Fast jeden Tag des Semesters kommen wir in den "Genuss" der ältesten, typischsten und vermutlich wichtigsten Form der Hochschullehre: der Vorlesung. Und nicht nur Professoren lassen sich in Klischeetypen einordnen, auch bei Vorlesungen funktioniert das ausgezeichnet, wie wir Euch nun zeigen.
Die Lehrmethode der Vorlesung stammt aus dem Mittelalter und bedeutet wortwörtlich genau das, was der Name verspricht: Das Vorlesen von Lehrmaterial an die Studenten. Zu dieser Zeit gab es noch keinen Buchdruck und die Studierenden konnten sich noch nicht selbstständig bei Amazon & Co. und in freien Webquellen mit schier unerschöpflichen Informationen eindecken. Ein bisschen was hat sich seither aber doch geändert: Häufig wird den Studenten der Lehrstoff mittels endloser Power-Point-Präsentationen vermittelt, die sprichwörtlich mittelalterliche „Vorlesung“ bekommt man allerdings in den Hörsälen des 21. Jahrhunderts leider auch noch allzu oft geboten.
Da unsere Herrn Professoren und Privatdozenten leider zumeist eine didaktisch unzureichende Ausbildung genießen (wann denn auch, zwischen Forschung und Klinik), schwankt die Nachhaltigkeit solcher Veranstaltungen beträchtlich und führt dazu, dass der ein oder andere auch mal eine Veranstaltung auslässt – die im Gegensatz zu Seminaren und Praktika ja meist ohne Anwesenheitspflicht stattfindet. Denjenigen, die brav zu jeder Vorlesung den Sessel runterklappen, wird vermutlich schon aufgefallen sein, dass es hier ganz unterschiedliche „Vorlesungs-Stilrichtungen“ gibt. Im Gespräch mit Medizinstudenten unterschiedlicher Semester haben sich folgende „Hauptgruppen“ an Vorlesungen herauskristallisiert:
Die Gute-Nacht-Geschichte - der Frontalunterricht
Der Dozent betritt den Raum, beginnt unmittelbar mit seinem Vortrag und redet bis zur letzten Minute. Dies alles leider meist ausgesprochen monoton, sodass es zusätzlich noch ein wenig schwerer fällt, bei der Sache zu bleiben. Man will es den Studierenden ja auch nicht zu leicht machen. Fragen sind hier eher nicht geduldet, es gibt schließlich ein bestimmtes Pensum an Stoff durchzuarbeiten. Klassisch jedoch hier, der Schnipser in der ersten Reihe. Wenn dieser seine Fragen nicht schon während der Vorlesung beantwortet bekommt, läuft er dem Prof eben nach Vorlesungsschluss hinterher.
Dozent: Der allwissende „Einstein“-Typ; weiß alles und lässt daran keinen Zweifel; Und: Wenn er das kann, dann können das seine Studierenden ja wohl auch. Fach: Bevorzugt Pharmakologie. Tipps: Wundert Euch nicht, wenn Ihr nicht mehr folgen könnt – das können die wenigsten. Wenn Ihr Euch umschaut, werdet Ihr vermutlich auf einigen Laptopbildschirmen Facebook oder YouTube flackern sehen; die Mehrheit schaltet hier leider ab. Schade. Wünsche: Mehr Interaktion bitte und etwas selektiertere Inhalte, die Vorlesung ist für uns Studenten und keine Präsentationsplattform für Dozenten.
Bloß nicht unaufmerksam werden - Die Bootcamp-Vorlesung
Der General am Rednerpult – er zieht seinen Stoff durch und erwartet die Mitarbeit ausnahmslos aller Studierenden – und zwar zu jeder Zeit. Er lässt gerne ein Mikrophon herumgehen und wenn er merkt, dass man gerade gedanklich in die Zwischenwelt der Wochenendplanung abdriftet, schlägt er zu: „Die Dame im roten Pulli – können sie noch einmal schnell die Symptome der Rechtsherzinsuffizienz wiederholen?“ Auch Quatschen oder ähnliches wird hier nicht geduldet. Bei Handybenutzung wird dieses gnadenlos konfisziert. Das Szenario beim Klingeln eines solchen will ich hier gar nicht erst beschreiben müssen! Im Laufe des Semesters wird der Saal immer leerer und leerer.
Dozent: Der “Dr. Cox“-Typ; er will um jeden Preis, dass seine Studenten etwas aus der Veranstaltung mitnehmen, am besten alles. Fach: Bevorzugt den chirurgischen Fächerkreis oder die Innere Medizin. Tipps: Seid immer wachsam, man weiß nie, wann er zuschlägt. Handys, Laptops & Co. am besten gleich im Rucksack lassen – die handeln einem hier nur unnötigen Ärger ein. Wünsche: Strenge ist sicherlich manchmal ok, aber Studierende sind auch nur Menschen, ein bisschen Gnade bitte!
Traumschiff Surprise - die Cyber-Vorlesung
Hier gilt genau das Gegenteil. Laptops und Handys bitte auspacken und bereitstellen. Der Dozent möchte eine digitale Zusammenarbeit. Er verteilt Links, schickt E-Mails und zelebriert auch den ein oder anderen YouTube-Clip. Manche Studenten begeistert er damit – andere schalten umso mehr ab. Naja, sie können dann zumindest ungesehen auf Facebook surfen. Dozent: Meist der lässige Kumpeltyp. Er ist der Meinung, wir sind ja alle - inklusive ihm - jung und dynamisch und müssen aus dieser digitalen Welt rausholen, was geht. Fach: Oft Anästhesie, Notfallmedizin oder Neurologie. Tipps: Mitspielen, oft sind vor allem die Links super, um nochmal für eine Prüfung zu wiederholen. Wünsche: Viele der Ideen des Dozenten sind meist wirklich interessant. Nur funktionieren diese meist zur Hälfte nicht. Filmchen von YouTube können sehr lehrreich sein, sie müssen dazu aber auch laufen. Also, bitte Inhalte möglichst vorher nochmals checken. Und außerdem: Ein wenig Nachsicht mit denjenigen unter uns, die sich im WWW nicht bewegen, wie ein Fisch im Wasser.
Vorher war ich schlauer – die Chaos-Veranstaltung
Nach einer dieser Vorlesungen fragt man sich gerne: „Was studier‘ ich eigentlich nochmal?“ Die Inhalte sind oft so unspezifisch und desorganisiert, dass sie aus zehn verschiedenen Fächern stammen könnten. Das kann entweder daran liegen, dass der Dozent so vielseitig interessiert ist und einfach leicht vom Hundertsten ins Tausendste kommt oder auch schlichtweg an mangelnder Vorbereitung. Dozent: Der leidenschaftliche Wissenschaftler á la Daniel Düsentrieb, der seinen Studierenden am liebsten in einer Stunde das Wissen des gesamten Erdballs beibringen möchte, weil einfach alles so spannend ist! Fach: Bevorzugt Biochemie, Mikrobiologie und Klinische Chemie. Tipps: Zur Prüfung am besten eine andere Grundlage verwenden als die Vorlesungen, da dort viel zu viel fachlich irrelevantes Extrawissen vermittelt wird. Das Vorlesungsmaterial kann man sich zur Ergänzung (für die Einserfragen) zum Ende nochmals anschauen. Wünsche: Bitte, bitte, ein wenig mehr Struktur. Man glaubt nicht, wie schwer es ist, seine Konzentration 90 Minuten lang aufrecht zu halten – machen sie es uns nicht noch schwerer! Trotzdem danke für die oft sehr interessanten Exkurse.
Am Nürburgring – Vorlesung auf Speed
Der Dozent ist meist der Meinung, dass er selbst wesentlich Wichtigeres zu tun hätte, als eine Vorlesung zu halten. Deshalb muss es schnell gehen. Sehr schnell. Essenzielle Informationen werden mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs ins Auditorium abgeschossen. Man weiß nicht genau, ob man lieber in Deckung geht oder doch noch versucht, den ein oder anderen Fetzen zu erhaschen. Positiv ist, dass man meist früher entlassen ist – denn es gibt schließlich andere Prioritäten.
Fach: Bevorzugt den chirurgischen Fächerkreis. Dozent: Der “Do-it-yourself”–Typ; einfach viel zu beschäftigt, sich auf Vorlesungen vorzubereiten; außerdem sind die Studenten doch selbst dafür verantwortlich, Vor- und Nachbereitung ist schließlich alles. Tipps: Hier sollte man möglichst Stenografieren können, denn alles ist wichtig. Die vermittelten Informationen geben hochgradig komprimiert das wieder, was man für Prüfungen oder das spätere Leben braucht. Bestenfalls gleich mit Stift und Block bereithalten und - wie auf Kommando - Stichwörter notieren. Wünsche: Auch wenn es manchmal nicht so wirkt: Ja, wir wollen wirklich etwas lernen. Und deshalb wünschen wir uns, dass wir etwas präsentiert bekommen, dem wir auch ohne Slow-Motion-Taste folgen können.
Schon wieder vorbei? – Der "ZUGABE!"-Effekt
Diese Veranstaltungen lieben wir. Die Studenten freuen sich schon am Vortag darauf und wissen genau, dass sie am kommenden Tag wieder etwas Spannendes erfahren werden. Meist wird hier interaktiv gearbeitet und wirklich essenzieller Stoff besprochen. Oft gibt es begleitende Skripte (ausgeteilt oder zum Download).
Dozent: Der väterliche, geduldige Typ, der seine Studierenden mit dem Stoff mitreißen und begeistern will oder der coole, junge „Alles-easy-Typ“, der sich tatsächlich traut, mit seinen Studenten Kontakt aufzunehmen. Fach: Oft Pädiatrie, HNO, Auge. Tipps: Hier muss man mitnehmen, was geht. Meist reicht für die Prüfung schon eine Wiederholung der eigenen Unterlagen aus, da der Stoff sehr strukturiert und klar vermittelt wird. Skripte und Unterlagen eignen sich meist sehr gut zur Prüfungsvorbereitung – und lassen sich auch später für das Physikum oder Examen verwenden. Also: Nicht in die Tonne damit! Wünsche: Danke an alle Dozenten, die sich für diesen Lehrstil entschieden haben. So begeistert man die Studierenden für ein Fach!
Das Ende der Vorlesung?
Sind Euch diese Arten der Lehrveranstaltungen auch bekannt? Was meint Ihr? Was könnte man verbessern, was habt Ihr für Wünsche an Eure Profs? Oder sollte man Vorlesungen vielleicht ganz aus der Lehre verbannen, weil sie nicht mehr zeitgemäß sind? In diesem Artikel wird über die Abschaffung der Lehrform „Vorlesung“ reflektiert. Ob man nun so weit gehen sollte ist die Frage, denn für die enorme Menge an Studierenden, die gerade in den großen Fächern an den Unis unterrichtet werden, könnte es schwierig werden, den Stoff in Seminaren, Praktika und anderen interaktiveren Lehrformen unterzubringen.
Realistischer und sinnvoller, als die Vorlesung an sich abzuschaffen, wäre es wohl eher, den Lehrenden ein wenig mehr didaktische Methodik nahezubringen und auch in den Vorlesungen die Möglichkeiten, auf die wir heutzutage zurückgreifen können, zu nutzen. Vorlesung bedeutet nicht, dass es verboten ist, mit den Studenten zu interagieren. Wie in allen Bereichen, sollte auch hier die Zeit nicht stillstehen und kein wortwörtliches „Vorlesen“ wie zu Mittelalterzeiten stattfinden.
Interaktion als Innovation
Innovation ist das Motto – dann gehen die Studierenden auch wieder gerne zu den Vorlesungen. Und hier heißt Innovation eben Interaktion: Denn wie eine 2011 in Science publizierte Studie beweisen konnte, fördert sie das Verständnis, das Gelernte bleibt länger hängen – und die Studierenden besuchen solche Veranstaltungen lieber. Möglichkeiten gibt es unzählige - Diskussionen, Multiple-Choice-Fragen, Quizes, Votings, Patientengespräche, E-teaching oder E-learning, Podcasts, Videocasts, Web based trainings (WBTs) zur Nachbereitung, Diskussionsforen, E-Mail-Listen, Blogs oder Chats zum Austausch. Der Einsatz digitaler Medien und des Internets kann den Lehrenden und Lernenden das Leben ungemein erleichtern und es wäre schön, würden diese Möglichkeiten gezielter und häufiger auch in Vorlesungen genutzt werden. Nur weil die Vorlesung die traditionsreichste Art und Weise der universitären Lehre ist, heißt das nicht, dass sie auch auf immer und ewig unverändert bleiben muss.
Wissenswertes rund um Vorlesungen: