Minimale Kommunikation funktioniert scheinbar auch ohne Großhirn. Regt man den Thalamus oder Gehirnbereiche in seiner Umgebung mit gezielten Impulsen an, wachen auch Patienten unter Vollnarkose vorübergehend auf. Bei vollem Bewusstsein sind sie aber dabei nicht.
Eigentlich sollte die Patientin von der ganzen Operation nichts mitbekommen. Die Ärzte wollten ihr, die seit langem an einer tremulösen zervikalen Dystonie litt, mit einer Tiefen Hirnstimulation helfen. Die Operation im Hamburger Klinikum Eppendorf verlief erfolgreich, wenn auch nicht ohne Zwischenfälle und mit einem Schrecken besonders für die beteiligten Anästhesisten. Als die Neurochirurgen den Globus Pallidus mit 130 Hertz stimulierten, schlug die 42-jährige plötzlich die Augen auf und reagierte sogar mit Bewegungen auf Kommandos.
Aufwachen per Elektrostimulation: Weder Narkosefehler noch Reflex
Ein Narkosefehler, wie er in ein bis zwei Fällen unter 2000 Operationen vorkommt? Dabei wacht der Patient auf oder schläft gar nicht erst ein und wird somit Zeuge der Operation am eigenen Körper. Nein, kein Narkosefehler. Wahrscheinlich sind die Gehirnerforscher vielmehr auf ein Zentrum gestoßen, das zumindest mitverantwortlich für Kontrolle der Zustände „Wach“ oder „Abwesend“, „Bewusst“ oder „Bewusstlos“ ist. Denn die Beobachtung wurde dort inzwischen an knapp einem Dutzend anderer Patienten bestätigt. Gleichzeitig mit dem Aufwachen per Stromstoß verändert sich das EEG, Herz- und Atemrhythmus. Je höher die Intensität der Stimulation, desto stärker der Wachzustand. Weil der Stimulierte nur auf spezifische Kommandos hört, können Forscher den induzierten Wachzustand als Reflex ausschließen. Steht die Elektrode nicht mehr unter Strom, ist es auch mit dem Wachsein vorbei.
Ähnliche EEG-Bilder bei Gehirnoperationen
Ganz neu sind die überraschenden Beobachtungen des Teams um Christian Moll nicht. Schon seit längerem weiß man um die Bewusstseinsveränderungen bei elektrischen Impulsen im Thalamus von Versuchstieren. Auch dabei verändern sich die Signale im EEG. Die aufgezeichneten Muster sind sich erstaunlich ähnlich, unabhängig davon, ob das Tier auf natürlichem Weg oder per Stromimpuls aufwacht. Bei Gehirnoperationen am Menschen aufgrund von Dystonien, Epilepsie oder neuropsychiatrischen Krankheiten sahen Ärzte immer wieder entsprechende EEG-Bilder und Verhaltensweisen, wenn sie Regionen im Vorderhirn reizten.
Bewusstlos aufwachen
Neuere Studien mit titrierten Sedativa zeigen, dass bewusstlose Probanden auf Kommando durchaus die Augen öffnen können, obwohl sich die höheren Gehirnzentren im Neokortex noch im Ruhezustand befinden. In einer Veröffentlichung im „Journal of Neuroscience“ im April dieses Jahres berichteten die Finnen Jaakko Långsjo, Harry Scheinin und andere Kollegen von der Universität Turku, dass ihre Versuchspersonen beim Aufwachen aus der Narkose zuerst Regionen im subkortikalen und limbischen System aktivierten, ohne dass ihnen die Reaktion auf gesprochene Anweisungen bewusst wurde.
Unterhaltung während der Vollnarkose
Michael Alkire von der University of Wisconsin, einer der Co-Autoren im Långsjo-Paper, schrieb 2008 in einem „Science“-Review: „Patienten unter Vollnarkose können zuweilen eine Unterhaltung fortführen, indem sie mit Signale mit ihrer Hand geben. Nach der Operation können sie sich nicht daran erinnern, jemals wach gewesen zu sein.“ Möglich wird eine solche Kommunikation, indem der Unterarm während der Narkoseeinleitung abgebunden wird und damit beweglich bleibt, während der Rest des Körpers paralysiert ist.
Thalamus-Zustand entscheidend
Der Thalamus scheint aber bei der „Wach oder nicht wach“-Frage eine zentrale Rolle zu spielen. Während der Narkose geht die Aktivität in dieser Region deutlich zurück. Unterbindet man bei Ratten den molekularen Funkverkehr, indem man einen Antagonisten des Neurotransmitters GABA in den Thalamus injiziert, verlieren sie unmittelbar darauf das Bewusstsein. Eine Nikotin-Spritze bewirkt das Umgekehrte.
Weckreiz aus dem Koma?
Könnte eine Stimulierung auch dazu dienen, um Komapatienten wieder aufzuwecken? Schon seit längerem stellen sich Bewusstlosigkeits-Forscher diese Frage. Bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts weckte eine Multicenter-Studie entsprechende Hoffnungen. Es gelang bei einigen der rund 50 Patienten im „Minimal Conscious State“, die „funktionelle Kommunikation“, also die Reaktion auf eine gezielte Ansprache für die Zeit der Stimulation zu verbessern. Eine dauerhafte Verbesserung auch über längere Zeit nach den Elektroimpulsen ist bisher nicht beschrieben. Auch Steven Laureys aus Lüttich, einer der erfahrensten Koma-Experten weltweit, ist vorsichtig und sieht die Tiefe Hirnstimulation noch weit weg von der klinischen Anwendung bei bei seinen Forschungskollektiv. Ähnliches gilt auch für andere Bewusstseinsstörungen wie etwa Epilepsieanfällen.
Verständigung trotz Koma
Wachsein und Bewusstsein scheinen zwei Begriffe zu sein, die in der Neurologie nicht direkt voneinander abhängig sind. DocCheck berichtete 2008 über eine Komapatientin, mit der eine Verständigung möglich war. Als die Ärzte sie baten, an ein Tennismatch zu denken, leuchteten im Gehirn exakt die gleichen Muster wie bei unverletzten Versuchspersonen auf. Anästhetika in begrenzter Dosis blockieren in der Nähe der Schwelle zur Bewusstlosigkeit das Arbeitsgedächtnis.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Patient unter Vollnarkose zwar hört, was seine Umgebung bespricht, aber nur deswegen nicht reagiert, weil er das Gesagte sofort wieder vergisst. Auch an das „Aufwachen“ in der Hamburger Klinik erinnerte sich keiner der betroffenen Patienten. Dennoch bleibt die Frage bei Operationen: ist die Erinnerungslücke ein Zeichen für eine ausreichend tiefe Anästhesie bei schweren Operationen? Auch wenn das Großhirn im „Off-Modus“ ist, könnten andere Bereiche für die Reizaufnahme und -verarbeitung sorgen. Eine Garantie, dass der Patient nicht merkt, was die Chirurgen mit ihm anstellen, ist sie wohl nicht.