Alzheimer durch Antikörper? Scheinbar ja. Agonistische Autoantikörper führen zu Gewebeschäden im Gehirn, die die Bildung von β-Amyloid-Plaques begünstigen.
"Die Annahme, dass man bei alten Leuten die Alzheimer-Krankheit, die vaskulären und andere Hirnveränderungen als Ursache der Demenz so klar auseinanderhalten kann wie z.B. die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, Chorea Huntington etc. bei jüngeren Patienten, ist zu stark vereinfacht", erklärt Prof. Dr. Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar in München. Man ging lange Zeit davon aus, dass sich – besonders die Alzheimer- und die vaskulären Demenzen – unabhängig voneinander entwickeln und daher verschiedene Krankheitsbilder darstellen.
Seit der Medical Research Council Cognitive Function and Ageing Study (MRC CFAS), bei der eine epidemiologisch repräsentative Stichprobe von Engländern untersucht wurde, ist offensichtlich, dass alle älteren Menschen mit einer Demenz Anzeichen von Alzheimer haben, 80 % dieser Personen weisen zudem Mikroangiopathien auf und etwa 50 % Makroangiopathien. Die häufigste Form der Erkrankung ist also eine gemischte Demenz, reine Formen der einen oder anderen Gruppe sind – zumindest bei älteren Menschen – in der Praxis sehr selten.
Agonistische Autoantikörper bei vaskulärer Demenz und Morbus Alzheimer
Bisher wurde in der Forschung und der Öffentlichkeit das Hauptaugenmerk auf die β-Amyloid-Ablagerungen und die Neurofibrillenbündel gelegt. Nun zeigte eine Gruppe vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin, dass verschiedene Erkrankungen, die mit einer Schädigung des Gefäßsystems einhergehen – darunter die vaskuläre Demenz/Alzheimersche Demenz – mit diesen agonistischen Autoantikörpern assoziiert sind. Die gegen Zelloberflächenproteine gerichteten Antikörper binden an den alpha1-adrenergen Rezeptor, einen G-Protein gekoppelten Rezeptor, und erzeugen dort eine Dauerstimulation. Diese führt unter anderem zu einer erhöhten Konzentration von Kalziumionen in der Zelle. In der Folge verdicken sich die Gefäßwände, das Gefäßlumen verengt sich, so dass die betroffenen Areale weniger durchblutet werden. Gewebeschäden können eine Folge sein. "Zudem könnte die verminderte Durchblutung dazu führen, dass β-Amyloid-Ablagerungen und tau-Fibrillen nicht mehr in ausreichendem Umfang entsorgt werden", erklärt Diplom-Ingenieurin Marion Bimmler. Die Schädigung der Hirngefäße wurde im Tierversuch acht Monate nach der Gabe der Antikörper im MRT beobachtet.
Antikörper weg – Alzheimer stabilisiert?
Dipl.-Ing. Marion Bimmler und ihr Team haben herausgefunden, dass die agonistischen Autoantikörper bei etwa 50 % der dementen Patienten vorliegen. Bereits heute können die agonistisch wirkenden Autoantikörper mit Hilfe der therapeutischen Apherese, wie sie auch bei Patienten mit einer dilatativen Kardiomyopathie angewendet wird, entfernt werden. Einige wenige Patienten wurden bisher mit gutem Erfolg in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Evangelischen Geriatriezentrum/Charité Berlin behandelt, d.h. die Autoantikörper wurden entfernt, die Patienten werden gegenwärtig nachbeobachtet. Über sechs bis zwölf Monate blieben deren kommunikative Fähigkeiten erhalten, die Gedächtnisleistungen verbesserten sich ebenso, wie die Fähigkeiten, den Alltag zu bewältigen.
Ursachen noch unbekannt
Im Gegensatz dazu verschlechterte sich der Zustand der nicht behandelten Patienten, die weiterhin Autoantikörper im Blut hatten, im gleichen Zeitraum deutlich. Bei Patienten mit Dilatativer Kardiomyopathie, bilden sich die agonistischen Autoantikörper bei ca. 85 % der Patienten nicht nach. Ähnliche Effekte sind auch bei den Patienten mit Demenz zu beobachten. Warum die Antikörper gebildet werden, ist bisher nicht bekannt. Sie können lange Zeit im Körper zirkulieren ohne Schaden anzurichten. Ob ein entzündlicher Prozess letztlich für ihre Wirkung erforderlich ist oder ob noch andere Ursachen hierfür verantwortlich sind, muss noch näher untersucht werden. Agonistische Autoantikörper wurden bereits mit verschiedenen anderen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht, wie zum Beispiel arteriellem Bluthochdruck, diabetesassoziiertem Bluthochdruck und Nierentransplantatabstoßung; alles Erkrankungen, die eine vaskuläre Komponente haben. Bei Demenzpatienten, die gleichzeitig unter arteriellem Bluthochdruck litten, normalisierte sich dieser nach der Entfernung der Autoantikörper ebenfalls.
Depression führt zu erniedrigten β-Amyloid-Autoantikörpermengen
Auch in anderem Zusammenhang mit Alzheimer wurde ein Einfluss von Autoantikörpern beobachtet. In einer Studie der Universität Tübingen wurde gezeigt, dass Patienten mit lang anhaltender Depression niedrigere Titer an β-Amyloid-Autoantikörpern aufweisen als Kontrollpersonen. Zudem ist bekannt, dass bei Patienten mit einer Alzheimer-Demenz verringerte Mengen an diesen Antikörpern vorliegen. Daher vermuten die Autoren einen Zusammenhang zwischen Depressionen und einem Risiko für eine Alzheimererkrankung.
Passive Immunisierung gegen β-Amyloid-Peptide
Wie anfangs erwähnt, sind Demenzen in höherem Alter praktisch immer gemischte Demenzen. Daher wird auch die Entfernung der agonistischen Autoantikörper die Alzheimererkrankung nicht aus der Welt schaffen. Vielversprechend scheint im Moment auch die passive Immunisierung mit dem monoklonalen Antikörper Solanezumab. "Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass bei Patienten mit einer beginnenden Alzheimer Demenz das klinische Fortschreiten in einem frühen Stadium der Krankheit möglicherweise verlangsamt wird", erklärt Prof. Förstl. "Dies eröffnet die Chancen für eine frühere, für eine kausale Therapie. Derzeit werden Symptome zu einem späten Zeitpunkt behandelt. Die Schädigung des Gehirns kann dann aber nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wenn wir zukünftig in früheren Phasen therapieren, in denen das Gehirn noch nicht irreversibel geschädigt ist, könnte eine Reduktion von ß-Amyloid zu einem langsameren Fortschreiten führen", führt er weiter aus.
Beide Ansätze, Entfernung agonistischer Autoantikörper und passive Immunisierung gegen β-Amyloid-Peptide, scheinen aussichtsreich zu sein. Auch wenn die Bestimmung der agonistischen Autoantikörper noch nicht von den Krankenkassen bezahlt wird, könnte es sich künftig lohnen, die Bestimmung agonistischer Antikörper in die Labordiagnose miteinzubeziehen.