Krebsbehandlung basiert meist auf dem Abtöten von sich teilenden Zellen. Am einfachsten wäre es, wenn sich die Tumorzellen mittels Apoptose einfach selbst umbringen würden. Mit der Unterstützung durch eine neue Substanz scheint das nun möglich.
Eine Krebsbehandlung ist trotz der inzwischen großen Erfahrung noch immer eine Behandlung mit Unsicherheiten: wie spricht ein Tumor auf Bestrahlung an, wie auf Chemo- oder Krebsimmuntherapie? Wie aggressiv ist ein Tumor? Welche Nebenwirkungen bekommt ein Patient? Für Patienten sind neben der latenten Todesangst häufig die mitunter sehr starken Nebenwirkungen problematisch.
„Oftmals ist es doch so, dass eine achtwöchige Therapie zu einer Verlängerung der Überlebenszeit von nur wenigen Wochen führt. In dieser Zeit leben aber viele Patienten nur für die Statistik, denn es geht ihnen sehr schlecht“, erläutert Prof. Dr. Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie der Universität Wien und Leiter der Forschungsplattform Translational Cancer Therapy Research. Eine Substanz einer völlig neuen Wirkstoffklasse, ein first-in-class compound, soll nun einiges ändern. NKP-1339 heißt der Wirkstoff, der im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes der Fakultät für Chemie der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien entwickelt wurde.
Apoptose aufrechterhalten
Die Substanz greift am GRP78, dem Glucose-related-protein 78, an; einem Protein, das in Zellen für die Müllabfuhr verantwortlich ist: Es entsorgt fehlgefaltete Proteine. Wird in einer Zelle ein gewisses Maß an fehlerhaften und missgefalteten Proteinen überstiegen, so wird beispielsweise über den mitochondrialen Pathway die Apoptose eingeleitet. In Tumorzellen gibt es extrem viele fehlgefaltete Proteine, doch die Ansammlung von Proteinschrott und der sinnvolle Zelltod wird verhindert, indem die Produktion von GRP78 in Tumorzellen hochreguliert wird. Dieser für den Organismus lebensgefährliche Mechanismus wird durch NKP-1339 unterdrückt. Dadurch bleibt die Menge an GRP78 auf einem normalen Maß und sobald sich zu viel fehlerhaftes Protein angehäuft hat, wird die Apoptose eingeleitet.
Resistenzbildung verhindern
Die Möglichkeit der Resistenzbildung gegen Therapeutika hängt – unter anderem – davon ab, dass GRP78 hochreguliert wird und schadhaften Zellen das Überleben sichert. Prof. Keppler erklärt: „Wir erwarten sozusagen einen Doppelnutzen: einerseits durch die Regulierung der GRP78-Menge auf ein sinnvolles Niveau und gleichzeitig durch eine geringere Resistenzentwicklung und damit bessere Wirksamkeit anderer, in Kombination verabreichter Präparate“, erklärt er.
Gute Anti-Tumorwirkung und gute Verträglichkeit
In einer abgeschlossenen Phase 1 Studie zeigten die Wissenschaftler und Mediziner nun, dass die Substanz krebshemmend wirkt und gut verträglich ist. Behandelt wurden etwa 30 Patienten mit Lungen- und Dickdarmkarzinomen, Kopf-Hals-Tumoren und neuroendokrinen Tumoren u.a. In den therapeutisch relevanten Dosierungen zeigte sich als Nebenwirkung nur leichte Übelkeit und leichtes Fieber – ein gutes Profil für ein Tumortherapeutikum. Die Hälfte der Patienten sprach auf die Therapie an – eine hohe Quote wenn man bedenkt, dass die Patienten vor Einschluss in die Studie als austherapiert galten und nur noch eine geringe Lebenserwartung hatten.
NKP-1339 gezielt einsetzen
Das geringe Nebenwirkungsprofil hängt vermutlich mit dem ausgefeilten Transport- und Wirkmechanismus zusammen. NKP-1339 ist eine Substanz auf Rutheniumbasis. Ruthenium ist ein Metall. Es kann, wie Eisen, an den Eisentransporter Transferrin binden. Nach einer Infusion von NKP-1339 binden die Moleküle innerhalb von drei Minuten komplett an Albumin und Transferrin. Da Tumorzellen auf Grund der vermehrten Zellatmung einen stark erhöhten Eisenbedarf und in Folge dessen einen stark erhöhten Transferrinrezeptorstatus aufweisen, wird NKP-1339 vorrangig und gezielt zu den Tumorzellen transportiert.
Des Weiteren finden sich in Tumorzellen durch den Laktatstoffwechsel ein niedrigerer pH-Wert und ein reduktives Milieu im Vergleich zu gesunden Zellen. Diese Gegebenheiten machten sich die Wissenschaftler ebenfalls zu Nutze. Erst durch die Reduktion von Ru3+ zu Ru2+ wird die Substanz aktiviert. Das bedeutet, dass NKP-1339 so lange es an Transferrin gebunden ist im Körper zirkuliert, ohne am Gewebe zu wirken. Andererseits wird es in gesunden Zellen mit physiologischem pH-Wert nur in geringem Maße aktiviert.
Kombination mit etablierten Therapien sinnvoll
Prof. Keppler strebt nun eine Phase 2-Studie an, in der vor allem Patienten mit Tumoren eingeschlossen werden sollen, für die es kaum Therapieoptionen gibt. Besonders erfolgversprechend war in der Phase 1 die Behandlung von Patienten mit neuroendokrinen Tumoren. Aber auch für Kopf-Hals-Tumore und andere Krebsarten scheint die Behandlung sinnvoll. „Verglichen mit Phase 1-Daten von inzwischen etablierten Therapeutika, wurden in einer so frühen Phase selten so gute Erfolge gesehen. Wir beobachten ein gutes Ansprechen auf die Therapie und die gute Verträglichkeit“, betont Prof. Keppler. „Dazu möchten wir bald das Zusammenspiel mit anderen Tumortherapeutika untersuchen“. Ob sich auch in der Kombination mit etablierten Therapien deutliche Vorteile für die Patienten ergeben ist noch unklar. Ebenso wird es interessant zu sehen, ob dann andere Nebenwirkungen auftreten, bzw. ob und wie sich das Nebenwirkungsprofil der etablierten Therapien verändert. In der Langzeitbeobachtung wird man sehen, ob der Eingriff in den mitochondrialen Pathway an anderer Stelle im Körper Auswirkungen hat.
Neue Behandlungsmethoden wirksam
Offensichtlich tut sich gerade einiges auf dem „Tumormarkt“. Wie vor einigen Wochen bei DocCheck berichtet wurde, scheint auch eine Immunisierung mit tumorassoziierten Peptiden gegen Nierenkrebs wirksam zu sein. In der Vergangenheit scheiterten Immunisierungsansätze regelmäßig. Doch nun scheinen sich auf verschiedenen Wegen neue Möglichkeiten zur Behandlung verschiedenartigster Tumoren und Krebsleiden zu eröffnen.