Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass Plasma die Alternative gegen multiresistente Bakterienstämme, Allergien und schlecht heilendes Gewebe sein kann. Denn der energiegeladene Stoff ist für Mikroben tödlich, für die Haut aber ungefährlich.
99 Prozent des Weltalls bestehen aus Plasma. Weniger Menschen können allerdings mit dem physikalischen Begriff „Plasma“ etwas anzufangen. Das könnte sich aber schon bald ändern. Denn Plasmamedizin ist drauf und dran, zu einer neuen scharfen Allzweckwaffe für die Medizin zu werden.
Medizinisches Plasma: Heiße Elektronen, kalter Kern
Um in den vierten Aggregatzustand zu gelangen, braucht das chemische Element Energie. Trifft diese zum Beispiel in Form von elektromagnetischer Strahlung auf Gasatome oder -moleküle, lösen sich Elektronen aus dem atomaren Verbund heraus. Das aktive Gemisch besteht dann aus geladenen Teilchen, UV-Strahlung, Radikalen, elektrischen Feldern und - meist - hoher Temperatur.
Bekommt das Gas jedoch nur soviel Energie, dass sich die Elektronen selbständig machen und hohe Temperaturen erreichen, das ionisierte Atom oder Molekül aber nicht mitschwingt, entsteht „kaltes Plasma“. Es findet sich in Leuchtstoffröhren oder Nordlichtern. Oder in einer Plasmaflamme, die nicht wärmer als Körpertemperatur wird. Für die Medizin bietet es dadurch nicht nur die Chance, Geräte zu sterilisieren, sondern auch Wunden zu desinfizieren.
Plasma, so scheint es, kann aber noch viel mehr. Es regt das Gewebe an, sich zu regenerieren und bewaffnet das Immunsystem im Kampf gegen Unerwünschtes im Körper. Dazu zählen auch Krebszellen. Schließlich beseitigt der Stoff Biofilme: Auf Zähnen, Implantaten und Prothesen. Und das Beste am Ganzen: Bisher sind noch keine Resistenzen gegen den neuen Mikrobenkiller bekannt, während Antibiotika und andere Desinfektionsmittel ihre Kraft mit der Zeit verlieren.
Heilung mit Radikalen?
Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern ist auf dem Weg, zu einem der ganz großen Zentren der Plasmaforschung für den Menschen zu werden. Hier ist das Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e.V. (INP) zu Hause, hier hat die benachbarte Universität den weltweit ersten Lehrstuhl für Plasmamedizin eingerichtet. Mit mehr als fünf Millionen Euro von 2011 bis 2013 fördert das Bundesforschungsministerium den Campus PlasmaMed, an dem das INP massgeblich beteiligt ist. Vor allem die Grundlagenforschung ist in Greifswald zu Hause. An den Augen frisch geschlachteter Schweine und Hautproben testen Physiker zusammen mit Medizinern, Pharmazeuten und anderen Lebenswissenschaftlern die Wirkung von kaltem Plasma auf die Wundheilung und beobachten die Stimulation der Angiogenese, der Entstehung neuer Gefäße. Bisher wurden bei entsprechender Dosierung keine Schädigung der Haut beobachtet - trotz fast vollständiger Desinfektion.
Aber auch chronische Wunden bei Hunden konnte das „Tissue Tolerable Plasma“ (TTP) bereits heilen, dort, wo alle anderen Strategien bisher versagten. „Vieles deutet darauf hin, dass die wirksamen Komponenten im Plasma neben der elektromagnetischen Strahlung vor allem die reaktiven Spezies sind, also Radikale.“ versucht Thomas von Woedtke die Mechanismen zu erklären. „Unsere Hypothese ist, dass die Radikale im Plasma die endogenen radikalvermittelten Abwehr- und Heilungsmechanismen von Gewebe unterstützen und die Bildung von Zellmediatoren wie Stickstoffmonoxid antreiben.“, so der erste Lehrstuhlinhaber für Plasmamedizin.
Zwei Minuten für ein Drittel weniger Bakterien
Aber auch in anderen Teilen Deutschlands arbeiten Physik und Medizin eng bei der Entwicklung der neuen Möglichkeiten dank Plasma zusammen. Das Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching, die Dermatologische Klinik in Regensburg und das Städtische Krankenhaus München-Schwabing haben die Plasmamedizin in die Klinik gebracht. Bereits Phase II einer klinischen Studie hat die Behandlung mit Argon-Plasma gemeistert. Zwei Minuten Behandlung reichen bei chronisch infizierten Wunden aus, um die bakterielle Besiedlung der Wunde bei rund 100 Behandlungen um 30-40% zu reduzieren. Georg Isbary vom Schwabinger Krankenhaus hat Plasma inzwischen bei rund 200 Patienten erfolgreich auf deren Haut gebracht. Demnächst sollen auch andere dermatologische Leiden wie etwa Juckreiz auf die Plasma-Probe gestellt werden. In Göttingen ist gerade eine Studie zur Behandlung offener Beine oder Unterschenkelgeschwüre zu Ende gegangen. Eine doppelt so schnelle Wundheilung und Verringerung von Fußschmerzen bei Diabetikern gegenüber der Kontrollgruppe konnte eine russische Arbeitsgruppe schon im Jahr 2009 auf einem Kongress berichten.
Mit dem Plasmastift für bessere Zähne
Nur etwa kugelschreibergroß ist das Gerät, mit dem Zahnärzte die Energiewolke in verborgene Höhlen leiten, um dort gefürchteten Biofilmen den Garaus zu machen. Eine Plasmaquelle wie der „kINPen Med“ hilft Implantaten beim besseren Einwachsen, aber auch bei der Behandlung ausgebohrter Wurzelkanäle. Bei der Periodontitistherapie verbessert Plasma die Benetzbarkeit der Zähne und erleichtert damit die Reinigung.
Noch weitgehend im vorklinischen Stadium ist der Einsatz von Plasma gegen Krebs. Melanomzellen begehen bei entsprechender Plasmadosierung programmierten Selbstmord innerhalb von 72 Stunden, während sich gesundes Gewebe davon nicht beeindrucken lässt. Keratosen, Narben, ja sogar die Beeinflussung der Gerinnung sind weitere mögliche Angriffsziele für den Plasmaforscher in den nächsten Jahren. Denn Plasma hat scheinbar den unwiderstehlichen Charme, bei dosiertem Einsatz kaum unerwünschte Nebenwirkungen zu produzieren. Bei einer einminütigen Plasmabehandlung liegt etwa die UV-C Dosis nicht höher als bei fünf Minuten Sonnenbaden. Allergien? Bisher nicht bekannt.
Eroberung wie bei der Lasertechnologie
Die Plasmamedizin hat gerade erst zum Sprung von der Grundlagenforschung in die Klinik angesetzt. Daher gibt es noch kaum Langzeitbeobachtungen zur Wirkung von Edelgas- oder „Luftplasma“ am und im Menschen. Bevor jedoch Sicherheitsfragen noch nicht ausreichend geklärt sind, wird die Behandlung wohl noch nicht in den Leitlinien auftauchen. Aber die bisherigen Ergebnisse sehen schon einmal sehr viel versprechend aus. Ganz billig ist der Einstieg nicht: Ein Gerät wie es die Ärzte in der Münchner Studie verwendet haben, kostet vorerst noch einen fünf- bis sechsstelligen Investitionsbetrag. Instrumente für die ambulante Behandlung liegen immer noch im Tausender-Bereich. Ziel der Förderung des Campus PlasmaMed ist es, nach 2013 die industrielle Entwicklung und Fertigung anzustossen. Mit der Serienproduktion sollen dann auch die Kosten sinken.
Und so hoffen die Plasmaforscher auf einen Weg ähnlich dem Laser, der heute zu einem wichtigen Instrument in der Hand des Arztes geworden ist. Der Direktor des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung in Greifswald, Klaus-Dieter Weltmann baut auf eine ebenso strahlende Zukunft zur Behandlung chronischer Wunden: „Für manche Patienten könnte Plasmamedizin zur einzigen Alternative werden.“