Alzheimer, Schlaganfall oder Traumata: Wassermoleküle weisen den Weg, wenn es um neuronale Feinstrukturen geht. Mit der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomographie gelingen neue, spektakuläre Einblicke ins Gehirn.
Diffusion ist kein rätselhaftes Phänomen: Fällt ein Tropfen Tinte in Wasser, breitet sich der Farbstoff gleichmäßig in alle Richtungen aus. Auf Filterpapier oder Zeitungspapier geht es entlang der Fasern besonders schnell. Bei der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomographie (DW-MRI, diffusion-weighted magnetic resonance imaging) funktioniert das ähnlich: „Wir benutzen den Umstand, dass sich Wasser entlang der Richtung von Nervenfasern schneller bewegt als rechtwinklig dazu“, erklärt Christoph Leuze. Er ist Doktorand am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. „In einem Wasserschlauch fließt Wasser entlang des Schlauches. Aber die Schlauchhülle selbst, vergleichbar mit der Membran der Nervenfasern, hindert das Wasser, sich in eine andere Richtung zu bewegen.“ Etwas Physik Um Wasser zu beobachten und aus dem Diffusionsverhalten Nervenstrukturen abzuleiten, sind altbekannte Phänomene hilfreich: Wasserstoffkerne bauen durch ihren Eigendrehimpuls, den Kernspin, ein Magnetfeld auf. Im normalen Leben geht das kreuz und quer. Legen Forscher ein starkes Magnetfeld an, entstehen plötzlich zwei Vorzugsrichtungen: parallel oder antiparallel zur äußeren Quelle. Kommen jetzt noch gepulste, elektromagnetische Wellen hinzu, entsteht ein „Echo“. Leuze: „Wenn sich das Wasser entlang einer Richtung eine größere Strecke bewegt hat, dann verliert das MR-Bild mehr Signal, als wenn sich die Moleküle wenig bewegt haben.“ Dahinter steckt die unterschiedliche Mobilität von Wassermolekülen – hoch in Gehirnventrikeln und niedrig, sollten Barrieren wie Zellmembranen im Weg sein. Physiker untersuchen hier kleine Volumeneinheiten, so genannte Voxel. „Wenn wir mehrere Bilder entlang verschiedener Diffusionsrichtungen machen, können wir daraus die bevorzugte Diffusionsrichtung des Wassers berechnen“, so Leuze. „Mit einem speziellen Modell, zum Beispiel dem Diffusion Tensor Imaging, kurz DTI, lassen sich die Daten auswerten.“ Neuere Algorithmen berücksichtigen spezielle Strukturen wie sich kreuzende Nervenfasern (Crossing Fibers). 40 Millionen für Verknüpfungen Längst haben Wissenschaftler erkannt, dass neuronale Verknüpfungen entscheidende Beiträge zum Verständnis von Lernprozessen und pathologischen Vorgängern liefern. Noch bis 2015 fördert das National Institutes of Health die Erforschung von Nervenverbindungen mit rund 40 Millionen Dollar. Das Human Connectome Project (Connectome: Gesamtheit aller Verknüpfungen) ist erst durch DW-MRI-Scans möglich geworden , doch es gibt noch viel zu tun. Bei Fragen zur klinischen Anwendung haben sich laut Christoph Leuze mittlerweile zwei Lager gebildet. Kritiker führen „False Positives“ an, sprich „Nervenbahnen, die so in der Realität gar nicht existieren“. Noch gefährlicher seien „False Negatives“: Es existieren Nervenbahnen, die sich allerdings via DW-MRI nicht nachweisen lassen. Das könnte bei chirurgischen Eingriffen fatale Folgen haben. Dem gegenüber steht die verbreitete Meinung, dass diffusionsgewichtete Messungen völlig neue Informationen liefern. Lyse – aber sicher Gute Erfahrungen haben Ärzte mit DW-MRI-Scans im Rahmen der Schlaganfalldiagnostik gemacht: „Da gibt es nicht das Problem der False Positives, wie es bei der Messung von Nervenbahnen mit Hilfe von DTI der Fall sein könnte“, so Leuze. Während Computertomographien sowie Magnetresonanztomographien bei ischämischen Hirninfarkten erst nach Stunden Anhaltspunkte liefern, verschaffen sich Kollegen mit der diffusionsgewichteten Bildgebung sofort Klarheit: Nach einem Schlaganfall strömt verstärkt Wasser in geschädigte Zellen ein, nicht jedoch bei Gehirnblutungen. Dies ist insofern wichtig, um rasch mit einer Lysetherapie zu beginnen. Wehret den Anfängen Bei der Alzheimer-Krankheit machen sich ähnliche Probleme bemerkbar: „Auf herkömmlichen Computer- und Kernspintomographien erkennt man zwar, dass sich die Hirnmasse vermindert, allerdings erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien“, erklärt Professor Dr. Jens Wiltfang vom der Universität Duisburg-Essen. „Außerdem ergeben sich bei einigen anderen Hirnerkrankungen ganz ähnliche Bilder.“ Während einige Arbeitsgruppen auf der Suche nach Biomarkern im Blut sind, geht Privatdozent Dr. Harald Hampel von der Universität München einen anderen Weg: Er verglich mit diffusionsgewichteter Bildgebung die Gehirne von neun Alzheimer-Patienten in frühen Stadien mit denen gesunder Probanden. Unregelmäßigkeiten traten vor allem im Corpus callosum, also der Verbindung zwischen den Hirnhemisphären des Großhirns, auf. Die Vermutung, Alzheimer könnte hier seinen Ausgang nehmen, liegt nahe. Jetzt hat Hampel anfängliche Ergebnisse durch eine Multicenterstudie mit 137 Alzheimer-Patienten und 143 gesunden, älteren Personen bestätigt. Mit Verletzung – ohne Befund? DW-MRI-Scans bringen auch ungeahnte Folgen äußerer Gewalteinwirkung auf das Gehirn zu Tage. Bei Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan Sprengstoffattentate überstanden hatten, fanden Ärzte in vielen Fällen kernspintomographisch keine Hinweise auf neuronale Verletzungen. Dennoch litten viele der Betroffenen unter Beschwerden, die auf posttraumatische Belastungsstörungen geschoben wurden. Mit der neuen Messmethode kam das große Erwachen : Bei 18 von 63 Soldaten waren tatsächlich Nervenstränge verletzt. Jetzt fordern die Autoren, nicht allzu kritiklos psychologische Traumata zu diagnostizieren. No sports Kollegen der Radiological Society of North America untersuchten die Folgen ganz anderer Unfälle. In einer Studie fanden sie bei Amateurfußballern, die häufig Kopfbälle ausführten, Schäden in der weißen Gehirnsubstanz . Auch hier offenbarten nur diffusionsgewichtete Bildgebungstechniken das volle Ausmaß des Schadens, während andere Verfahren keinen Befund lieferten. „Einzelne Kopfstöße zerreißen keine Nervenfasern im Gehirn“, kommentiert Michael L. Lipton vom Albert Einstein College of Medicine, New York, die Resultate. „Häufige Kopfbälle könnten aber zur Degeneration von Hirnzellen führen.“ Sportunfälle mit Frakturen haben ebenfalls ungeahnte Effekte, wie eine Arbeit aus der Schweiz zeigt: Ist beispielsweise der rechte Arm in Gips, baut die linken Gehirnhälfte massiv Synapsen ab und um. Bereits nach 16 Tagen Ruhigstellung zeigte sich via DW-MRI und MRT eine Volumenverminderung der entsprechenden Regionen , was auf Remodellierungsprozesse in somatosensorischen und motorischen Bereichen schließen lässt. Bestmögliche Auswertung Mit der diffusionsgewichteten Bildgebung hält ein neues Verfahren langsam aber sicher Einzug – inklusive Stärken und Schwächen, wie bei jeder neuen Technik. Christoph Leuze fordert speziell für die klinische Praxis, Daten nicht mit der simpelsten Methode auszuwerten, sondern bessere Algorithmen einzusetzen, die „beispielsweise Crossing Fibers mit in Betracht ziehen“. Dann steht dem Siegeszug der beweglichen Wassermoleküle nichts mehr im Weg.