Menschen mit starkem Übergewicht sind stolz, wenn sie es geschafft haben, abzunehmen. Danach leiden sie oft unter hängender Haut am ganzen Körper. Operationen können dies korrigieren – aber sie werden nur bedingt von den Krankenkassen übernommen. Sollte sich das ändern?
In Deutschland sind zur Zeit etwa ein Viertel der Männer und Frauen adipös. Immer mehr Menschen mit starkem Übergewicht entscheiden sich aber dazu, sich von den überschüssigen Kilos zu trennen – und das nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aus ästhetischen Gründen. Doch wie geht es nach einer erfolgreichen Gewichtsabnahme weiter? Viele der Übergewichtigen verlieren durch eine Ernährungsumstellung oder bariatrische Operationen 20 bis 40 kg, übrig bleibt viel überschüssige Haut. Die Patienten haben zwar ihr Ziel erreicht, fühlen sich in ihrem Körper aber unwohl. So steigt die Zahl von Anträgen auf körperformende Eingriffe und es stellt sich die Frage, wer die Kosten für eine solche OP tragen sollte: die Solidargemeinschaft oder die Patienten selbst? In den letzten Jahren gibt es mehr und mehr gesundheitspolitische Maßnahmen, die Übergewicht und Adipositas entgegenwirken sollen. Zu den Zielen einer Adipositastherapie gehört neben der deutlichen Gewichtsabnahme auch, das neue Gewicht langfristig zu stabilisieren und sein Ernährungs- und Bewegungsverhalten dauerhaft zu verändern. In einigen Fällen sind auch psychotherapeutische Maßnahmen sinnvoll, um die psychologischen Hintergründe des problematischen Essverhaltens aufzuarbeiten und zu verändern.
Um das mühsam erreichte Normalgewicht zu halten, ist es für Betroffene wichtig, sich in ihrem Körper wohlzufühlen, stark hängende und überschüssige Haut ist da kontraproduktiv. „Einige haben durch Disziplin, Sport und eine Ernährungsumstellung in kurzer Zeit stark an Gewicht abgenommen“, erläutert Vincenzo Penna, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Plastische und Handchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg. „Noch häufiger kommt eine massive Gewichtsabnahme jedoch nach bariatrischen Operationen vor, also Operationen zur Magenverkleinerung oder -umleitung. Manche Patienten nehmen dabei innerhalb von drei bis sechs Monaten 30 bis 50 Kilogramm ab.“ Durch diesen schnellen Gewichtsverlust hat die Haut nicht die Chance, sich wieder zu straffen und hängt dann wie eine zu weite Hülle am Körper.
Diese Hautüberschüsse können eine erhebliche körperliche und psychische Belastung sein. „Die Betroffenen wollen ja ihren Körper verändern. Sie wollen einerseits gesünder leben, aber auch ästhetischer aussehen“, sagt Penna. Der Hautüberschuss erinnert die Betroffenen ständig an ihr vorheriges Übergewicht, gleichzeitig fühlen sie sich nicht attraktiv und nicht wohl in ihrem Körper. Viel Selbstvertrauen geht dadurch verloren und es entstehen Schwierigkeiten, sich wieder voll in den beruflichen und privaten Alltag zu integrieren. „Das kann bei manchen so weit gehen, dass sie eine Depression entwickeln“, sagt der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie.
Durch sogenannte körperformende Operationen ist es möglich, die Hautüberschüsse zu beseitigen und so wieder ein relativ normales Körperbild zu erreichen. Typische Eingriffe umfassen eine Straffung der Bauchdecke, der Oberschenkel, des Gesäßes oder des gesamten Unterkörpers (Bauchdecke, Gesäß- und Flankenregion) sowie eine Straffung der Brust und der Oberarme. Solche Operationen werden mit möglichst wenigen Eingriffen durchgeführt und so gestaltet, dass möglichst kleine und wenig sichtbare Narben entstehen. Körperformende Eingriffe können dazu beitragen, dass die Betroffenen zufriedener mit ihrem Körper sind und sich psychisch deutlich stabiler fühlen. Deshalb gehören sie zu den wichtigen Faktoren, mit denen man die Patienten motivieren kann, ihr Gewicht und eine gesunde Lebensweise langfristig beizubehalten. „Aus unserer Sicht sind körperformende Operationen deshalb auch aus psychologischen Gründen sinnvoll“, betont Penna. „Sie können zu einer Langzeitstabilisierung der Patienten und zur Förderung ihrer Gesundheit beitragen.“ Sollte also die Solidargemeinschaft die Kosten für eine OP zahlen, bei der die belastenden Hautüberschüsse entfernt werden? Ist es rein wirtschaftlich sogar sinnvoll? Schließlich sind die Patienten nicht mehr adipös, werden also nicht an den vielen Folgekrankheiten von Adipositas erkranken, und haben mit ihrer Gewichtsabnahme der Solidargemeinschaft einen Gefallen getan.
Der Status quo der Kostenübernahme sieht folgendermaßen aus: Operationen werden bisher nur von den Krankenkassen übernommen, wenn sie als „medizinisch notwendig“ angesehen werden. „Durch die überlappenden Hautpartien kommt es häufig zu starkem Schwitzen, zur Aufweichung des Gewebes und zu Reibung. In der Folge können Pilzbesiedlungen oder wiederkehrende Entzündungen auftreten“, erläutert Penna. Darüber hinaus können die Hautüberschusse zu Haltungsschäden führen. Sie können beim Gehen oder beim Sport hinderlich sein, aber auch beim Wasserlassen und bei sexuellen Aktivitäten. „All diese Fälle stellen eine medizinische Indikation dar“, sagt Penna. „Allerdings muss die Kostenübernahme einer Operation auch in diesen Fällen im Voraus schriftlich von der Krankenkasse bestätigt werden.“ Zur Klärung einer medizinischen Indikation wird die Krankenkasse den medizinischen Dienst der Krankenkassen einschalten. Dieser erstellt ein Gutachten, das die Entscheidungsgrundlage für die Krankenkasse darstellt. Der Patient sollte objektive Befunde sowie Stellungnahmen vom Hausarzt und von Fachärzten, etwa vom Hautarzt, Orthopäden oder Gynäkologen – und gegebenfalls auch von einem Psychologen – vorlegen. „Ein Faktor für die Kostenübernahme ist auch, seit wann das erreichte Gewicht stabil gehalten wurde“, sagt Penna. „Sinnvoll sind mindestens sechs Monate stabile Gewichtsverhältnisse.“ Liegen deutliche dermatologische Probleme vor, sind die Chancen für eine Kostenübernahme relativ gut. Auch orthopädische Probleme und funktionelle Einschränkungen (zum Beispiel beim Toilettengang) können eine Operation rechtfertigen. „Ist eine medizinische Indikation gegeben, werden die Operationskosten in der Regel übernommen“, sagt Penna. „Allerdings kann es sein, dass nur eine Straffung bestimmter Körperbereiche übernommen wird, zum Beispiel von Bauch und Oberschenkeln, aber nicht von Brust, Oberarmen oderGesäß.“
Auch Anke T. aus Weil am Rhein war jahrelang von starkem Übergewicht betroffen – bis sie sich 2014 zu einer Magenoperation entschloss. Sie litt unter Bluthochdruck und Diabetes, die Operation wurde ohne großen Aufwand von der Krankenkasse bewilligt. Anschließend nahm die 47-Jährige insgesamt 40 Kilo ab. „Aber dann kam das Problem mit der überschüssigen Haut“, berichtet sie. „Ich hätte nicht gedacht, dass nach einer Magen-OP so große Probleme auftreten würden.“ Die überhängenden Hautpartien führten zu starkem Schwitzen und zu schmerzhaften Entzündungen am Unterbauch und an den Oberschenkeln. Nachdem sie ihr neues Gewicht ein Jahr lang gehalten und Befunde von Ärzten gesammelt hatte, wurden ihr nach einem Antrag beim medizinischen Dienst relativ schnell Operationen der Fettschürze am Bauch und der Brüste bewilligt. Nun, nachdem die überschüssige Haut am Bauch operiert wurde, sei dies ein „viel besseres Lebensgefühl“. Auch andere würden positiv auf ihr verändertes Aussehen reagieren, was ihr neues Selbstbewusstsein gebe. „Bei mir lief alles ziemlich gut“, berichtet die Patientin. „Aber ich kenne einige, die bei der Bewilligung solcher OPs große Probleme hatten.“
Ob die leistungsrechtlichen Voraussetzungen zur Kostenübernahme für eine körperformende Operation gegeben seien, werde jeweils im Einzelfall entschieden, erläutert Ursula Marschall, leitende Medizinerin der Barmer, der zweitgrößten gesetzlichen Krankenkasse Deutschlands. Dies hänge in erster Linie von der Gesetzgebung, speziell dem Gemeinsamen Bundesausschuss, ab: Er schreibe vor, welche Leistungen von den Krankenkassen erstattet werden dürfen und welche nicht. „Was medizinisch notwendig ist und was Patienten als erforderlich ansehen, unterscheidet sich jedoch oft deutlich“, so Marschall. „Auch wenn sich jemand durch körperliche Auffälligkeiten – zum Beispiel Segelohren – psychisch beeinträchtigt fühlt, darf die Krankenkasse eine korrigierende Operation nicht übernehmen, weil der gesetzliche Leistungskatalog dies nicht vorsieht.“ Für eine Leistungsübernahme sei es erforderlich, dass eine erhebliche, krank machende Beeinträchtigung vom behandelnden Arzt bestätigt werde.
„In den letzten Jahren sehen wir eine deutliche Zunahme von Anträgen auf körperformende Operationen“, berichtet Marschall. „Das liegt natürlich auch daran, dass Adipositas und bariatrische Operationen zunehmen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine hohe Erwartungshaltung, wie der eigene Körper aussehen sollte, die stark mit dem Schönheitsideal unserer Gesellschaft zusammenhängt.“ Bestehe durch die Hautüberschüsse eine ausgeprägte psychische Beeinträchtigung, müsse die Notwendigkeit einer Operation im Einzelfall medizinisch dargelegt werden, etwa von einem Psychiater oder Psychotherapeuten, sagt Marschall weiter.
„Oft ist jedoch schwer objektivierbar, dass psychische Probleme ursächlich auf die Beeinträchtigungen durch überschüssige Haut zurückzuführen sind“, sagt Penna. „Deshalb werden psychologische Gründe eher selten als alleiniger Grund für eine Kostenübernahme akzeptiert.“ Natürlich sei nicht jede körperformende Operation als medizinisch indiziert anzusehen, sagt auch der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. „Wenn die Brust oder die Oberarm-Innenseiten etwas hängen, ist das nicht funktionell beeinträchtigend und wäre deshalb eine ästhetische Indikation. Allerdings gibt es natürlich einen Grenzbereich zwischen medizinisch und ästhetisch, wo im Einzelfall abgewogen werden muss.“ Wichtig sei in solchen Fällen, die Gründe für oder gegen eine medizinische Notwendigkeit ausführlich mit dem Patienten zu besprechen. Auch insgesamt sollten die Betroffenen umfassend über die Möglichkeiten, Grenzen und Risiken körperformender Operationen aufgeklärt werden. Dazu gehört auch, dass sie bereits vor einer bariatrischen Operation erfahren, dass die Folgekosten, etwa für Fettschürzen-Resektionen, nicht zwangsläufig von den Krankenkassen übernommen werden. Weiterhin sollten sie wissen, dass sich nach der Entfernung von Hautlappen Narben bilden können und dass in manchen Fällen weitere korrigierende Operationen notwendig sind. Schließlich sollte auch über mögliche Komplikationen informiert werden. So können in 10 bis 20 Prozent der Fälle Nachblutungen, Wundheilungsstörungen und Serombildung auftreten.
Aus Sicht von Anke T. hat sich die Hautlappen-Operation jedoch auf jeden Fall gelohnt. „Die überhängende Haut hat einfach gestört und sie lässt sich auch nicht einfach durch Training reduzieren“, betont die 47-Jährige. Ihr Eindruck sei, dass Magenoperationen in den letzten Jahren leichter bewilligt würden – doch dann würden, vermutlich aus Kostengründen, Folge-Operationen nicht bewilligt. „Aber diese gehören aus meiner Sicht nach einer Magenoperation dazu und sind notwendig, um die normale Körperform wiederherzustellen“, sagt die Patientin. „Da sollten die Krankenkassen ihr Vorgehen wirklich überdenken.“ Auch in der deutschen Leitlinie zur Chirurgie der Adipositas wird gefordert, dass die plastische Chirurgie nach erfolgreicher Gewichtsabnahme Teil des Behandlungskonzepts der Adipositas sein sollte. Bisher sei die wissenschaftliche Evidenz zum Nutzen solcher Operationen jedoch noch nicht ausreichend hoch, heißt es in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt. Deshalb seien weitere Studien notwendig, um den Nutzen körperformender Eingriffe auch wissenschaftlich ausreichend zu belegen. Möglicherweise könnte das dazu beitragen, dass die Kosten in Zukunft häufiger von den Krankenkassen übernommen werden.