Für Menschen mit Harninkontinenz ist ein normaler Alltag meist schwer zu bewältigen. Jedoch gibt es zahlreiche gynäkologische als auch urologische Therapiemöglichkeiten, die eine Verbesserung der Kontinenzfunktion ermöglichen.
Von Harninkontinenz sind in jüngeren Jahren hauptsächlich Frauen betroffen. Allerdings kennen Senioren beiderlei Geschlechts das Tabuthema – im Alter von 80 und mehr leiden drei von zehn Menschen daran. Sie empfinden eine Inkontinenz als extrem belastend und kommen nicht selten bereits mit schwerwiegenden Funktionsstörungen zum Arzt. Gut verschlossen Im gesunden Zustand melden Dehnungsrezeptoren dem Gehirn, wie voll unsere Blase ist. Um unwillkürlichen Harnabgang zu verhindern, entspannen sympathische Nerven den Detrusormuskel und kontrahieren den inneren Schließmuskel. Bei der Miktion kehrt sich dies um: Parasympathische Nerven kontrahieren den Detrusor und entspannen den Schließmuskel. Je nach Krankheitsbild signalisiert die Blase zu früh, dass eine Toilette aufgesucht werden sollte, oder es kommt zum ungewollten Urinabgang. Lästige Gewohnheiten Zur gründlichen Anamnese sollten Patienten ein Miktionstagebuch ausfüllen. Dazu gehören auch Trinkgewohnheiten: Wie eine US-amerikanische Arbeit mit 4.000 Patienten gezeigt hat, treten Inkontinenzen beim Konsum von mehr als 204 Milligramm Coffein pro Tag signifikant häufiger auf als in der Vergleichsgruppe. Urologen raten deshalb, harntreibende Getränke wie Kaffee, Tee und Alkohol zu meiden – die Trinkmenge von mindestens zwei Litern pro Tag sollten Inkontinenzpatienten jedoch nicht verringern. Häufig führen auch bakterielle oder virale Infekte zu der Symptomatik. Ein Blick auf die Arzneimittel lohnt ebenfalls: ACE-Hemmer können Auslöser einer Belastungsinkontinenz sein, während bei manchen Antidepressiva oder Kalziumkanalblockern mit Harnverhalt zu rechnen ist. Nach weiteren Untersuchungen inklusive Bildgebung und Urodynamik steht in der Regel eine Diagnose fest. Besonders häufig treten Belastungs- und Dranginkontinenzen auf, inklusive diverser Mischformen. Wenn die Blase drängt Patienten beschreiben eine Dranginkontinenz (überaktive Blase) als plötzlichen, extremen Harndrang. Hier gibt die Blasenwand falschen Alarm – eigentlich wäre noch genug Platz, um weiteren Urin zu speichern. Hinter den Symptomen können sich andere Grunderkrankungen verbergen, etwa eine Prostatahyperplasie oder eine Harnröhrenstriktur. Blasensteine oder Tumoren der Blasenwand sollten ebenfalls in Betracht gezogen werden. Sind Signale zur Steuerung des Musculus detrusor außer Kontrolle, kommen neuronale Erkrankungen ebenfalls in Frage. Scheiden derartige Verdachtsmomente aber aus, rückt die Harnblase selbst in den Fokus. Nerven unter Kontrolle Im gesunden Körper steuert Acetylcholin den Musculus detrusor – ein therapeutischer Ansatzpunkt: Anticholinergika schwächen seine Kontraktion. Entsprechende Rezeptoren kommen jedoch nicht nur in der Blase vor. Bei älteren, weniger selektiven Pharmaka wie Oxybutynin oder Propiverin sind Nebenwirkungen deshalb nicht auszuschließen. Moderne Arzneistoffe wie Darifenacin oder Solifenacin binden am M3-Muskarinrezeptor des Musculus detrusor mit höherer Affinität als beispielsweise an M1- oder M2-Rezeptoren anderer Organsysteme. Zentrale oder kardiale Effekte treten hierbei kaum mehr auf. Und mit dem neuen β3-Rezeptoragonisten Mirabegron gehen Forscher in eine ähnliche Richtung: Aufgrund seiner Selektivität entspannt der Wirkstoff nur Muskeln in der Harnblase, während unerwünschte Wirkungen unter dem Placebo-Niveau liegen. In den USA ist die Substanz bereits zugelassen. Sollte eine Pharmakotherapie aufgrund bestehender Vorerkrankungen nicht möglich sein, bleibt als Option das Botulinumtoxin A. In den Detrusor injiziert, sinkt dessen Kontraktionskraft für bis zu neun Monate. Patienten berichten von einem geringeren Harndrang, und die Miktionsmenge erhöht sich. Zu hohe Dosen können allerdings eine Entleerungsstörung auslösen. Blase schwer belastet Im Gegensatz zur Dranginkontinenz verlieren Patienten mit Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz) Urin ungewollt beim Sport, beim Heben schwererer Lasten, aber auch beim Lachen, Niesen oder Husten. Dahinter steckt meist eine Beckenbodenschwäche, von der Frauen nach Schwangerschaft und Geburt oder in der Menopause betroffen sind. Gynäkologen und Urologen versuchen, durch Gymnastik den Beckenboden zu stabilisieren. Bei einer Erschlaffung der Muskulatur helfen elektrische Stimulationen sowie Biofeedback-Methoden. Und Pessare beziehungsweise Vaginalkonen bringen Organe, die durch einen Prolaps nach unten gerutscht sind, wieder in ihre ursprüngliche Position. Viele Frauen profitieren auch von einer Gewichtsreduktion, wie eine Studie mit 335 Patientinnen gezeigt hat. Nachdem Betroffene um 5,5 bis 8,0 Prozent abgespeckt hatten, verringerten sich ihre Inkontinenzphasen deutlich. Griff in die pharmazeutische Schatzkiste Führen diese Strategien nicht zum Ziel, gibt es auch hier pharmazeutische Hilfen wie Duloxetin. Dieser selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), ursprünglich als Antidepressivum entwickelt, erhöht den Tonus des Harnröhrenschließmuskels. Duloxetin ist nur bei Frauen mit mittelschwerer bis schwerer Belastungsinkontinenz zugelassen, kommt jedoch off label bei Männern nach einer Prostatektomie zum Einsatz. Aber auch den Herren hilft ein gezieltes Beckenbodentraining. Skalpell: eher selten Fruchten diese Maßnahmen nicht, bleibt als letzter Ausweg, einen hydraulisch steuerbaren Blasenschließmuskel zu implantieren. Die Pumpe selbst, sie befindet sich bei Männern im Hoden, gibt auf Knopfdruck eine Manschette frei, und der Urin kann abfließen. Mit diesem System werden bis zu 96 Prozent aller Patienten ausreichend kontinent, um wieder aktiv am Berufsleben und an Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Bei Frauen hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr das Tension free Vaginal Tape (TVT) durchgesetzt: Chirurgen legen ein Kunststoffband spannungsfrei unter die Harnröhre, um Defekte am Bindegewebe und an Bändern zu kompensieren. Operationen wie die Kolposuspension zur Anhebung des Blasenhalses sind angesichts zahlreicher Alternativen heute selten geworden. Auch gelten Injektionen mit Biomaterialien wie Hyaluronsäure oder Kollagen nicht als erstes Mittel der Wahl, das Verfahren zeigt in Studien keine guten Langzeitresultate.