Wie ist es eigentlich, pötzlich auf der anderen Seite zu stehen? Selbst schon halber Arzt und vom eigenen Können überzeugt, muss man trotzdem noch einen Mediziner aufsuchen, wenn einem einmal etwas fehlt. Aber wie fühlt sich das an, als Medizinstudent beim Arzt?
Sucht man im Internet nach "Medizinstudent beim Arzt", findet man häufig Seiten, auf denen Medizinstudenten ihre Hilfe beim Übersetzen medizinischer Befunde anbieten. Das heißt im Klartext: Als Student der Medizin ist man generell im unglaublichen Vorteil, zu verstehen, was Ärzte einem mitteilen. Das ist natürlich ein schleichender Prozess, sodass man im Laufe des Studiums zunehmend versteht, was der behandelnde Arzt einem eigentlich sagen will.
Man kommt sogar in den Genuß, die Fachtermini fehlerfrei wiederholen zu können. In der Familie des Medizinstudenten haben dessen Angehörige jetzt keine simple Mittelohrentzündung mehr, sondern eine Otitis media. Und auch die Tante hat keine einfache Zyste in der Kniebeuge, sondern eine Baker-Zyste. Allerdings kann es auch nervig sein, wenn man zum Arzt gehen muss, obwohl man die Diagnose schon weiß, wie auch Medizinstudent Benjamin berichtet: "Bei manchen Sachen kann ich mir die Diagnosen selbst stellen. Dann ärgere ich mich, dass ich mir noch keine Medikamente verschreiben kann."
Medizinstudenten bevorzugt?
Es gibt natürlich weitere Nachteile durch den fortschreitenden Lernprozess bezüglich vieler verschiedener Krankheiten. Es geht immer die Angst um, eine ganz seltene und schwere Krankheit zu haben. Gerade zwischen den Prüfungen, zur Zeit des größten Stresses und Wissens, raunen sich die Medizinstudenten auf den Unifluren gegenseitig die schlimmsten Diagnosen zu. Die konkrete Erkrankung ist meist davon beeinflusst, welche Studieninhalte man gerade lernt. Neurologie? Oh, ich habe schon seit einiger Zeit so ein Kribbeln in den Fingern, das ist bestimmt Multiple Sklerose. Innere? Mich hat auch schonmal eine Zecke gebissen und jetzt tut mir das Knie weh, das ist bestimmt Borreliose. So kommt es also vielleicht auch, dass man häufiger - als in studienfreien Zeiten - seinen Arzt aufsucht.
Allerdings wird man feststellen, dass sich als Medizinstudent auch anderes ändert. Wenn man bei der Terminabsprache am Telefon andeutet, dass man bald Berufskollege ist, bekommt man meist sehr schnell einen Termin. Benjamin, seines Zeichens Medizinstudent, ist der Meinung, durch den Status als Medizinstudent "... wurde ich sehr zuvorkommend behandelt." Und auch beim nächsten Arztbesuch sei er ohne Wartezeit direkt an die Reihe gekommen.
Da schau ich genauer hin
Beim Praxisbesuch wird sogleich alles gründlich inspiziert. Ist alles sauber? Kann man die Akten anderer Patienten sehen? Ich hoffe doch nicht. Desinfizieren sich Arzt und Angestellte die Hände? Tragen sie Handschuhe? Wird das Blut lehrbuchmäßig abgenommen? Kann ich das bei mir selbst eigentlich gut sehen? Lieber nicht, mir wird ein bißchen komisch... Macht der Arzt eine vollständige Anamnese? Wieso erkundigt er sich nicht nach meiner Familienanamnese? Und: Naja, einen Ganzkörperstatus würde ich aber auch anders machen.
Es kommen einem aber auch Gedanken wie: Meine Güte, ist der schnell, dass wird bei mir noch ein Weile dauern. Robert berichtet, dass sich für ihn seit Studienbeginn das Bewusstsein für einige Sachen, die in der Praxis ablaufen, geändert hätte: "Man merkt eher, dass man sich in einem bestimmten System aufhält, das nach Regeln funktioniert. Weniger, dass man eine individuelle Beratung erhält."
Es kann sich aber auch schnell mal wie bei einer Prüfung anfühlen. Zuerst wird gefragt, in welchem Semester man sich befindet (als würde diese Information dem seit 20 Jahren praktizierenden Arzt etwas sagen). Damit wird abgewogen, welchen Kenntnisstand der junge Kollege haben müsste. Wieso wird der denn so nervös? Und fängt an zu zappeln wie ein Hering? Egal, dann fangen wir mal an: "Wie sind denn die Schmerzen? Beschreiben Sie mal. Wie lange geht das denn schon so? Was denken Sie denn, was es konkret ist? Was würde Sie als Nächstes tun? Wie, das wissen Sie nicht? Sie sind doch aber schon im ... Semester!"
Das kann Spaß machen, muss es aber nicht
Folgerichtig berichtet die Ärztin Sabine, dass sie früher immer ungern gesagt hätte, dass sie Medizinstudentin ist. Sie wollte nicht in diese Art Prüfungssituation geraten. Meist hätte der Arzt dann aber doch nach ihrem Beruf gefragt, sie aber anschließend nicht näher "abgefragt". Der Ton macht die Musik. Der Arzt kann einem das Gefühl geben, man müsste schließlich selber wissen, was zu tun ist. Oder er kann auch sehr einfühlsam sein und dem beunruhigten Medizinstudenten zur Sicherheit noch eine kleine Diagnostik oder ein längeres Gespräch anbieten, damit dieser wieder ruhig schlafen kann.
Oder der Medizinstudent dreht den Spieß rum, hat sich schon im Vorfeld belesen, Diagnose und Differentialdiagnosen erarbeitet. Das weitere Prozedere mit erforderlicher Medikation ist seiner Meinung nach ganz offensichtlich. Da kann es dann schon zu leichter Irritation kommen, wenn der behandelnde Arzt nicht der gleichen Meinung ist. Oder wenn er aus Kostengründen nicht das neueste Präparat verschreiben möchte.
Verständnis zeigen
Der behandelnde Arzt wird vom Medizinstudenten sicherlich schneller in Frage gestellt als von einem "Laienpatienten". Manche junge Ärzte werden aus diesem Grund sicherlich auch einmal etwas nervös, wenn sie einen angehenden Kollegen behandeln sollen und somit unter ständiger Beobachtung stehen. Ich weiß, dass ich sehr nervös war, als ich im PJ bei einem Anästhesisten Blut abnehmen sollte. In diesen Situationen ist es ganz hilfreich, Verständnis zu zeigen, schließlich wird man irgendwann einmal in einer ähnlichen Situation sein.
So ein Arztbesuch kann natürlich auch dabei helfen, zu verstehen, wie es den Patienten in solch einer Situation geht. Man denkt, dass man alles versteht und kann sich vielleicht zwei Tage später doch nicht mehr an alles erinnern, was einem der behandelnde Arzt gesagt hat. Oder man stellt fest, dass man vergessen hat, die eine oder andere Frage zu stellen. Auch wenn man sich in einer anderen Situation befindet, ist man als Patient doch immer etwas angespannt. So bietet einem ein Arztbesuch die Möglichkeit, die erlebte Situation zu verinnerlichen und später nützliche Tipps an die eigenen Patienten weiterzugeben.
Folgende Programme bieten den Medizinstudenten die Möglichkeit, von den Patienten zu lernen: Patient Partners Programm Der Patient als Lehrer