Medulloblastome sind sich morphologisch sehr ähnlich, genetisch aber grundverschieden. Vor allem Kinder erkranken an diesen schwer zu therapierenden Hirntumoren. Durch Erbgutanalysen soll ihre Behandlung in Zukunft individueller werden.
Ein Medulloblastom ist ein aggressiv wachsender Tumor des Kleinhirns, der typischerweise im Kindesalter auftritt. Bei Kleinkindern und Kindern ist er der häufigste bösartige Hirntumor überhaupt. Er wird nach der WHO-Klassifikation der Tumoren des zentralen Nervensystems als Grad IV eingeordnet. Biologisch und klinisch ist das Medulloblastom äußerst heterogen, was seine Behandlung erschwert. „Unter dem Begriff Medulloblastom sind biologisch völlig verschiedene Tumoren zusammengefasst, die oft nur in einem Punkt übereinstimmen: Sie sehen unter dem Mikroskop sehr ähnlich aus“, erklärt Prof. Dr. Stefan Pfister, Leiter der Pädiatrischen Neuroonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
Überleben häufig nur mit schweren Beeinträchtigungen
Kinder, die einen derartigen Tumorbefall durch Operation und anschließender Chemo- und Strahlentherapie überleben, haben oft mit einer deutlich reduzierten Lebensqualität zu kämpfen, da sie häufig dauerhafte Behinderungen davontragen. Trotz Fortschritten in der Behandlung derartiger Tumoren, erleiden etwa 40% der betroffenen Kinder einen Rückfall, 30% sterben an ihrer Krankheit. Forscherteams aus Boston, Memphis, Toronto und Heidelberg ist es in den letzten Jahren gelungen, den Tumor anhand seines genetischen Profils in vier verschiedene Gruppen (WNT, SHH, Gruppe 3 und Gruppe 4) aufzuteilen, in denen die Überlebensraten zwischen 20 und 90 Prozent liegen. In der WNT- und der SHH-Gruppe sind jeweils wichtige Punkte im WNT und SHH-Stoffwechselweg defekt. Die Gruppen 3 und 4 sind weniger gut charakterisiert. Der WNT-Gruppe wird von allen vier Gruppen die beste Prognose zugeschrieben, Gruppe 3 die schlechteste.
Erbgutanalyse für bessere Behandlungsstrategien
Um neue Ansatzpunkte für schonendere Behandlungen zu entdecken, untersuchten Wissenschaftler des PedBrain-Tumor Verbundes alle Erbgutveränderungen dieser Tumoren. Der im Jahr 2010 ins Leben gerufene Forschungsverbund PedBrain-Tumor ist die erste deutsche Beteiligung am Internationalen Krebsgenom-Konsortium (ICGC). Der Verbund veröffentlichte nun, gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern, die Auswertung der ersten 125 Erbgut-Analysen von Medulloblastomen in der Fachzeitschrift Nature.
Genetische Veränderungen bieten Angriffspunkte für Medikamente
„Wir sehen bereits jetzt, dass das Erbgut der Medulloblastome von Patient zu Patient große Unterschiede aufweist“, sagt Peter Lichter. „Aber es haben sich auch einige besonders häufige und charakteristische Erbgutveränderungen herauskristallisiert, die wegweisend für die Entwicklung neuer Diagnose- und Behandlungsmethoden sein können.“ In den sehr schwierig zu behandelnden Tumoren der Gruppen 3 und 4 wies rund die Hälfte der untersuchten Tumoren statt des normalen doppelten einen vierfachen Chromosomensatz auf. „Es ist nicht erwiesen, dass die überzähligen Chromosomen den Krebs auslösen. Aber sie treten mit Sicherheit sehr früh im Verlauf der Krebsentstehung auf“, erläutert Prof. Peter Lichter, Leiter der Abteilung „Molekulare Genetik“ am DKFZ. Der vierfache Chromosomensatz, der bereits bei anderen Krebsarten gefunden wurde, könnte ein möglicher spezifischer Angriffspunkt für neuartige Medikamente sein. Im Deutschen Krebsforschungszentrum wird derzeit in Kooperation mit der Firma Bayer Healthcare ein Wirkstoff entwickelt, der ganz gezielt das Wachstum von Zellen bremst, die mehr als zwei Chromosomensätze haben.
Bei ihren Untersuchungen sequenzierten die Wissenschaftler Tumorproben und verglichen diese mit Blutproben der Patienten. „Unser Studienaufbau beinhaltete eine Screeningkohorte und eine Validierungskohorte. Einen Teil der Proben haben wir also gesamtgenomisch sequenziert, bei anderen Proben haben wir nur den proteincodierenden Teil, das Exom, sequenziert und bei einem dritten Teil der Proben schließlich nur noch jene Gene, die bei vorherigen Proben mindestens einmal mutiert waren“, erklärt Prof. Lichter die Vorgehensweise bei der Erbgutanalyse der Tumoren.
Epigenetische Modfikationen als Therapieangriffspunkt
Etwa ein Drittel aller Einzelmutationen beim Medulloblastom betrifft Gene, die für epigenetische Modifikationen eine Rolle spielen. „Dieser Befund unterstreicht erneut, dass Medikamente, die diese Modifikationen beeinflussen, eine immer wichtigere Rolle in der Krebstherapie spielen werden“, sagt der Kinderarzt und Molekularbiologe Prof. Dr. Stefan Pfister. Das DKFZ und das Universitätsklinikum Heidelberg erproben diese vielversprechenden Wirkstoffe bereits gegen bestimmte kindliche Tumoren. Die Anzahl aller Erbgutveränderungen steigt bei Medulloblastomen mit dem Erkrankungsalter. „Eine solche Korrelation wurde bislang zwar schon häufig vermutet, jedoch noch nie dokumentiert“, erklärt Stefan Pfister. „Wir vermuten jedoch, dass die Anlage für ein Medulloblastom bereits während der Embryonalentwicklung entsteht.“ Der Grund für diese Vermutung liegt bei den häufig mutierten Genen in Medulloblastomzellen, die für wichtige Proteine, die an den embryonalen Entwicklung des Kleinhirns beteiligt sind, kodieren.
Fusionsgene wie bei CML
Erstmalig entdeckten die PedBrain-Tumor-Forscher beim Medulloblastom auch so genannte Fusionsgene. Sie entstehen, wenn durch einen genetischen Unfall krebsfördernde Gene aneinanderlagert werden und dadurch neue Proteine entstehen. Solche Fusionsgene verursachen einige Krebserkrankungen, etwa die Chronisch Myeloische Leukämie (CML). Bei dieser Erkrankung konnte ein sehr wirksames Medikament gegen das Fusionsgen BCR-ABL, das hochspezifisch für die Leukämiezellen ist, entwickelt werden.
„Neben der Vielzahl von individuell auftretenden Veränderungen konnten wir einige typische Gruppen von Mutationen definieren, die uns neue Strategien aufzeigen, wie wir Medulloblastome verschiedener molekularer Subgruppen besser bekämpfen können“, resümiert Peter Lichter. Die Preisentwicklung für DNA- und RNA-Sequenzierungen in den letzten Jahren ermöglicht theoretisch eine genaue Erbgutanalyse eines jeden Medullobalstompatienten.
Bereits heute wird die Therapieintensität von WNT-Tumoren, die mit den derzeit verwendeten Therapien eine Überlebensrate von über 90 Prozent aufweisen, reduziert, um bei gleicher Überlebensrate die Folgenschäden, die durch Strahlen- und Chemotherapie für die Kinder entstehen, zu minimieren. „Dieser Ansatz wird mit dem Aufsetzen der nächsten Protokolle in die Praxis übernommen werden“, so Prof. Pfister. „Bei der genetischen Komplexität und Heterogenität dieses Tumors spricht vieles dafür, in Zukunft bei jedem betroffenen Kind das Tumorerbgut zu analysieren, um die aussichtsreichste Therapie zu identifizieren“ so Peter Lichter.