Eine experimentelle Gentherapie für Patienten mit dem Wiskott-Aldrich-Syndrom endete für drei Kinder tödlich, sie erkrankten an Leukämie. Jetzt hat eine Kommission der Universität München den Arzt entlastet. Das grundlegende Dilemma bei experimentellen Ansätzen bleibt.
Beim Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS) handelt es sich um eine seltene X-chromosomal rezessiv vererbte Erkrankung mit Mutationen im so genannten Wiskott-Aldrich-Syndrom-Gen. Lediglich einer von 100.000 bis 250.000 lebend geborenen Jungen leidet am WAS. Aufgrund von Defekten im Erbgut entstehen nicht funktionsfähige WAS-Proteine. Sie können die Polymerisation von Aktin in hämatopoetischen Zellen des Knochenmarks nicht mehr regulieren. In der Folge kommt es zu Problemen bei der Bildung von Thrombozyten und letztlich zu Thrombozytopenien.
Bei Neugeborenen treten deshalb petechiale Blutungen und typische Ekzeme auf. Später kommen intrakranielle oder gastrointestinale Blutungen mit hinzu. Bereits zu Beginn des Lebens funktioniert die humorale Immunreaktion nicht richtig. Später wird auch die zelluläre Immunantwort in Mitleidenschaft gezogen. Es kommt zu schweren, rezidivierenden Infektionen unterschiedlichen Ursprungs, beispielsweise Pneumonitiden, Meningitiden und Otitiden. Betroffene Kinder leiden mitunter auch an Autoimmunerkrankungen, etwa Arthritiden, hämolytischen Anämien oder Vaskulitiden. Hinzu kommen maligne Tumoren, meist EBV-assoziierte hochmaligne Non-Hodgkin-Lymphome. Angesichts dieser Krankheiten überrascht es kaum, dass die Patienten, je nach klinischer Manifestation, oft den 20. Geburtstag nicht erleben. Eine ältere Studie nennt 14,5 Jahre als durchschnittliche Lebenserwartung. Häufigste Todesursachen sind Infektionen (44 Prozent), Blutungen (23 Prozent) und maligne Erkrankungen (26 Prozent).
Bislang hatten Ärzte nur eine Möglichkeit, nämlich die frühzeitige allogene Stammzelltransplantation. Spender und Empfänger sind nicht dieselbe Person, was in der Praxis zu den bekannten Problemen führt. Nicht immer finden Ärzte gewebekompatible Spender. Deshalb hat Prof. Dr. Dr. Christoph Klein, er ist aktuell Direktor des Dr. von Haunerschen Kinderspitals in München, eine Studie zur Gentherapie initiiert. Ab 2006 nahm er zehn Kinder mit WAS in seine Studie auf. Er verwendete einen Gammaretrovirus als Vektor. Bei neun Patienten wurde die Therapie komplett durchgeführt, das WAS-Protein in ausreichender Menge exprimiert, was zum Rückgang der Symptome führte. Prinzip der Gentherapie über die direkte Gabe von Vektoren (links) und über die genetische Veränderung von Stammzellen außerhalb des Körpers (rechts) © NIH Dann vergingen mehrere Jahre, in denen die Öffentlichkeit wenig über den Verlauf der Studie erfuhr. Anfang 2014 veröffentlichten Klein und Kollegen einen weiteren Fachartikel. Sie räumten ein, mittlerweile seien sieben Studienteilnehmer an unterschiedlichen Leukämieformen erkrankt. Sie nennen eine akute myeloische Leukämie (AML), vier akute lymphatische Leukämie vom Typ T-ALL und zwei primäre T-ALL mit sekundärer AML. Ein weiterer Fall kam später noch hinzu. Drei Patienten starben. Klein erklärt dies mit der Aktivierung von Onkogenen, einem bekannten Phänomen.
In einer Reportage befasste sich das SZ-Magazin vor gut einem Jahr mit den Vorwürfen gegen Klein: „Seine Karriere verlief steil, er gilt als exzellenter Wissenschaftler mit viel Ehrgeiz. Zu viel?“, heißt es im Beitrag. Per einstweiliger Verfügung gelang es dem Wissenschaftler, strittige Punkte inhaltlich zu korrigieren. Mehrere Wissenschaftler, aber auch Familien von Patienten, stellten sich hinter Klein. Trotzdem beauftragte die Universität München ein Expertengremium mit weiteren Analysen. Beteiligt waren Professor Dr. Dr. Walter Neupert (Max Planck-Institut für Biochemie, Martinsried / Uni München), Professor Dr. Alexander Baethmann (Uni München) und Professor Dr. Udo Löhrs (Uni München). Sie zogen auch externe Fachleute hinzu. Jetzt liegt ihr Abschlussbericht vor.
Die wichtigsten Kernaussagen des Gremiums sind:
Bleibt als Fazit: „Nach eingehender Prüfung aller offenen Punkte durch die Mitglieder der Kommission sowie externer Gutachter konnte kein Anhalt gefunden werden, dass Prof. Dr. Christoph Klein ein wissenschaftliches, ärztliches, rechtliches oder ethisches Fehlverhalten vorzuwerfen sei“, heißt es im Gutachten. Ein unbefriedigendes Gefühl bleibt trotzdem: Bei lebensbedrohlichen Krankheiten wie dem WAS können Ärzte nur verlieren. Therapien mit großen Erfolgschancen gibt es nicht, und experimentelle Ansätze bleiben ein Risiko. Die Medizin entwickelt sich weiter. Aktuell hoffen Forscher, mit der CRISPR/Cas-Methode Erbkrankheiten zu besiegen – mit unklaren Folgen für Patienten. Für die pharmazeutische Industrie sind seltene Erkrankungen trotz gegenteiliger Beteuerungen eher ein Nischenmarkt.