Laut WHO zählt Osteoporose zu den zehn wichtigsten Erkrankungen unserer Zeit. Forscher suchen nach effizienten Therapiemöglichkeiten und altehrwürdige Wirkstoffe geraten ins Visier der Wissenschaft – mit teils unerwartetem Ergebnis.
Erschreckende Zahlen: Laut Deutschem Orthopäden-Verband leiden mehr als 25 Prozent aller Frauen nach der Menopause an Osteoporose. Auf das Konto dieser Krankheit gehen Jahr für Jahr schätzungsweise 300.000 Knochenbrüche, darunter 100.000 der gefürchteten Schenkelhalsfrakturen. Vor allem ältere Patienten sind gefährdet, ihre Mobilität zu verlieren und auf Pflege angewiesen zu sein. Durch rechtzeitige Intervention können Kollegen aber wirkungsvoll gegensteuern. Mehr und mehr rücken auch Männer in den Fokus der Forschung. Sein Problem – ihr Problem Ein Kritikpunkt lautet, viele Arbeiten würden sich zu sehr auf postmenopausale Frauen konzentrieren. Jetzt rückt auch das vermeintlich starke Geschlecht in den Fokus: Kathleen Mulligan von der University of California, San Francisco, untersuchte Männer, die bereits in jungen Jahren mit HIV infiziert worden waren. Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten diese in der Hüfte eine um bis zu acht Prozent geringere Knochendichte, und in der Wirbelsäule war dieser Wert um bis zu vier Prozent verringert. Bei Studienteilnehmern, die antiretroviral behandelt wurden, verschlechterten sich laut Mulligan die Werte nochmals deutlich. Neben einer möglichst ausgewogenen Ernährung rät die Forscherin deshalb, bei entsprechenden Risikogruppen unbedingt die Knochendichte zu bestimmen. Aber auch ältere, scheinbar gesunde Männer sind betroffen. Bei ihnen sinkt der Hormonspiegel zwar deutlich langsamer – im hohen Lebensalter bleiben die Folgen trotzdem nicht aus. Angesichts steigender Zahlen an männlichen Patienten denkt die Arzneimittelindustrie mittlerweile um: In neuen Studien werden meist Patienten beiderlei Geschlechts aufgenommen. Auch haben Pharmakologen der European Medicines Agency empfohlen, die Zulassung von Strontiumranelat auf Männer mit Frakturrisiko zu erweitern. Wünschenswert wäre jedoch, die Krankheit früher als bisher nachweisen zu können. Galaktischer Knochenschwund Forscher der US-Weltraumorganisation NASA entwickelten einen Test, der Patienten künftig Knochendichtemessungen zumindest teilweise ersparen könnte. Um einen Knochenabbau zu simulieren, mussten Probanden das Bett hüten. Bereits nach 30 Tagen trat eine Veränderung ihrer natürlichen Kalzium-Isotopenverteilung im Urin auf – weit bevor jegliche Röntgendiagnostik Befunde liefert. „Kalziumisotope können verwendet werden, um Netto-Veränderungen der Knochenmasse zu quantifizieren“, so die NASA-Wissenschaftler. Während der Studie beobachteten sie einen durchschnittlichen Verlust von 0,62 Prozent der Knochensubstanz. Vielversprechender Antikörper Auch die Therapie macht Fortschritte: Amgen und UCB sind mit ihrem humanisierten, monoklonalen Antikörper CDP7851/AMG 785 fast in der Zielgeraden angekommen. Das innovative Biological bindet Sclerostin, ein körpereigenes Protein mit negativem Einfluss auf die Knochenbildung. Im nächsten Schritt sind randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Parallelgruppenstudien mit 5.000 Osteoporose-Patientinnen vorgesehen, Daten sollen bis Ende 2015 vorliegen. Primärer Endpunkt ist die Inzidenz neuer vertebraler Frakturen nach zwölf Monaten. Weitere Arbeitsgruppen nehmen in der Zwischenzeit altbekannte Pharmaka unter die Lupe. Erst die Dosis macht den Arzneistoff Immer noch steht Vitamin D vor allem bei Patienten hoch im Kurs, trotz zweifelhafter Datenlage: Manche Arbeiten zeigen einen möglichen Nutzen, andere widerlegen diesen. Eine Metaanalyse der Cochrane Collaboration aus dem Jahr 2009 zeigte wenig befriedigende Resultate. Vitamin D allein sei nicht in der Lage, das Frakturrisiko zu verringern, so das Fazit. Nur bei gebrechlichen, älteren Menschen fanden die Autoren Hinweise, dass unter Vitamin D plus Kalzium weniger Hüftfrakturen auftreten. Jetzt kommt durch eine neue Auswertung frischer Wind in die Diskussion: Professor Dr. Heike A. Bischoff-Ferrari von der Universität Zürich vermutete, dass eine zu niedrige Dosierung am Misserfolg schuld sein könnte. Sie wertete Daten von 31.022 Personen aus, darunter waren 91 Prozent Frauen. Bischoff-Ferrari fand 1.111 Hüftfrakturen sowie 3.770 nicht-vertebrale Frakturen. Patienten, die sich im Quantil mit der höchsten Vitamin D-Zufuhr (durchschnittlich 800 IU täglich) befanden, hatten in der Tat 30 Prozent weniger Hüftfrakturen als unter Placebo. Nicht-vertebrale Frakturen verringerten sich ebenfalls, und zwar um 14 Prozent. Schön und gut, hohe Vitamin D-Konzentrationen können allerdings toxisch wirken. Deshalb fordern Kollegen, vor Therapiebeginn den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln. Mineralien schlagen aufs Herz Auch die zusätzlich empfohlene Kalzium-Supplementation ist nicht ohne: Daten aus der „EPIC“-Studie zeigten jetzt, dass Patienten mit diesem Mineral ein um 86 Prozent höheres Herzinfarktrisiko haben. In der Subgruppe, die nur Kalzium einnahm, ohne weitere Vitamine oder Spurenelemente, verdoppelte sich das Risiko sogar. Britische Kardiologen kritisierten, aus „EPIC“-Daten ließe sich nicht zweifelsfrei belegen, dass Kalzium an Herzinfarkten schuld sei. Andererseits ist die Evidenz entsprechender Supplementationen auch nicht gesichert. Bisphosphonate: Therapie auf Zeit Bisphosphonate sind bei Osteoporose-Behandlungen zum Standard geworden. Möglicherweise verschreiben Orthopäden die Pharmaka über Jahre hinweg zu kritiklos, wie Vertreter der US-amerikanischen Food and Drug Administration zu bedenken gaben. Nachdem viele Studien nur maximal über drei bis vier Jahre liefen, war die Extrapolation auf lange Zeiträume mit großen Unsicherheiten behaftet. Neue Daten aus der Fosamax Fracture Intervention Trial Long-Term Extension (FLEX)-Studie liefern Anhaltspunkte, dass beispielsweise Alendronsäure zwar während der ersten Jahre die Frakturraten drastisch senkt (21 Prozent versus 10,6 Prozent unter Placebo). Ab dem fünften Jahr hatten Patienten, die nicht auf Placebo wechselten, nur einen geringfügigen Nutzen von dem Arzneistoff (17,7 versus 16,9 Prozent weniger Frakturen). Allerdings erfolgte die Auswertung retrospektiv und ist damit möglicherweise fehlerbehaftet. Am ehesten profitieren Patientinnen mit Frakturen in der Vorgeschichte oder mit schweren Verlaufsformen von einer langfristigen Therapie. Aus für Calcitonin Das Peptidhormon Calcitonin ist ebenfalls auf die Abschussliste geraten. Es verringert die Aktivität von Osteoklasten und damit auch die Freisetzung von Kalzium aus Knochen. Als Nasenspray hat Calcitonin laut Fachinformationen lediglich eine Zulassung für die „Behandlung der gesicherten postmenopausalen Osteoporose zur Risikoreduktion von vertebralen Frakturen“. Und weiter: „Eine Reduktion von Hüftfrakturen wurde nicht nachgewiesen.“ Mittlerweile häuften sich jedoch Hinweise auf mögliche Schäden: Die britische Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) wies ein um 2,4 Prozent erhöhtes Krebsrisiko unter Calcitonin nach. „Das Nutzen-Risiko-Verhältnis für die Risikoreduktion vertebraler Frakturen bei gesicherter postmenopausaler Osteoporose wurde als negativ bewertet (intranasale Anwendung)“, heißt es dazu vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Und die European Medicines Agency (EMA) rät, Ärzte sollten Calcitonin-haltige Nasensprays nicht mehr zur Behandlung von Osteoporose verschreiben. Mitte August hat das BfArM in einem „Rote-Hand-Brief“ die Indikation entsprechend eingeschränkt