Mit oder ohne Rezept? Bei der "Pille danach" streiten Ärzte, Apotheker und Politiker mit Leidenschaft über einen möglichen OTC-Switch. Sicher ist: Die Apothekenpflicht bleibt, und ohne detaillierte Beratung dürfen entsprechende Präparate nicht abgegeben werden.
Kondom geplatzt, Pille vergessen oder vor Leidenschaft nicht an Verhütung gedacht – derartige Pannen ereignen sich selten am hellichten Tag. Betroffene Frauen müssen momentan in gynäkologische Ambulanzen oder Bereitschaftspraxen gehen, um sich ihre "Pille danach" verschreiben zu lassen. Anschließend geht die Nacht-und-Nebel-Aktion weiter, zur nächsten Notdienstapotheke – zahlreiche Hindernisse, denen Frauen in einer belastenden Situation ausgesetzt sind. Um Patientinnen diese Tortur zu ersparen, fordern Politiker, Apotheker und Ärzte schon länger, Notfallkotrazeptiva auf Basis von Levonorgestrel rezeptfrei abzugeben.
Die Regierung bremst
Grund genug für die Linke, sich im Rahmen einer kleinen Anfrage nach Details zu erkundigen. Regierungspolitiker antworten lapidar, für entsprechende Änderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) zeichne sich im Bundesrat derzeit keine Mehrheit ab. Außerdem, so hieß es aus Berlin, spräche "die Bedeutung der ärztlichen Beratung im Falle einer Verhütungspanne" gegen jegliche Liberalisierung. Insofern stehe eine Verschreibungspflicht "im Kontext von Schwangerschaftsverhütung und Sexualaufklärung". Oppositionsvertreter sehen das anders.
"Befreiung aus der Verschreibungspflicht“
Dr. Karl Lauterbach, Dr. Frank-Walter Steinmeier und andere SPD-Politiker forderten kürzlich, es sei an der Zeit, dass auch in Deutschland "eine Befreiung der "Pille danach" aus der Verschreibungspflicht" erfolge. In mindestens 79 anderen Staaten weltweit gibt es Präparate auf Basis von Levonorgestrel rezeptfrei in Apotheken. Auch haben Gynäkologen seit über 30 Jahren Erfahrung mit diesem Hormon. Es wirkt ovulationshemmend und unterbindet möglicherweise die Verschmelzung von Spermium und Eizelle, beeinflusst die Einnistung befruchteter Oocyten jedoch nicht. Von "Abtreibungspille", wie teilweise zu lesen ist, kann nicht die Rede sein. Sozialdemokraten bewerten das Medikament als wichtiges Mittel gegen ungewollte Schwangerschaften und letztlich auch gegen Schwangerschaftsabbrüche. Noch in dieser Legislaturperiode soll die AMVV angepasst werden, so ihr Plan.
Unterstützung auf breiter Basis
Antragsteller berufen sich auf nationale und internationale Empfehlungen: Sowohl das europäische Parlament als auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatten in den letzten Jahren mehrfach geraten, die "Pille danach" rezeptfrei über Apotheken abzugeben. Bereits 2004 kam Gerhard Schröders Koalition zu der Erkenntnis, weder gesundheitliche Risiken noch ein besonders leichtsinniges Verhütungsverhalten seien durch den OTC-Switch zu erwarten. Ansonsten wird die Initiative kaum, wie kritisiert wurde, im Bundesrat scheitern. Mehrere Länder verfolgen ähnliche Strategien zur Notfallkontrazeption.
Rezeptfrei in anderen Ländern
"Pro Familia fordert, dass die Pille danach auch in Deutschland rezeptfrei sein muss wie schon in 28 europäischen Nachbarländern", sagt deren Vorsitzende Professor Dr. Daphne Hahn. Dazu gehören unter anderem Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien inklusive Nordirland, Island, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Spanien und die Türkei. Amerikanische Frauen über 17 bekommen Levonorgestrel ebenfalls rezeptfrei als Notfallkontrazeptivum. Hahn kritisiert, Regierungsvertreter stützten sich bei ihrer ablehnenden Haltung auf Aussagen von Frauenärzten, die eine ärztliche Beratung vor Einnahme der "Pille danach" unbedingt für notwendig hielten.
Gynäkologen auf der Bremse
"Steroidhormone zur Notfallkontrazeption sind keine beliebigen Pharmaka, sondern hochwirksame und daher indiziert zu verordnende Substanzen. Sie erfordern unbedingt ärztliches Know‐how und Begleitung", erklärt der Berufsverband der Frauenärzte in einer Stellungnahme. Kollegen verweisen auf "nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen“ wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen oder Dysmenorrhoe hin. Im Ausland sei vor allem "aus personeller und finanzieller Not" die Verordnungspflicht aufgehoben worden. Die Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen habe man dadurch nicht verringern können. Auch sei eine Notfallkontrazeption in mehr als 50 Prozent der Fälle überflüssig – nur während fruchtbarer Tage besteht das Risiko einer Schwangerschaft. Und nicht zuletzt erleiden 13 Prozent aller Mädchen mit deutscher Staatsangehörigkeit und 19 Prozent mit Migrationshintergrund Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen. Hier sind ärztlichen Beratung und forensischen Beweissicherung von besonderer Relevanz.
Die Wissenschaft weiß mehr
Hahn: "Dagegen kommen internationale Studien zu dem Schluss, dass die Informationen aus dem Beipackzettel gut verstanden werden und die Pille danach sehr gut verträglich ist." Weder in Frankreich noch in England sank nach Entlassung von Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht der Gebrauch regulärer Verhütungsmittel (Studien: hier & hier). Auch praktizierten nicht mehr Menschen Geschlechtsverkehr ohne Verhütung. Das bestätigten Wissenschaftler der Cochrane Collaboration. Als weiteren Aspekt konnten sie zeigen, dass sexuell übertragbare Erkrankungen trotz OTC-Notfallkontrazeptivum nicht häufiger auftraten.
"Spirale danach“ effektiver
US-Gynäkologen zeigten jedoch Mitte dieses Jahres, dass die "Spirale danach" weitaus zuverlässiger vor einer ungewollten Schwangerschaft schützt als die "Pille danach“. Das geht aus 42 Studien mit mehr als 7.000 Frauen hervor. Von 1.000 Patientinnen, die nach Verhütungspannen ein Intrauterinpessar bekamen, wurde nur eine schwanger, das Risiko lag folglich bei 0,1 Prozent. Unter Levonorgestrel waren es ein bis drei Prozent. Hinzu kommt als Benefit, dass die "Spirale“ innerhalb von fünf Tagen nach ungeschütztem Verkehr in den Uterus einzusetzen ist, während zur pharmakologischen Notfallkontrazeption gerade einmal 72 Stunden Zeit bleiben.
Andere Länder – andere Unsitten
Sollte die "Pille danach" aus ihrer bisherigen Rezeptpflicht entlassen werden, sind dennoch strenge Regelungen, wie bei allen OTCs, vorgesehen. Umgebaute Getränkeautomaten, über die Studenten einer US-Hochschule die "Pille danach" erwerben können, wird es mit Sicherheit nicht geben. An erster Stelle ist bei uns die Apothekenpflicht zu nennen. Seit jeher gelten Apotheken als niedrigschwellige Anlaufstellen für Patienten, und momentan ist das Notdienstnetz noch vergleichsweise dicht. Auch müssen laut neuer Apothekenbetriebsordnung Patienten generell beraten werden. Bei der Notfallkontrazeption sind beispielsweise Hinweise auf Leberschäden abzufragen, eine mögliche Schwangerschaft gilt als Kontraindikation. Ob die Abgabe von hochdosiertem Levonorgestrel an weitere Bedingungen wie eine Dokumentationspflicht geknüpft wird, ist noch offen.