Rund einen Monat, nachdem bekannt wurde, Apotheker können nur mit 25 Cent Honoraraufschlag rechnen, kippt die Stimmung: Kollegen lassen sich die Hinhaltetaktik aus Berlin nicht mehr länger gefallen.
Unter Federführung von „Apothekerprotest“ formiert sich Widerstand, aber auch einige Landesapothekerkammern und -verbände bekennen Farbe. Ein flächendeckender Streik steht bevor. Die „Widerstandsbewegung deutscher Apotheker“ organisiert bundesweite Streiks, um sich bei der Politik Gehör zu verschaffen. „Wir, die deutschen Apotheker und ihre Mitarbeiter, sind nicht mehr bereit, kampflos in den Ruin getrieben zu werden“, heißt es in einem Aufruf.
Wutapotheker reden Klartext
Jensen Hsieh aus Achern (Baden-Württemberg) von „Apothekerprotest“ sagt zu DocCheck: „Die meisten Apothekeninhaber verdienen heutzutage weniger, als wenn sie angestellt wären.“ Rund 30 Prozent schrieben rote Zahlen und müssten innerhalb der nächsten zwölf Monate schließen. Der Grund: „Unser gesetzlicher Versorgungsauftrag ist durch die Krankenkassen stark negativ kostendeckend.“ Jetzt geht es primär um einen bundesweiten Streik. Hsieh: „Das viele Gerede unserer Standesvertretungen bringt alles nichts. Wir können unseren Forderungen nur Gehör verschaffen, wenn wir ein Druckmittel aufbauen.“ Um öffentlichen Apotheken wieder eine Überlebensgrundlage zu geben, fordern Kollegen, Honorare dynamisch an wirtschaftliche Kenngrößen anzupassen und den verhassten Zwangsabschlag ganz abzuschaffen. Auch Nacht- und Notdienst, seit Jahren ein Minusgeschäft, sollten endlich fair entlohnt werden. Das haben Berufsverbände, allen voran die ABDA, bis heute nicht geschafft.
Gesetz mit Hintertür
Seit 2004 warten Apotheker vergebens auf eine Honorarerhöhung. Auch die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes brachte Ende Juni nicht die erhofften Erleichterungen. In dem Text wird allerdings das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ermächtigt, „im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Festzuschlag entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen“. So viel zur Theorie.
Berliner Zahlenspielereien
Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die Rx-Fixvergütung laut ABDA und DAV von 8,10 Euro auf 9,14 Euro pro Packung angehoben werden. Anfang Juli bekamen die Bundesministerien für Gesundheit beziehungsweise Wirtschaft sogar ein spezielles Datenpanel von den Standesvertretern. Darin waren Betriebsergebnisse von mehr als 2.500 Apotheken aufgelistet, inklusive Kostenentwicklung beim Personal und bei Rx-Präparaten. Groß interessiert hat das Machwerk in Berlin wohl niemanden. Vielmehr griffen Politiker auf Daten des statistischen Bundesamts zurück – und kamen zu dem Schluss, eine Erhöhung von 8,10 Euro auf 8,35 Euro reiche aus.
Uneinigkeit in der Koalition
Doch selbst Union und Liberale sind sich uneins – jetzt gerieten auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie beziehungsweise das Bundesministerium der Finanzen aneinander. Wolfgang Schäuble (CDU) warnte aus Haushaltsdisziplin selbst vor den mehr oder minder bewilligten 25 Cent. Philipp Rösler (FDP) hält jedoch an der mageren Erhöhung fest – und am Abstimmungstermin noch im September. Auf Arbeitsebene platzten derweil Termine, und manche Besprechung entwickelte sich zum Desaster: Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbands und Vorsitzender des baden-württembergischen Landesapothekerverbands, besuchte zusammen mit ABDA-Chef Heinz-Günter Wolf und ABDA-Vize Friedemann Schmidt am 22. August Daniel Bahr (FDP). Prompt gab es eine Abfuhr – Versuche, den Bundesgesundheitsminister von falschen Rechenmethoden zu überzeugen, schlugen fehl. Ob das geplante Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) mehr bringen wird, ist fraglich. Jetzt scheint zumindest auf regionaler Ebene die Zeit der Diplomatie vorüber zu sein.
Das Ländle macht mobil
Nach dem Erfolg einer Kundgebung in Kiel, zwar kamen nur rund 50 Kollegen, doch griffen zahlreiche Medien das Thema auf, rumort es auch in Baden-Württemberg. Becker kündigte baldige Warnstreiks in seinem Kammerbezirk an, hält jedoch länger andauernde Protestmaßnahmen ebenfalls für möglich. Die hessische Apothekerkammer und der hessische Landesapothekerverband machen ebenfalls Druck: Mittlerweile ging ein Schreiben an alle Chefs, um verschiedene Szenarien durchzuspielen. Rund 70 Prozent der Befragten wären bereit, an zentralen Protestkundgebungen teilzunehmen. Brandenburg und Westfalen-Lippe denken in eine ähnliche Richtung. Auch die Apothekengewerkschaft ADEXA hat angekündigt, Arbeitgeber in Sachen Honorarerhöhung zu unterstützen und gegebenenfalls mit Verbänden und Kammern gemeinsam auf die Straße zu gehen.
Kritische Stimmen
Nicht alle Standesvertretungen sind von der Idee, einen flächendeckenden Streik zu organisieren, angetan. Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, kann den Unmut im Kollegenkreis gut nachvollziehen, spricht sich aber gegen verschlossene Türen aus. Vielmehr beruft sie sich auf den gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag und will vermeiden, dass Bürger in die Schusslinie geraten. „Leider muss dies erst einmal auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden“, gibt Jensen Hsieh zu bedenken. „Wenn wir aber Erfolg haben, dann kommt das den Bürgern wieder zu Gute, geht es doch um die Abwendung der Schließung von vor allem ländlichen Apotheken.“
Geistesblitze an der Basis
Neben Streiks entwickeln sich im Kollegenkreis weitere kreative Ideen: Ann-Katrin Kossendey aus Wiefelstede (Niedersachsen) erklärt mit ihrem „25-Cent-Video“ auch Laien, warum Apotheker eine angemessene Honorierung fordern. Mehr als 24.000 User haben sich bis dato informiert und weitere Ausgaben von „Kossendeys Videothek“ folgten. Gabriela Aures aus Gaimersheim (Bayern) hingegen ließ sich – nur mit einem „Apotheken-A“ bekleidet – fotografieren. Ihre Botschaft: „Herr Rösler, in welche Tasche wollen Sie uns noch greifen?“ Beide Kolleginnen erregten bundesweite Aufmerksamkeit, was der ABDA in vollem Umfang bis dato nicht gelungen ist – trotz ihres Budgets von mehr als fünf Millionen Euro für die Presse- und Informationsarbeit.
Heißer Herbst
Ende 2012, nach der Urlaubszeit und nach den Schulferien, geht es noch viel mehr zur Sache. „Die dezentrale Koordinierung eines Streiks könnte über Notdienstturni gehen“, erklärt Jensen Hsieh. Kollegen planen außerdem, beim deutschen Apothekertag mehrere Anträge einzubringen, etwa die „Video-Apothekerin“ Ann-Katrin Kossendey. Ihre Forderung: Transparente Kommunikation statt Geheimniskrämerei bei der ABDA. Ohne deutlichen Druck von der Basis werden sich die Berliner Ministerien sicher kaum bewegen. Und nicht zu vergessen: In gut einem Jahr ist Bundestagswahl!