Flughäfen sind Knotenpunkte von Netzwerken. Von dort aus breiten sich reisende Menschen und Waren netzartig aus. Gleiches gilt für Mitbringsel wie Keime und Infektionskrankheiten. Ein mathematisches Modell ist Infektionswegen auf der Spur.
Gefährliche Infektionsausbrüche beschäftigten im vergangenen Jahrzehnt Gesundheitssysteme und die Öffentlichkeit. SARS brach 2003 aus, erreichte 37 Staaten und war für 1.000 Todesfälle verantwortlich. Die Pandemie der Vogelgrippe (H5N1) aus 2009 verursachte etwa 300.000 Todesfälle. Unklar ist oft, wohin und wie schnell sich eine Infektion ausbreitet.
Wissenschaftler und Epidemiologen untersuchen deshalb komplexe Netzwerksysteme wie Ausbreitungsmuster von Krankheitserregern, aber auch Informationsausbreitung in sozialen Netzwerken, um mathematische Modelle zu entwickeln, mit deren Hilfe sich die Ausbreitung einer Infektion bestimmen lässt. Bislang lag der Fokus von Untersuchungen auf dem Endstadium von Epidemien und der Untersuchung von Orten mit den höchsten Infektionsraten. Zudem werden in bisherigen Modellen zufällige homogene Diffusionen von Reisenden angenommen und zugrunde gelegt, die nicht realitätsnah sind. Denn wir reisen nicht zufällig, sondern oft gezielt und tendieren dazu, Muster zu wiederholen.
Keimen auf der Spur
Ein Knotenpunkt der Ausbreitung für Infektionskrankheiten sind internationale Flughäfen. Die von Flughäfen ausgehende Infektionsgefahr ist dabei von verschiedenen Faktoren abhängig: Diese sind unter anderem die Größe des Flughafens, die Menge der beförderten Passagiere, Lage des Flughafens, Art und Natur möglicher Anschlussverbindungen und Wartezeiten der Passagiere. Die Dynamik der Krankheitsausbreitung untersuchten Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) an 40 US-Flughäfen. Dabei standen die ersten Tage der Krankheitsausbreitung im Vordergrund. Mit einem mathematischen Modell, das Anteile komplexer Netzwerksysteme wie auch die Informationsausbreitung innerhalb sozialer Netzwerke berücksichtigt, prüften sie, wie groß der wahrscheinliche Einfluss der größten US-Flughäfen auf die Verbreitung ansteckender Erkrankungen ist.
Messgrößen ermitteln
Ziel war es, Messgrößen zu ermitteln, die Rückschlüsse auf Infektionen in einem bestimmten geografischen Gebiet zulassen, sodass gesundheitsbehördliche Maßnahmen zum Impfschutz oder Behandlungen in frühen Phasen der Infektionsausbreitung möglich sind. Im Modell berücksichtigten die Forscher individuelle Variationen der Reisemuster, die geografische Lage des Flughafens, die verschiedenen Interaktionen der Flughäfen sowie individuelle Wartezeiten der Reisenden. Daraus entwickelten sie ein Tool, das Vorhersagen zum Ort und zur Schnelligkeit einer Krankheitsausbreitung zulässt.
Keimschleuder Nr.1: Airport New York
Die Ergebnisse des neu entwickelten Modells unterschieden sich von denen konventioneller Modelle, die von einer zufälligen Diffusion der Reisenden ausgehen und sind „ähnlich des advektiven Flusses von Flüssigkeiten“, so einer der vier Studienautoren Christos Nicolaides. Diese Art des Transportprozesses beruht auf charakteristischen Eigenschaften der untersuchten Substanz. Hätte man ein vereinfachtes Modell mit der Annahme einer zufälligen Diffusion zugrunde gelegt, hätte der Flughafen Honolulu mit einem um 70 Prozent geringeren Verkehrsaufkommen als der Kennedy International Airport in New York auch einen geringeren Einfluss auf die Kontagiosität gehabt. Das neue Modell bescheinigte dem Flughafen aber einen ähnlich großen Einfluss, denn die geografische Lage im Pazifischen Ozean und die Flugverbindungen zu entfernten, großen Flughäfen beeinflussten das Ranking.
Spitzenreiter in Sachen Einfluss auf die Krankheitsausbreitung ist aber der Kennedy International Airport in New York, gefolgt von Flughäfen in Los Angeles, Honolulu, San Francisco, Newark, Chicago und Washington. Der Hartsfield-Jackson Atlanta International Airport nahm - trotz der meisten Flüge - nur den achten Rang ein. Die Untersuchung der Ausbreitungsdynamiken und menschlichen Mobilität mit Tools komplexer Netzwerke lässt sich in vielen verschiedenen Bereichen anwenden, um Vorhersagemodelle zu verbessern. Der Ansatz ist neu, aber sehr robust, so die an der Studie beteiligte Marta González.
Strategien sind gefragt
Eines der ehrgeizigsten wissenschaftlichen Ziele heutzutage ist, den Studienautoren zufolge, die Verschiedenheit von Prozessen und deren Entwicklung mit der Zeit vorherzusagen, die eine große ökonomische und soziale Tragweite besitzen. Momentan können die Forscher mit einigen Details realer Krankheitsausbrüche ein Modell erstellen, das realistischer ist als frühere Modelle.
Ein wichtiger Beitrag zur Findung von Eindämmungsstrategien. Die Identifizierung neuer Gegenmaßnahmen bei Krankheitsausbrüchen steht allerdings auf einem anderen Blatt. Auch für die nationale Sicherheit haben neu entwickelte realistische Modelle eine große Bedeutung. So lassen sich etwa neuralgische Punkte für potenzielle Angriffe mit biologischen Waffen identifizieren und im Idealfall Vorsorgemaßnahmen einleiten.