünf bis 15 Prozent aller Patienten mittlere bis starken Angststörungen vor einem Praxisbesuch haben. Besonders häufig sind Dentalphobien. Darunter leidet nicht nur der Betroffene, sondern das gesamte Praxisteam.
Gestern Jäger, heute Patient
Angst ist ein wichtiger Schutzmechanismus aus grauer Vorzeit der berühmt-berüchtigten Sammler und Jäger. Fehlt die reale Bedrohung, sprechen Psychologen von einer Phobie. Diese wird schnell zur selbsterfüllenden Prognose: Patienten nehmen keine Vorsorgetermine wahr, verschieben notwendige Praxisbesuche – und schlucken im Extremfall Analgetika, anstatt zum Zahnarzt zu gehen. Mittlerweile gibt es dazu sogar wissenschaftliche Arbeiten: Die Studie „Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität und Zahnbehandlungsängste“ zeigte, dass Dentalphobien die Lebensqualität durch schlechte Mundgesundheit deutlich vermindern. Schlussendlich müssen Betroffene, sollte der Schritt gewagt werden, aufwändige, langwierige und teils schmerzhafte Behandlungen überstehen. Ihr Angstgedächtnis festigt sich – ein Teufelskreislauf. Das Thema betrifft keineswegs nur zahnmedizinische Prophylaxeleistungen: Diverse Vorsorgeangebote gegen Krebserkrankungen werden ebenfalls nur widerwillig angenommen.
Keine Marotte
Prinzipiell müssen Kollegen Angststörungen als Krankheitsbild erst nehmen. Meist sind Auslöser in der frühen Kindheit zu finden: Im Sinne lerntheoretischer Erklärungsansätze kam es nicht selten zu traumatischen Erlebnissen wie starken Schmerzen, Kontrollverlust oder auch dem Zahnarztbesuch als Erziehungsmaßnahme bei schlechter Zahnhygiene. Doch gibt es zahlreiche Mittel und Wege, zum Wohl der Patienten, aber auch zum Wohl der Praxis: Gelingt es, die Behandlung einigermaßen erträglich zu gestalten, kommen Patienten gern wieder und empfehlen den guten Service ihren Bekannten.
Sanfte Hilfen
Bei leichteren Fällen funktionieren Tricks aus der Neurologie: Im Vordergrund der Gehirnaktivität stehen immer Handlungen, auf die wir uns konzentrieren. Während einer Therapie sind das eben laute Geräte und möglicherweise Schmerzen. Um hier gegenzusteuern, haben Forscher Videobrillen entwickelt. Diese lenken ganz banal von Angst, aber auch von leichteren Schmerzen ab – mit Filmen, die über zwei Kleinstmonitore beziehungsweise Ohrstöpsel übertragen werden. Gegen das olfaktorische Angstgedächtnis wirken Düfte wie Orange oder Lavendel, was an freiwilligen Probanden durch EEG-Messungen bestätigt werden konnte. Ebenfalls wirksam: nicht hinsehen. Dass dieser banal anmutende Trick auch wirklich funktioniert, konnten Forscher am Beispiel von Spritzen belegen. Je nachdem, was Studienteilnehmer sahen – oder eben nicht sahen, reagierten sie ganz anders auf einen leichten Schmerz. Auch die Erwartungshaltung, gleich tut es weh, spielt hier eine Rolle. Für schwierigere Fälle reichen diese Methoden allein sicher nicht aus.
Weit weg statt mittendrin
Eine deutlich wirkungsvollere Alternative ist die Hypnose: Patienten nehmen im Dämmerschlaf unangenehme Behandlungen kaum noch wahr. Ihr Bewusstsein fokussiert sich nicht mehr auf zahnärztliche Eingriffe, da Sicherheit und Geborgenheit suggeriert werden. Laut Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose profitieren 80 Prozent von dieser Methode, wobei neben Angst auch Würgereiz und Schmerzempfinden positiv beeinflusst werden. Kollegen wiederum empfinden es als angenehm, ohne ständigen „Ringkampf“ ihr Gegenüber optimal versorgen zu können. Dafür müssen sie eine zwölfmonatige Ausbildung zum Hypnosezahnarzt absolvieren, auch für zahnmedizinische Fachangestellte gibt es Module. Vor dem Eingriff selbst ist eine gute Vorbereitung die halbe Miete: Neben der zahnmedizinischen Anamnese sind Patienten aufzuklären sowie psychiatrische Vorbefunde zu erheben. Menschen mit psychischen Erkrankungen wie dem Borderline-Syndrom oder bipolaren Störungen kommen nicht infrage.
Chemische Keulen
Sollten sich Patienten nicht darauf einlassen oder ist ein Notfalleingriff erforderlich, bleiben Angstlöser wie Diazepam, Lorazepam oder Midazolam – potente Pharmaka mit zahlreichen Nebenwirkungen und Suchtpotenzial. In den USA beziehungsweise in Großbritannien hat sich häufiger eine Sedierung mit Lachgas (Distickstoffmonoxid) bewährt, sogar bei der zahnmedizinischen Prophylaxe, um bei Angstpatienten eine professionelle Zahnreinigung durchzuführen. Zwischenfälle treten vergleichsweise selten auf. Das Verfahren bringt außer der Anxiolyse weitere Vorteile mit sich: Lachgas unterdrückt ebenfalls störende Schluck- oder Würgereize. Laien haben erwartungsgemäß viele Fragen – und falsche Vorstellungen, allein schon aufgrund des missverständlichen Namens dieses Anästhetikums. Deshalb macht im Vorfeld ein kurzer Beratungstermin Sinn. Am Tag des Eingriffs selbst sollte der Patient allenfalls kurz im Wartebereich bleiben müssen, um sich nicht in seine Angst hineinzusteigern. Einmal auf dem Behandlungsstuhl angekommen, wird das Lachgas-Sauerstoff-Gemisch bis zum Behandlungsende über eine Nasenmaske appliziert, Vitalparameter sowie die Tiefe der Sedierung müssen ständig überprüft werden. Im Anschluss folgen mehrere Minuten Sauerstoff, dann sollte der Patient etwa 30 Minuten in der Praxis bleiben.
Vollnarkose: nur als Ultima Ratio
Bei schweren Fällen lässt sich das Bewusstsein durch eine Allgemeinanästhesie vollständig ausschalten. An der Methode scheiden sich die Geister: Während manche Praxen Vollnarkosen als vermeintlich angenehmere Variante nicht nur Angstpatienten offerieren, bewerten andere Kollegen diesen „Holzhammer“ lediglich als Ultima Ratio, sollten diverse Alternativen versagt haben. Trotz modernster Verfahren bleiben Restrisiken in der Größenordnung von 0,05 bis 0,5 Prozent für weitgehend gesunde Menschen. Ein Todesfall im Juni ließ die kontroverse Debatte um zahnärztliche Allgemeinanästhesien wieder aufflammen.
Problem lösen, nicht verdrängen
Verfahren zur Anxiolyse sind in akuten Situationen wertvoll, beheben das zugrunde liegende seelische Problem aber nicht. Bei einer ausgeprägten Dentalphobie helfen auf lange Sicht nur Psychotherapien – zumindest bei gesetzlich Versicherten übernehmen Krankenkassen die Kosten.