Ein Studium ohne wilde Partys ist wie Pizza ohne Käse. Und so greifen auch die Ärzte von morgen gerne zu Suchtmitteln, um dem Prüfungsstress zu entkommen. Die Gesundheitsrisiken geraten schnell in den Hintergrund. Aber sollten wir es nicht eigentlich besser wissen?
Alles begann mit einer traditionellen Party für die neuen Erstsemester und endete kurze Zeit später mit Polizei und großem Chaos. Im Oktober letzten Jahres platzten die vom Asta der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) vorbereiteten Partyräume buchstäblich aus allen Nähten. Der Grund klingt so einfach wie harmlos: Es kamen schlichtweg zu viele Partygäste. "Obwohl wir ziemlich früh dort waren, mussten wir fast eine halbe Stunde anstehen", beschreibt eine Studentin den großen Andrang. "Am Ende hatte ich einfach nur Platzangst und wollte so schnell wie möglich wieder raus aus dem Hexenkessel", fügt ihr Kommilitone hinzu.
Sorgloser Umgang mit der eigenen Gesundheit
Solch eine Eskalation kann natürlich organisatorische Gründe haben. Darüber hinaus steht dieser Fall im absoluten Einklang mit einem aktuellen Trend, den zuletzt auch immer mehr Bevölkerungsstudien belegen konnten. Studierende der Medizin feiern gern und greifen dabei immer häufiger zu legalen Genussmitteln wie Alkohol und Zigarette. Dabei scheinen sie das Wissen, das sie im Rahmen ihres Studiums erworben haben, einfach auszublenden. Vormittags schreiben sie noch eine Klausur über Erkrankungen von Lunge und Leber und wenige Stunden später sind die Gläser voll und die Aschenbecher quellen über.
"Unsere Prüfungsphasen sind teilweise so stressig und anstrengend, da muss ich am Wochenende einfach mal meinen Kopf ausschalten – sonst halte ich das einfach nicht zwölf Semester lang aus mit dem Pauken", gesteht mir eine Kommilitonin des aktuell neunten Semesters. Die Risiken sind in solchen Augenblicken dann total egal. Für den Moment weicht der Stress, man hört Musik, fühlt sich gut und kann entspannen. Dass es sich aber eigentlich um schädliche Gifte handelt, lässt sich im Rausch der angenehmen Gefühle kaum begreifen.
Allerdings gehen bei den schädlichen Genussmitteln die Meinungen natürlich auch auseinander: Während einige sich hin und wieder zu Entspannungszwecken die Kante geben, haben ihre Studienkollegen im Laufe der Zeit die Lust auf legale Drogen einfach verloren. "Früher habe ich auch mal geraucht und am Wochenende viel getrunken", berichtet ein Student des neunten Semesters. "Aber seit wir ausführlich die Themen COPD und Leberzirrhose im Fach Innere besprochen haben, würde ich bei jeder Kippe ein ungutes Gefühl bekommen und habe daher vor kurzer Zeit mit dem Rauchen aufgehört."
Exzesse als geistiger Kurzurlaub
Dass Saufen und Pauken oftmals im Doppelpack auftreten, beschränkt sich natürlich nicht einzig und allein auf die Studienrichtung Humanmedizin. So sind in den letzten Jahren immer wieder hochrangigen Business Schools aufgefallen, deren Studenten nach Alkoholexzessen ihre Prüfungsleistungen im Krankenhaus abfeiern mussten. Und dann sind da ja noch die großen Studentenparties der technischen Berufe, auf denen dann sämtliche Fachkräfte von Morgen gemeinsam das Glas erheben. Im Suff sind trotz Weißkittel und Karohemd wieder alle gleich und lassen die Sorgen über Finanzen und Hausarbeiten Sorgen sein.
Ein klassisches Beispiel durfte auch ich einmal mit erleben: die alljährliche Uniparty der Maschinenbauer. Das Bier war billig, die Räume überfüllt und ab 3 Uhr nachts machte regelmäßig der Krankenwagen einen Zwischenstopp. Im Rausch der Sinne mag der Flow einer Studentenparty ohne Trinklimits einem seelischen Kurzurlaub gleichen. Doch schon am nächsten Morgen ist wieder alles so, wie es vorher war. Nur dank dicken Schädels meist viel schlimmer.
Entweder man fühlt sich nur hundeelend und kann das Bett kaum mehr verlassen, geschweige denn seine Hausarbeit weiter schreiben, oder man hat sogar etwas Dummes angestellt. Und das Spektrum studentischer Saufunfälle ist nach eigener Beobachtung nicht zu verkennen! Von der klassischen Kopfplatzwunde bis hin zur unerwünschten Spontanschwangerschaft nach unbewusstem Beischlaf mit einem Kommilitonen. Ganz klar: Den Bierflaschen und Eintrittskarten fehlt die Packungsbeilage, die wenigstens schriftlich vor Risiken und Nebenwirkungen zu warnen pflegt.
Lernstress und Alkohol – ein Teufelskreis
Dass lange Prüfungsphasen jeden Studenten an den Rand des Wahnsinns treiben können, steht sicherlich außer Frage. Schließlich gilt unsere Studienrichtung als eine der anspruchsvollsten überhaupt und hat auch nicht ohne Grund in Deutschland eine strenge Zulassungsbeschränkung. Alkohol, Zigaretten und wilde Partys bis zum Morgengrauen scheinen da ein willkommener und wirkungsvoller Ausgleich zu sein.
Leider trügt der Schein und verwandelt sich bei näherer Betrachtung rasch in einen Teufelskreis, wie das Beispiel eines Medizinstudenten des derzeit fünften Semesters zeigt: "Nach harten Wochen mit vielen Testaten habe ich die Wochenenden durchgefeiert, obwohl ich eigentlich die Zeit zum Lernen gebraucht hätte", erzählt er über eine vergangene "Partyphase". "Schon Ende des Semesters bin ich durch mehrere Prüfungen gefallen und hatte im folgenden Semester noch mehr Lernstress als vorher. Heute gehe ich zwar auch noch auf Partys oder mal ins Kino, versuche aber auch im Semester regelmäßig am Wochenende zu lernen.“
Die Mischung macht´s: Denn wer sein Studium ernst nimmt, darf auch ohne schlechtes Gewissen ab und zu ein Gläschen Wein trinken.