Die Überlebenschancen sind bei Neoplasien im Kindesalter besser als bei Erwachsenen. Dennoch bleiben auch bei der erfolgreichen Tumorbehandlung oft Schäden an Körper und Kinderseele zurück.
Eigentlich könnten die Kinderonkologen rundum zufrieden sein. Denn die statistischen Daten sagen, dass sie von Jahr zu Jahr immer erfolgreicher behandeln. Starb vor 30 Jahren noch jedes dritte Kind an einer malignen Wucherung, ist es den letzten Zahlen zufolge jetzt nur mehr jedes sechste, das die ersten fünf Jahre nach der Behandlung nicht überlebt. Vier von fünf Kindern sind auch noch nach zehn weiteren Jahren am Leben.
Es sind vollkommen andere Tumorformen, die das junge Leben gefährden, als jene, die Erwachsenen meist in der zweiten Hälfte ihres Lebens begegnen. Sehr selten entdeckt der Kinderarzt Karzinome, dafür sehr viel mehr embryonale Geschwülste. Am häufigsten sind Leukämien, Tumoren im Bereich des zentralen und peripheren Nervensystems und Lymphome sowie in etwa jedem zwanzigsten Fall einen Nierentumor.
Der Preis fürs Überleben
Wer aber als Kind den Tumor überlebt, ist noch nicht über den Berg. Denn die Therapie hinterlässt ihre Spuren. Einem Bericht im New England Journal aus dem Jahr 2006 zufolge ist für fast zwei Drittel der Kinder eine chronische Krankheit der Preis fürs Überleben, bei jedem vierten Kind bedroht dieses Leiden sogar das weitere Dasein.
Das schnell wachsende Gehirn ist besonders empfindlich für Störungen, die Radio- oder Chemotherapie oder gar eine Gehirnoperation hinterlassen. Englische und amerikanische Studien mit Teilnehmern aus den großen Datenbanken berechnen dabei Intelligenz-Einbußen von bis zu 15 Punkten. Aber auch bei der häufigen ALL birgt eine prophylaktische Bestrahlung von mehr als 24 Gy ein Risiko für spätere kognitive Probleme. Je älter der Patient und je größer der Strahlenkegel, desto höher steigt das Risiko.
Nicht immer folgenlos bleibt auch die Chemotherapie: Platin-Verbindungen sind mit späterer Schwerhörigkeit assoziiert und damit fast automatisch mit Problemen in der Schule. Methotrexat und Kortikosteroide sind nicht harmlos, besonders dann, wenn sie intrathekal in den Körper gelangen.
Probleme in Mathematik und Rechtschreibung
Dass die Krebsbehandlung zu schwerwiegenden neurologischen Beeinträchtigungen führt, ist aber eher selten. Meistens handelt es sich um kleinere Schwächen. Handlungsplanung, Einsicht und Aufmerksamkeitsdefizite stehen oben auf der „Malus-Liste“. Dementsprechend schwer tun sich überlebende junge Krebspatienten in der Schule in den Fächern Mathematik, Lesen und Rechtschreibung. Stärken auf anderen Gebieten gleichen jedoch das Manko oft aus. Die meisten dieser Zahlen stammen aus großen Studien, die wiederum ihre Teilnehmer aus den großen Kinderkrebsregistern beziehen.
Die deutsche Fallsammlung wurde 1980 an der Universität Mainz gegründet und arbeitet eng mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) zusammen. Um mehr über das Schicksal der Kinder nach ihrer Erkrankung zu erfahren, nehmen die Betreiber auch nach vielen Jahren noch regelmäßig Kontakt zu rund 25.000 Kindern auf, das entspricht über der Hälfte der in den letzten 30 Jahren diagnostizierten kleinen Patienten.
Narben treffen die Psyche
Zu schaffen machen ihnen aber nicht nur die Wirkung der Therapie auf Zellen und deren Stoffwechsel, sondern auch auf das äußere Erscheinungsbild - und in der Folge dann auch auf die Psyche. Eine amerikanische Gruppe berichtete vor kurzem über ihre Studien an Kindern mit Krebs im Vergleich mit ihren gesunden Geschwistern. Die Bestrahlung am Kopf sorgt dabei nicht nur für Probleme im Gehirn, sondern auch für äußere Entstellungen und Narben in diesem Bereich, oft mit Glatzenbildung verbunden. Depressionen und Ängste sind die Folge.
Die Angst gehört aber auch untrennbar zur psychischen Bewältigung der Krankheit. Denn auch nach Ende der Therapie kann der Tumor jederzeit wieder zurückkommen. Die Therapie vielleicht eine sekundäre Neoplasie aus. Je nach Studie leiden zwischen 6 bis 9 Prozent der Kinder nach der Therapie und danach auch als Erwachsene an den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Zusammen mit Depressionen und Angststörungen gilt das fast für jedes vierte Kind. Das höchste Risiko für eine PTBS haben Singles mit hohem Bildungsniveau, aber auch Erwachsene mit niedrigem Einkommen. Frauen sind dabei besonders gefährdet.
Kinderärzte aus dem schweizerischen Lausanne maßen die Kortisolspiegel bei Stresstests bei 18 bis 39-jährigen mit Tumorerfahrung. Im Vergleich zu Kontrollen erzielten sie vergleichbare Testergebnisse, jedoch mit deutlich höheren endokrinen Spiegeln. Besonders betroffen waren dabei Teilnehmer, die zusätzlich an depressiven Symptomen litten.
Resilienz kommt mit dem Sieg über den Tumor
Nicht immer ist jedoch der überwundene Krebs ein Mühlstein fürs ganze Leben. Studien, die nach der Lebensqualität fragten, berichten von ähnlichem oder sogar besserem psychischen Wohlbefinden. Vielleicht sind die Ansprüche an das Leben nicht mehr ganz so hoch, wenn es ihnen schon in der Kindheit „zurückgeschenkt“ wurde? Alltagsängste verlieren so ein wenig an Bedeutung. Der Sieg über die Krankheit ist gut für das Selbstbewusstsein. Oft erleben Kinder nach der überstandenen Krankheit eine schnellere Entwicklung und werden früher erwachsen.
Und noch etwas macht Mut: Auch wenn es unter den Überlebenden einer pädiatrischen Tumorerkrankungen weniger Nachkommen gibt - eine höhere Rate an Erbschäden bei der nächsten Generation haben Untersuchungen bisher nicht gefunden. Dennoch: Abgeschlossen ist die Therapie der Heranwachsenden auch dann nicht, wenn sie die nächsten Jahre körperlich gesund bleiben. Fürsorge besonders für die Seele kann aber aus dem Handikap eine wertvolle Erfahrung für das Leben als Erwachsener machen.