Eine kleine Hirnregion hinter dem Ohr könnte den Unterschied ausmachen, warum manche Menschen sich freigiebiger gegenüber ihren Mitmenschen verhalten als andere. Mit Hilfe der Magnetresonanz-Bildgebung gelang Forschern ein tiefer Einblick in die Gehirnanatomie.
Menschen helfen anderen Menschen, selbst wenn sie keinen direkten Nutzen davon haben. Doch nicht jeder Mensch zeigt das gleiche Ausmaß an selbstlosem Verhalten. Bisher war weitgehend unklar, wodurch diese individuellen Unterschiede verursacht werden. Ein Forscherteam der Universität Zürich konnte nun zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen Hirnanatomie, Hirnaktivität und altrustischem Verhalten besteht. Wie die Wissenschaftler um Professor Ernst Fehr in der Fachzeitschrift Neuron mitteilten, haben altruistische Personen mehr graue Hirnsubstanz an der Grenze zwischen Scheitel- und Schläfenlappen.
Die Untersuchung
Die Züricher Forscher untersuchten bei 30 Freiwilligen, ob unterschiedliches altruistisches Verhalten neurobiologische Ursachen hat. Die Probanden konnten im Rahmen der Studie Geldbeträge zwischen sich selbst und einem anonymen Partner aufteilen. Während der Versuchsreihe lagen die Probanden einzeln im Inneren eines Kernspintomographen. Über ihrem fixierten Kopf war ein Spiegel angebracht, mit dessen Hilfe sie auf einen Monitor am Röhrenende blicken konnten. Auf diesem wurde ihnen angezeigt, über welche Entscheidungsoptionen sie verfügten.
Studienteilnehmer spielten um echtes Geld
Manche Probanden verhielten sich ausgesprochen uneigennützig, andere dagegen waren fast nie bereit, auf eigenes Geld zugunsten ihres Spielpartners zu verzichten. „Da die Studienteilnehmer echtes Geld verschenkten oder geschenkt bekamen, ihre Entscheidungen in der Realität also tatsächlich umgesetzt wurden, konnten wir ausschließen, dass sie nur aus Reputationsgründen altruistisch handelten“, sagt Professor Christian Ruff, Leiter einer Arbeitsgruppe am Laboratory for Social and Neural Systems Research der Universität Zürich und Mitautor der Publikation.
Grau oder Weiß?
Während der Entscheidungsfindung maßen die Forscher bei jedem Probanden zuerst die Verteilung der grauen und weißen Hirnsubstanz. Dabei stellte sich heraus, dass die Personen, die sich altruistisch verhielten, mehr graue Hirnsubstanz in der Übergangsregion zwischen Scheitel- und Schläfenlappen aufwiesen als die egoistisch agierenden Personen. „Vermutlich verfügen die selbstlosen Probanden über mehr Neurone in diesem Areal oder die Neurone sind besser vernetzt“, sagt Ruff. Von früheren Studien war schon bekannt, dass das temporoparietale Areal im Gehirn stark aktiviert wird, wenn sich Menschen in die Wahrnehmung ihrer Mitmenschen hineinversetzen müssen. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler könnte diese Gehirnregion deshalb etwas mit Perspektivenübernahme oder mit moralischem Verhalten zu tun haben.
Sauerstoffverbrauch wächst mit steigender Hirnaktivität
In einer weiteren Messreihe analysierte das Team um Ruff die Hirnaktivität der Probanden. Je stärker eine bestimmte Region des Gehirns aktiv wird, desto größer ist ihr Bedarf an Sauerstoff. Der Blutkreislauf transportiert Sauerstoff mit Hilfe des Proteins Hämoglobin. „Die magnetischen Eigenschaften von Hämoglobin unterscheiden sich, je nachdem, ob das Molekül Sauerstoff gebunden hat oder nicht“, sagt Ruff. „Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz kann man so die Sauerstoffkonzentration im Blut messen, die dort am höchsten ist, wo die Neurone besonders aktiv sind.“
Unterschied ist deutlich
Während die Studienteilnehmer ihre Entscheidungen trafen, wie sie ihr Geld aufteilen wollten, zeigten sich deutliche Unterschiede in ihrer Hirnaktivität. Bei egoistischen Personen war die gleiche Hirnregion zwischen Scheitel- und Schläfenlappen schon bei geringen Kosten einer altruistischen Handlung aktiv. Bei altruistischen Personen hingegen wurde die hinter dem Ohr liegende Hirnregion erst stärker tätig, wenn diese Kosten bereits sehr hoch waren. „Dieses Hirnareal ist folglich dann am stärksten aktiviert, wenn Menschen an die Grenzen ihrer Bereitschaft gelangen, uneigennützig zu handeln“, sagt Ruff. Weil zu diesem Zeitpunkt, so der Forscher, die größte Notwendigkeit bestehe, den natürlichen Egoismus des Menschen durch Aktivierung dieser Hirnregion zu überwinden. In keiner weiteren Hirnregion fanden die Forscher bei ihren Untersuchungen einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Hirnaktivität und Altruismus der Probanden.
Ist Altrusimus trainierbar?
Noch ist es ein Rätsel, ob altruistisches Verhalten genetisch bestimmt wird oder durch äußere Faktoren beeinflussbar ist. Seit einiger Zeit weiß man, dass das Gehirn auch im Erwachsenenalter plastisch ist und seine Strukturen sich prinzipiell durch Training verändern lassen. „Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Gehirn auch entsprechend anpasst, wenn man im Alltag immer wieder altruistisch handelt“, findet Ruff. Er und seine Kollegen planen für die nahe Zukunft weitere Studien, die die Frage beantworten sollen, ob Altruismus angeboren ist oder nicht.