Egal, ob Lebensmittel untersucht, Verbrecher überführt, oder Krankheiten nachgewiesen werden – die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) ist zur Stelle. Neue Innovationen wie „OpenPCR“ machen das Verfahren alltagstauglich.
Sie hassen Rosenkohl? Dahinter stecken genetische Faktoren, ist sich „BioCurious“ sicher. Die Initiative sieht sich selbst als „Treffpunkt für Forscher, Bürger, Studenten, Aktivisten und Bastler“. Ihr Ziel: „Biohacking“, sprich allen Interessierten genetische Untersuchungen ermöglichen. Ein Gerät darf hier nicht fehlen, nämlich der Thermocycler von „OpenPCR“. Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg. Die entscheidende Nacht Als sich der Biochemiker Kary Mullis vor fast 30 Jahren an das Steuer seinen Hondas setzte, um von San Francisco in das nahe gelegene Mendocino zu fahren, hätte er sicher mit allem gerechnet – nur nicht damit, die Welt durch seine nächtliche Autofahrt grundlegend zu verändern. Schon lange quälte er sich mit der Frage, wie sich gezielt einzelne Abschnitte von DNA-Molekülen in vitro vervielfältigen lassen. Mullis nächtlicher Geistesblitz: Er simulierte den natürlichen Prozess bei Zellteilungen – mit entscheidenden Unterschieden. Doppelhelikale DNA-Fäden lassen sich durch höhere Temperaturen trennen. Nach dem Abkühlen binden kurze, synthetische Startmoleküle, so genannte Primer. Sie sollten möglichst komplementär zum interessanten Bereich sein. Schließlich baut ein spezielles Enzym, die Polymerase, anhand einer DNA-Matrize den komplementären Strang mit einzelnen Basen auf. Das erwies sich als genial und mühsam zugleich: Jeder Schritt verdoppelte das genetische Material, aber immer wieder musste auf 90 Grad erhitzt werden – was zur Zerstörung der teuren Polymerase führte. Dieses Problem ließ sich mit einem hitzeliebenden Bakterium aus dem Yellowstone-Nationalpark lösen: Thermus aquaticus fühlt sich in heißen Quellen pudelwohl, das passende Enzym Taq-Polymerase übersteht auch hitzige PCR-Zyklen. Wechselbäder für Gene Der Siegeszug von Mullis´ Methode ist auch eng mit technischen Innovationen verknüpft. Während der Forscher seine Reaktionsgefäße noch in verschieden temperierte Wasserbäder hieven musste, übernehmen heute Thermocycler diese Aufgabe. Viele Geräte arbeiten mit einem massiven, gut wärmeleitenden Block aus Aluminium oder Silber, der Bohrungen für Reaktionsgefäße hat. Findige Elektronik steuert die Temperatur. Später kamen Karussell-Cycler mit hinzu: Hier temperiert heiße oder kalte Luft die Röhrchen. Wichtige Vorteile sind schnelle Aufheiz- und Abkühlraten sowie homogene Temperaturverteilungen. Weitere Innovationen setzen auf Heizblöcke mit flüssigen Legierungen oder auf dünne, stromdurchflossene Reaktionskammern, entsprechende Geräte sollen bald auf dem deutschen Markt erhältlich sein. Allerdings sind kommerzielle Geräte auch 30 Jahre nach Mullis´ Entdeckung für Studenten, Schulen oder ambitionierte Laien zu teuer, um selbst molekularbiologisch arbeiten zu können. Revolution „OpenPCR“ In San Francisco hatten Tito Jankowski und Josh Perfetto mit genau diesem Problem zu kämpfen. Sie bezeichnen sich als „Biohacker“ und Mitglieder der wachsenden DIYbio-Bewegung (Do It Yourself in biology). Ihr Budget: minimal. Ihr Ziel: Alle, auch Laien, sollen die Möglichkeit bekommen, molekularbiologische Experimente durchzuführen, um mehr über sich sowie über ihre Umwelt zu erfahren. Handelsübliche Maschinen kosten jedoch mehrere tausend US-Dollar. Allein deshalb fehlt vielen Menschen der Zugang zu modernen Technologien. „Wir begannen mit dem OpenPCR-Projekt, als wir erkannten, dass wir beide ein PCR-Gerät brauchen”, sagt Jankowski. Und Perfetto ergänzt: „Unser Ziel war nicht nur, ein preisgünstiges, sondern auch ein leicht bedienbares Gerät zu entwickeln.” Auch wollten die beiden Entwickler PCR-Kosten in kommerziellen Labors durch schnellere Aufheizraten und folglich kürzere Laufzeiten senken. Eine bessere Versuchsplanung spart Chemikalien, vor allem Enzyme. Unterstützung durch den Schwarm Doch wer sollte den beiden Forschern bei ihrer kostspieligen Entwicklung unter die Arme greifen? Tito Jankowski und Josh Perfetto beschlossen, auf die Unterstützung aller Menschen mit Wissensdrang zu setzen. Sie veröffentlichten ihr Projekt bei der Crowdfunding-Plattform Kickstarter: Ihr Prototyp wird mit Arduino gesteuert, einer offenen Software- und Hardwareplattform. In einem Aluminiumblock befinden sich 16 Vertiefungen für Reaktionsgefäße, darüber ist ein beheizter Deckel. Das Ziel, 6.000 US-Dollar für weitere Entwicklungsarbeiten zu bekommen, war schnell erreicht – User investierten sage und schreibe 12.000 US-Dollar. Damit hatten Jankowski und Perfetto nicht gerechnet. Sie posteten umgehend: „Wow! Vielen Dank für euer überwältigendes Interesse! Da wir unser Minimalziel übertroffen haben, können wir dank zusätzlicher Mittel OpenPCR noch besser machen.“ Für nur 599 US-Dollar können Interessierte jetzt einen Thermocycler bestellen. Gesagt – getan. Die DocCheck-Redaktion orderte kurzerhand einen Bausatz über das Web. Beim Auspacken machte sich esrt einmal Erstaunen breit: Das Kit glich eher Lieferungen schwedischer Möbelhäuser als einem Hightech-Thermocycler. Dank einer detaillierten Anleitung baute der Autor daraus eine „OpenPCR“-Maschine auch ohne Elektrotechnik-Masterabschluss in drei bis vier Stunden zusammen. Mit dabei: eine Applikation, basierend auf Adobe Integrated Runtime (AIR). Laut Testprotokoll liefen alle Funktionen tadellos – Zeit für ein Experiment. Genetische Information für alle Wer sein eigenes Erbgut untersuchen oder mehr über seine Umwelt erfahren möchte, muss weder Millionär sein noch in einem Forschungslabor arbeiten. New Yorker Schülerinnen wiesen beispielsweise nach, dass zwei von vier Sushi-Restaurants und sechs von zehn Lebensmittelgeschäften falsch etikettierten Fisch verkauft hatten. Sie identifizierten über „DNA-Barcoding“ Organismen anhand charakteristischer Sequenzen. Genetisch veränderte Lebensmittel bleiben mit dem Hightech-Kasten ebenfalls kein Geheimnis mehr – „OpenPCR“ stellt ein Projekt vor, bei dem Jugendliche ohne große Vorkenntnisse alles von der Tomate bis zum Tortilla-Chip untersuchen. Bei der Probenvorbereitung kommt auch eine Dremelfuge zum Einsatz. Dahinter verbirgt sich ein weiteres Hardware-Open-Source-Projekt: Schnell drehende Elektrowerkzeuge werden kurzerhand zur leistungsfähigen Zentrifuge umfunktioniert. Die „Garagenbiologie“ ist wieder einen guten Schritt vorangekommen – bereits vor zwei Jahren gaben Nature-Redakteure in einem Editorial zu bedenken, akademische Wissenschaftler sollten diese Konkurrenz durchaus ernst nehmen.