Drittes Hilfspaket, Staatsbankrott oder Austritt aus der Eurozone: Zurzeit häufen sich die Hiobsbotschaften aus Griechenland. Patienten trifft es besonders hart, da weite Teile des Gesundheitssystems ebenfalls zusammenbrechen. Ein Apothekeninhaber berichtet.
Leonidas Chatziantoniou betreibt eine Apotheke in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Er weiß aus eigener Erfahrung: Nicht nur Banken sind von der Krise betroffen – auch das Gesundheitssystem steht vor dem Bankrott. Chatziantoniou ist darüber wenig überrascht, schließlich gab es schon länger Defizite bei den Leistungsträgern. Doch jetzt geriet alles außer Kontrolle: „Seit 2011 häufen sich die Schulden staatlicher Krankenkassen.“ Krankenhäuser bekommen kein Geld mehr, um Arzneimittel oder Medizinprodukte einzukaufen. Sie stehen bei Firmen mit über 1,2 Milliarden Euro in der Kreide.
Todesstoß durch die Troika
Dass die „Troika“ aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank einen strikten Sparkurs verordnet, ist nachvollziehbar. Beispielsweise wurde das Gesundheitssystem zum Moloch aus staatlichen Einrichtungen, also Klinken beziehungsweise Praxen der Krankenkassen, privatärztlicher Versorgung sowie Apothekern und Ärzten mit Einzelverträgen. Auch hat der Staat Sozialbeiträge seit 40 Jahren nicht mehr angepasst – aus politischen Gründen. Dass es über Dekaden keine Reformen gegeben hat, rächt sich jetzt bitter: Seit Beginn der Krise gingen mehr als 30.000 Arbeitsplätze im Gesundheitssektor verloren, was eine flächendeckende Versorgung mehr und mehr gefährdet. Jetzt sollen Reformen über Nacht laufen, ein Ding der Unmöglichkeit. Wo die von „Troika“-Mitgliedern proklamierten „guten Fortschritte bei den Reformen im Gesundheitsbereich“ sein mögen, erschließt sich vor Ort den wenigsten. Nach wie vor dominiert ein starker Staat das gesamte Konstrukt, und Verhandlungen zwischen Organen der Selbstverwaltung existieren praktisch nicht. Das bekommen Patienten bitter zu spüren.
Apotheken ausgeblutet
„Wegen offener erstatteter Rechnungen der staatlichen Krankenkassen sind Apotheken nicht mehr in der Lage, die erhebliche finanzielle Last zu tragen“, sagt Chatziantoniou. Ohne Barzahlung gibt es mancherorts keine Medikamente mehr, und bei hochpreisigen Arzneimitteln müssen Patienten vorher im Bekanntenkreis sammeln gehen. Mit einer Quittung geht es dann zu Krankenkassen, und nach geraumer Wartezeit erstatten diese entsprechende Auslagen. Wie lange noch, ist fraglich, die größte Institution EOPYY hat gegenwärtig mehr Verpflichtungen als Rücklagen. Dahinter steckt wieder einmal eine übermächtige Verwaltung. „Das Ausmaß der Bürokratie ist so groß, daß eine repräsentative, vollständige Kontrolle der Kassenrezepte nicht mehr möglich ist“, sagt Leonidas Chatziantoniou. „Apotheken können nicht noch zusätzlich Aufgaben der staatlichen Krankenkassen übernehmen und praktisch den Staat finanzieren.“ Immer mehr Kollegen geraten in Existenznot.
Physische und psychische Folgen
Besonders schlimm: Ein überschuldeter Apotheker tötete sich selbst auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament. Aus Sicht von Wissenschaftlern leider kein Einzelfall. Bereits 2010 wies David Stuckler von der Oxford University zusammen mit Kollegen steigende Suizidraten nach, sollten Krisenstaaten weniger als 70 US-Dollar pro Kopf in Maßnahmen zur Ankurbelung ihrer Konjunktur stecken. Speziell in Griechenland schnellte die Selbstmordrate in den letzten fünf Jahren um 100 Prozent nach oben. Zu den seelischen Folgen kommen weitere Risiken: Zu befürchten ist auch, dass vermehrt Infektionskrankheiten auftreten. Können sich immer weniger Patienten eine adäquate Therapie leisten oder setzen Antibiotika beispielsweise nur bis zum Abklingen der Symptome ein, ist mit der Ausbreitung resistenter Keime zu rechnen. Bereits heute können viele Griechen gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlungen zwischen zehn und 25 Prozent nicht mehr aufbringen. Apotheken wiederum haben Schwierigkeiten, manche Präparate zu bestellen, da sich immer mehr Firmen aus dem Land zurückziehen.
Die Firmen gehen von Bord
Griechenland exportiert fast alle Medikamente, Generika spielen nur eine untergeordnete Rolle. Bei Firmen gilt der Staat als vergleichsweise kleiner Markt, für Konzerne ist der Rückzug damit kaum eine Randnotiz wert. Jetzt hat Biotest, Hersteller von Plasmaprodukten und Biotherapeutika, Konsequenzen gezogen: Seit Anfang Juli exportiert die Firma keine Produkte mehr nach Griechenland. „Wir haben noch sieben Millionen Euro Forderungen aus dem Geschäft im vergangenen Jahr in den Büchern“, so Dr. Michael Ramroth, Vorstand Finanzen und Zentrale Dienste bei Biotest. Im April habe man dem griechischen Gesundheitsministerium übermittelt, sich innerhalb von drei Monaten aus dem Markt zurückzuziehen, sollten Zahlungen ausbleiben. Einheimische reagieren mit Unverständnis. Chatziantoniou kritisiert, internationale Pharmakonzerne könnten nicht nachvollziehen, sich in einem Land betätigten, das sich in einer ökonomischen Rezession befinde. Mehr Verantwortungsbewusstsein zeigt unter anderem Boehringer Ingelheim. Andreas Barner, Sprecher der Unternehmensleitung, stellte klar, man werde die Patientenversorgung nicht unterbrechen. Boehringer ist nach eigenen Angaben das einzige Pharmaunternehmen, das in Griechenland produziert und Arzneimittel ausführt – und immerhin 0,5 Prozent zur Gesamt-Exportbilanz des Krisenstaats beiträgt. Allerdings müssen auch hier Rechnungen beglichen werden.
Notruf der Apothekerschaft
Griechische Apothekerverbände haben einen Brief an den EU-Finanzexperten Horst Reichenbach geschrieben, allein für Arzneimittel und Medikamente wären dem Schreiben zufolge mindestens 1,5 Milliarden Euro dringend notwendig. Mittlerweile hat sich der Europäische Pharmaverband EFPIA zu Wort gemeldet. Dessen Chef Richard Bergstrom steht in engem Kontakt mit der europäischen Kommission sowie mit der Task Force. Nach seinen Worten arbeite die Industrie an einem kurzfristig umsetzbaren Plan zur Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Erfahrung besteht durchaus: Während der Argentinien-Krise im Jahr 2002 waren entsprechende Hilfen bereits nötig gewesen. Wenig hilfreich sind allerdings Drohungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), alle Hilfen einzustellen, falls Reformprogramme nicht eingehalten werden.
Private Träger gesucht
Leonidas Chatziantoniou fühlt sich nicht nur von Firmen und europäischen Behörden im Stich gelassen, sondern auch von der neuen Regierung. Diese vertritt seiner Meinung nach nicht unbedingt griechische Interessen, sprich den Erhalt der ökonomischen Autonomie. Auch fehle manchen Politikern einfach Mut, der „Troika“ als ebenbürtiger Gesprächspartner gegenüberzutreten. Speziell für den Gesundheitsbereich sieht Chatziantoniou nur einen Weg: „Private Träger sollten jetzt die Initiative ergreifen.“