Von genial bis fragwürdig war alles dabei: Beim Health 2.0-Kongress in Berlin gaben sich die Entwickler medizinischer Apps die Klinke in die Hand. Manches könnte bald Standard werden. Anderes ist zumindest hier zu Lande schwer nachvollziehbar.
Alexander Börve ist ein Typ, der wahrscheinlich niemals schläft. Er ist eigentlich Wirbelsäulenchirurg und Dozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Gothenburg in Schweden. Nebenher hat er mit iDoc24 ein Web 2.0-Startup gegründet. Der Dienst iDoc24, den Börve bei dem Kongress vorstellte, bietet tele-dermatologische Konsultationen an, bei denen die Kamera-, Internet- und Bezahlfunktionen von Smartphones genutzt werden. Für 25 Euro schickt man, ganz anonym natürlich, ein Foto der bestimmten Hautstelle an den Anbieter und kann dieses von einem der derzeit vier Dermatologen beurteilen lassen. Die Ärzte praktizieren im Alltag in Schweden, Großbritannien und Spanien. Leberfleck- und Genitalaufnahmen am häufigsten Der Befund kommt innerhalb von 24 Stunden, in der Regel deutlich schneller. Besteht dermatologischer Konsultationsbedarf, wird der Besuch eines Hautarztes empfohlen. Aber nicht einfach so: Mithilfe von Geolokalisationsdiensten und Anbieterdatenbanken werden entsprechende Anlaufstellen in der unmittelbaren Umgebung direkt in der App angezeigt. Das Ganze ist einfach, gradlinig und es funktioniert. "Wir verdienen damit Geld und die Patienten schätzen es sehr", so Börve. Ursprünglich hatte er erwartet, dass vor allem Patienten den Dienst nutzen, um Leberflecke einschätzen zulassen. Mittlerweile verwenden jedoch vor allem Menschen, die Genitalprobleme haben und wissen wollen, ob und wo sie sich behandeln lassen sollten, die App. Smartphone-Screening Eine ähnliche App, die aber explizit auf die Hautkrebsfrüherkennung fokussiert ist, ist skinScan vom US-Anbieter mySkin. Das Programm arbeitet mit Algorithmen aus der Dermatoskopie, die für Smartphones angepasst wurden. Diese schätzen die Dignität einer Hautläsion anhand der ABCDE-Regel automatisch ab. „Es handelt sich um ein Screening-Werkzeug, nicht um ein Werkzeug für die Diagnose“, betonte Aleksander Lazarov von mySkin. Bei Verdacht auf Malignität wird an einen Dermatologen verwiesen. Auch Online-Expertenkonsultationen werden angeboten. Das Foto kann zudem gespeichert werden und dient, wenn später derselbe Nävus erneut fotografiert wird, zum Vergleich. Eine Integration in die Gesundheitsplattform HealthVault ermöglicht es, die Daten nachbehandelnden Ärzten zur Verfügung zu stellen oder in Online-Gesundheitsakten zu exportieren. Digitales Miktionstagebuch Anwendungen wie iDoc oder skinScan platzieren sich bewusst als Ergänzung der traditionellen medizinischen Versorgungswelt im Internet. In Deutschland werden derartige Angebote traditionell skeptisch gesehen. Es gibt aber mittlerweile auch immer mehr Apps, die direkt für den Gebrauch in der niedergelassenen Praxis entwickelt werden und die häufig sogar mehrsprachig zur Verfügung stehen. Die Firma Synappz in den Niederlanden hat beispielsweise eine App, iP Voiding Diary, für Menschen mit Miktionsstörungen entwickelt. Es handelt sich im Prinzip um ein Smartphone-basiertes Miktionstagebuch, das die aufgenommene Flüssigkeit sowie die Miktionsmenge anhand hübscher Icons unkompliziert per Handy dokumentiert. Zusätzlich werden je nach Fragestellung Parameter wie z. B. Urindrang oder Anlass für den Urinabgang erfasst. Das System erstellt automatisch von einem kompletten Beobachtungszyklus einen Gesamtbericht. Dieser wird an den behandelnden Arzt weitergeleitet und kann vom Patienten selbst eingesehen werden. Das ist einfach, sieht hübsch aus und ist vom Ansatz her ziemlich überzeugend. Was die Zukunft seiner App angeht, ist Synappz-Gründer Erik van der Zijden optimistisch. Ihm schwebt vor, dass Urologen ihren Patienten die App als Alternative zum Papiertagebuch "verordnen" und sich damit indirekt selbst die Auswertung erleichtern. 3D-Rekonstruktion vom Penis auf dem Sofa möglich Durch die enge Zusammenarbeit mit Urologen sind die Synapzz-Visionäre mittlerweile noch auf eine ganz andere Idee gekommen: Sie entwickeln gerade eine App, die sich an Patienten mit einem krummen Penis richtet. Bei diesen Patienten hilft in einem bestimmten Stadium nur noch die Operation. Dazu muss der Urologe den Penis in erigiertem Zustand analysieren, um den Eingriff planen zu können. Im Alltag würden dafür häufig Injektionen eingesetzt, um überhaupt erst einmal eine Erektion auszulösen, so van der Zijden. Mit der App soll das künftig sehr viel einfacher gehen, nämlich Zuhause und ohne Injektion. Entsprechend einer Anleitung fotografieren die Patienten ihren erigierten Penis mithilfe eines iPads aus unterschiedlichen Perspektiven. Eine auf dem iPad installierte Software für 3D-Rekonstruktion errechnet daraus dann ein 3D-Modell für die OP-Planung. Für die Patienten dürfte das in der Tat deutlich angenehmer sein. Es habe aber auch noch einen weiteren Vorteil, so van der Zijden: Die Arzt-Patienten-Kommunikation über die geplante Operation könne auf diese Weise sehr viel entspannter erfolgen als "in situ" am steil aufgerichteten Glied.