Im Vergleich zu Arzneimitteln sind Vorschriften für kosmetische Mittel in Haar- und Hautpflegeprodukten vage. Beschwerden über störende Nebeneffekte nehmen rasant zu, berichten US-Dermatologen. Trotz bekannter Risiken bleiben diese Produkte häufig auf dem Markt.
Kräftige Haare, eine porentief reine Haut oder weniger Falten: bei vielen Kosmetikprodukten werden Verbraucher mit vollmundigen Versprechen umworben. US-Wissenschaftler haben sich zwar nicht mit der Glaubwürdigkeit von Werbeaussagen befasst. Sie berichten aber, dass es immer häufiger zu unerwünschten Ereignissen durch schädliche Inhaltsstoffe kommt.
Dr. Steve Xu © Northwestern University Dr. Steve Xu, Dermatologe an der Northwestern University Feinberg School of Medicine, hat Beschwerden von Verbrauchern über Kosmetika ausgewertet. Seine Analyse umfasste den US-Markt. Viele der kritisierten Produkte sind in Europa auch verfügbar. Obwohl die Food and Drug Administration (FDA) zwischen 2004 bis 2016 mehr als 5.000 Meldungen erfasst habe, sei dies wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, so Xu. Wie er herausfand, verdoppelte sich die Zahl zwischen 2015 (706) und 2016 (1.591). Bei einem globalen Umsatz von 430 Milliarden US-Dollar pro Jahr und Millionen unterschiedlicher Produkte ist der Experte von FDA-Statistiken wenig überzeugt. Die häufigsten Beschwerden in der Datenbank betrafen Haarpflegeprodukte, Hautpflegeprodukte oder Tätowierungen. Aromatische Amine tauchten in vielen Colorationen auf. Auch Tinten, aus denen Tattoos entstehen, enthielten schädliche Farbstoffe. Zunahme der Zahl an bekannten Problemen durch Kosmetika. Die Dunkelziffer ist unbekannt. © JAMA Produkte bleiben trotz bekannter Risiken häufig auf dem Markt, was vor allem an juristischen Spitzfindigkeiten liegt. „Die FDA hat viel weniger Möglichkeiten, Kosmetika vom Markt zu nehmen als beispielsweise Arzneimittel oder Medizinprodukte zurückzurufen“, kritisiert Xu. „Es ist schwierig, schädliche Kosmetika aus den Supermarktregalen zu bekommen (...) Wenn es sich um ein Medikament gehandelt hätte, wäre die Geschichte anders gelaufen.“
Dazu ein kontrovers diskutierter Fall. Im Jahr 2014 schickten FDA-Toxikologen aufgrund von 127 Verbrauchermeldungen Schreiben an den Kosmetikhersteller Chaz Dean, Inc. und an das Direktmarketing-Unternehmen Guthy-Renker. Im Fokus standen „WEN by Chaz Dean Cleansing Conditioner“-Produkte. Erst durch ihre Recherchen erfuhren Behördenvertreter, dass beide Firmen schon 21.000 Verbraucherbeschwerden erhalten hatten. Betroffene klagten meistens über Kopfhautreizungen und Alopezie. Trotzdem blieb die Produktserie erhältlich. „Drei oder vier Menschen können sich vielleicht irren. Aber es ist schwer, 21.000 Fälle zu ignorieren“, so der Wissenschaftler. US-Gesetze geben der FDA keine Befugnis, Kosmetikhersteller zur Übermittlung von Sicherheitsdaten („safety data“) zu verpflichten. Vielmehr müssen Behördenvertreter nachweisen, dass ein bestimmtes Produkt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gesundheitsschädlich ist. Weitere Untersuchungen laufen sowohl bei der FDA als auch vor Gericht. US-Medien zufolge haben mehr als 200 Frauen aus 40 Staaten eine Sammelklage initiiert, um Haftungsansprüche des Herstellers geltend zu machen. Welche Inhaltsstoffe möglicherweise den Haarverlust herbeiführen, ist aus wissenschaftlicher Sicht unklar. In der Anklageschrift ist von „einem ätzenden Stoff“ die Rede, der Haare und Follikel zerstören.
Gefahren gehen jedoch von vielen Produktgruppen aus. Xu warnt speziell vor sogenannten Cosmeceuticals. Das sind kosmetische Produkte mit biologisch aktive Inhaltsstoffen (Pharmaceuticals). Sie wirken nicht nur in oberen Schichten, sondern passieren die Hautbarriere. Alle Wirkstoffe müssen hinsichtlich ihrer Wirkung und ihrer toxikologischen Eigenschaften gut charakterisiert sein. Die Abgrenzung zu Arzneimitteln ist trotz zahlreicher Paragraphen nicht immer klar. Steht etwa bei Dexpanthenol eher die Wundheilung oder die Hautpflege an sich im Vordergrund? Das zeigt sich auch anhand weiterer Moleküle in Cosmeceuticals. Einige Beispiel aus einer schier unüberblickbaren Vielfalt:
Fazit von Dr. Steve Xu: „Obwohl in der Veröffentlichung nicht explizit untersucht, wird diese kosmetische Produktklasse in den USA zu einem wachsenden Problem."
Ähnliche Schwierigkeiten treten in Europa auf. Die EU-Kosmetikverordnung steckt lediglich einen groben Rahmen ab. „Kosmetische Mittel sind nicht zulassungspflichtig“, heißt es vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Risikobewertung (BfArM). „Zugelassen werden müssen nur bestimmte Inhalts- und Zusatzstoffe wie Konservierungsstoffe, Farbstoffe oder UV-Filter.“ Ansonsten sind Hersteller in der Pflicht, für unbedenkliche Produkte zu sorgen. Bei der Auswahl von Wirkstoffen bieten Negativ-, Positivlisten und Listen mit eingeschränkt anwendbaren Substanzen eine Hilfestellung. Die endgültige Zusammensetzung ist für Toxikologen über das „Cosmetic Products Notification“-Portal (CPNP) zugänglich. Meldungen ernster unerwünschter Wirkungen nimmt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit entgegen, aber nur von Heilberuflern oder Firmen.