Von der Tumorenentfernung im Kopf-Hals-Bereich über die Implantation von Reflux-Schrittmachern bis hin zur Prostata-Biopsie: Roboter haben den Operationssaal erobert. Immer öfter werden sie Ärzte bei ihrer Arbeit unterstützen – aber nicht ersetzen.
Rund 74 Prozent aller Bürger sind modernen Technologien im OP gegenüber äußerst aufgeschlossen. Zu diesem Ergebnis kamen Marktforscher von Porsche Consulting bei einer repräsentativen Umfrage mit 1.000 Personen ab 16 Jahren. Von ihnen befürworten 33 Prozent generell, dass Roboter Eingriffe durchführen. Weitere 33 Prozent sind einverstanden, falls sich dadurch das Risiko ihres Eingriffs verringert. Einige Beispiele aus der Praxis zeigen, welche Vorteile Technologien schon heute haben.
Unsere Reise beginnt im Kopf-Hals-Bereich. Weltweit hat sich die transorale Lasermikrochirurgie als Standardverfahren zur Behandlung von Tumoren etabliert. Trotz aller Vorteile ist die Sicht von Chirurgen auf das OP-Gebiet oftmals eingeschränkt. Deshalb forschen mehrere Arbeitsgruppen weltweit an der transoralen Roboter-assistierten Chirurgie (Transoral Robotic Surgery, TORS). Dabei hält der Operateur sein Skalpell oder seine Pinzette nicht direkt in der Hand, sondern führt diese mittels der mechanischen Arme seines Roboters. Er steuert die Geräte mit einer Konsole, während er vor einem Bildschirm sitzt. Live-Bilder zeigen den Fortschritt bei Eingriffen. Am häufigsten wird das bekannte Da Vinci-System verwendet. Es hat jedoch einige Nachteile: Seine Operationsarme besitzen wenige Gelenke und sind recht voluminös. „Die Zugänglichkeit zum Gewebe, insbesondere in tieferen Abschnitten der Schluckstraße, war dadurch erschwert“, sagt Professor Dr. Stephan Lang, Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Essen. Seine Kollegen und er arbeiten jetzt mit einem flexiblen System, das speziell für Eingriffe im Kopf-Hals-Bereich entwickelt wurde. Greifer, Schere und andere Instrumente befinden sich in einem biegsamen Endoskop, mit dem der Chirurg Engstellen passieren kann. „Insbesondere Tumoren in schwer zugänglichen Regionen wie beispielsweise Zungengrund oder unterer Rachen konnten gut eingesehen und entfernt werden“, fasst Lang kürzlich veröffentlichte Erfahrungen zusammen. Ein weiterer positiver Aspekt sei das „taktile Feedback“, welches dem Operateur über seine Instrumente vermittelt werde.
Vom Kopf-Hals-Bereich geht es weiter in Richtung Speiseröhre. Professor Dr. Gero Puhl von der Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Asklepios Klinik Altona, behandelt seit Jahren Patienten mit Reflux. Kürzlich hat er den ersten Ösophagusschrittmacher mit Hilfe eines Da Vinci-Systems implantiert: © Asklepios Kliniken Hamburg „Am Übergang zur Speiseröhre müssen ohne die Gefahr des Verrutschens zwei Elektroden befestigt werden“, sagt Puhl. Dies erfolge normalerweise durch eine Schlüssellochoperation mit starren Instrumenten. Vom neuen System ist er begeistert: „Die Vorteile der roboter-assistierten Operationsmethode liegen auf der Hand: Größtmögliche Präzision in einem sehr engen OP-Gebiet aufgrund der hohen Vergrößerung und der enormen Bewegungsfreiheiten der Instrumente.“
Forscher an der TU Darmstadt interessieren sich für noch tiefer gelegene Regionen. Im Rahmen ihres DFG-geförderten Projekts FLEXMIN versuchen sie, Roboter für die Entfernung von Tumoren des Enddarms zu entwickeln. Ihr Plan sieht vor, Instrumente und eine Minikamera transanal einzuführen. „Das schont den Patienten, denn der Verzicht auf Schnitte beschleunigt die Heilung“, erklärt Dr. Christian Hatzfeld von der TU Darmstadt. Bisherige Chirurgieroboter haben bei dieser speziellen Aufgabenstellung ihre Schwächen. Ihnen fehlt das sprichwörtliche Fingerspitzengefühl, um zu erkennen, wo knotiges krankes Gewebe endet und gesundes anfängt. Daher haben Forscher Sensoren entwickelt, die ihren Gerätschaften eine Art Tastsinn verleihen. Für Standardaufgaben wie das Setzen von chirurgischen Nähten gibt es sogar vollautomatische Programme. Eine weitere Besonderheit ist eine extreme Leichtgängigkeit, die noch kein Roboter zuvor erreichte.
Wir bewegen uns vom Gatrointestinal- zum Urogenitaltrakt. Am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) arbeiten Ärzte mit dem bundesweit ersten System von Soteria Medical zur robotergestützten Prostatapunktion. Projektpartner ist das niederländische Universitätsklinikum Radboud. „Das herkömmliche Vorgehen ist relativ kompliziert, zeitaufwendig und teilweise für den Patienten belastend“, sagt Privatdozent Dr. Michael Moche, von der Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am UKL. Bislang mussten Bereiche, in denen Ärzte Tumoren vermuteten, umständlich über ein manuelles Führungssystem angezielt werden. „Der Patient liegt bis zu einer Stunde bäuchlings im MRT, besonders die zweite Hälfte der Prozedur wird von vielen Patienten als belastend empfunden“, so Moche weiter. Dank neuer Systeme halbiert sich die benötigte Zeit. Das Ziel lässt sich direkt über Bilder vom MRT ansteuern. Mit technischer Präzision wird der beste Zugangsweg automatisch gewählt. Aufgrund der MRT-Nähe bestehen alle Teile des neuen Assistenzsystems aus Kunststoff. Sie werden pneumatisch, nicht elektrisch, gesteuert. „Die vielen bisherigen Annäherungsschritte, die eine Menge Zeit kosteten, fallen weg“, berichtet Moche. „Wir können nun auch Proben aus mehreren Läsionen viel schneller hintereinander entnehmen.“ Ein entscheidender Aspekt: Den Einstich selbst nehmen aber nach wie vor Ärzte vor, und nicht der OP-Roboter.
„Ob es uns gefällt oder nicht: Die Zukunft der Medizin liegt eindeutig im vermehrten Einsatz von technologischen Hilfsmitteln“, sagt Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswesen und Pharma bei Pricewaterhouse Coopers in Deutschland. Die Unternehmensberatung hat ebenfalls Untersuchungen zur Robotik veröffentlicht. Roboter würden Ärzte nicht ersetzen. „Wohl aber werden sie ihm immer mehr Aufgaben abnehmen“, so Burkhart weiter. Statt von „Artificial Intelligence“ könne man daher auch von „Assistent Intelligence“ sprechen: „Der Roboter als rechte Hand des Arztes.“