Wenn von Internetsucht die Rede ist, dann meistens in Zusammenhang mit exzessivem Spielen. Ein anderer Bereich wird dagegen meist weniger thematisiert: die Pornografie. Schon Jugendliche greifen auf einschlägige Sites zu.
Die Medienabhängigkeit, speziell die Computer- und Internetsucht, wurde lange Zeit nicht so recht ernst genommen. Mittlerweile mehren sich aber Studiendaten, die die Problematik untermauern. Valide Daten zur Prävalenz der Internetsucht in Deutschland gibt es etwa aus der Pinta-Studie. Darin gehen die Studienautoren davon aus, dass hierzulande in der Altersgruppe der 14- bis 64-Jährigen 1,5 Prozent "internetabhängig" sind. Bei den 14- bis 24-Jährigen beträgt die Prävalenz 3,8 Prozent, bei den 14- bis 16-Jährigen 6,3 Prozent. Nicht ganz unerwartet sind es also vor allem Jugendliche, die PC und Internet pathologisch nutzen. Doch was bedeutet das Prädikat "internetabhängig" oder "internetsüchtig" eigentlich konkret?
Verlierer im realen Leben
"Nennen wir ihn Thomas“, sagt Professor Dr. Christoph Möller, Chefarzt des Kinder- und Jugendkrankenhauses Auf der Bult in Hannover. Thomas ist 16 Jahre alt und führt seit zwei Jahren ein Leben, das hauptsächlich in einer virtuellen Welt stattfindet. Stunden, manchmal sogar tagelang verliert er sich in einem Online-Rollenspiel, in dem er mächtig ist, Anhänger hat, Erfolge feiert. Aus der realen Welt, in der ihm die Verliererrolle anhaftet, in der er Probleme mit Eltern und Lehrern hat und von Mitschülern bestenfalls gehänselt wird, klinkt er sich aus. Ein Extrembeispiel? "Unter den jungen Patienten, die zu uns kommen, nicht“, sagt Möller.
Typisches Beispiel
Mit Alkoholmissbrauch vergleichbar
Parallelen zu stoffgebundenen Süchten finden sich auch auf physiologischer Ebene. "Hirnscans haben gezeigt, dass etwa Egoshooter-Spiele zu einer Dopaminausschüttung führen, die der bei einem Kokain-Rausch vergleichbar ist“, sagt Möller. Darüber hinaus wird der Suchtdruck bei Computerspielen offenbar auf ähnliche Weise getriggert, wie beim Alkoholmissbrauch. "Setzt man chronische Spieler Computerspiel-assoziierten Reizen aus, lassen sich Aktivierungen im Gehirn aufzeichnen, die denen eines Alkoholikers beim Anblick eines Bieres entsprechen“, sagt Möller. Bei Computerspielen kommt noch das hinzu, was Fachleute eine intermittierende Verstärkung nennen: "Die Spieler kriegen eine Belohnung, wissen aber nicht wann." Das hält sie bei der Stange und fördert die Sucht. Auch wenn es derzeit noch keinen Konsens gibt, wann eine Computer- oder Internetsucht vorliegt, so zeigt dieses Beispiel doch, in welchen Dimensionen man denken muss. Und süchtig machen nicht nur Spiele.
Die Macht der Bilder – Internetsexsucht
Eine andere Spielart der pathologischen Internetnutzung ist die Online- oder Internetsexsucht. Nach Ansicht der Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Tabea Freitag, Haste, lässt sich das Phänomen mittlerweile nicht mehr ignorieren. Sie verweist darauf, dass sich 2008 laut einer Onlinebefragung mehr als 60 Prozent aller Männer und etwa 10 Prozent aller Frauen in Deutschland täglich oder wöchentlich pornografische Inhalte im Internet anschauten. Und auch beim Pornografiekonsum Jugendlicher spielen neue Medien nach verschiedenen Erhebungen eine relevante Rolle.
Kostenloser Kick
So gaben bereits in der JIM-Studie zwölf Prozent der Jungen und sechs Prozent der Mädchen zwischen 12 und 19 Jahren an, mindestens einmal wöchentlich Pornosites im Internet aufzurufen, in der Dr. Sommer Studie von 2009 surften 38 Prozent der befragten 11- bis 17-Jährigen aktiv Porno-Sites an. Aber muss man deswegen gleich das Schreckgespenst der Sucht an die Wand malen? Freitag führt ins Feld, dass sexuelle Reize einen besonders starken Dopamin-Kick auslösen und Erotika mit das höchste Suchtpotenzial aller Internetangebote aufweisen. Darüber hinaus seien entsprechende Inhalte über das Internet jederzeit, meist kostenlos und ohne soziale Kontrolle verfügbar. Welche Folgen ein häufiger und regelmäßiger Konsum von Pornografie bei Jugendlichen haben kann, geht unter anderem aus der Porno im Web 2.0 Studie hervor.
Normales sexuelles Verhalten?
Demnach besteht die Gefahr, dass Jugendliche die dargestellten Szenen als normales sexuelles Verhalten wahrnehmen und sich Rollenverständnis und Wertewelt negativ entwickeln. Jungen geraten dadurch unter sexuellen Leistungsdruck, bei Mädchen entwickelt sich ein perfektionistischer Anspruch an das Körperbild. Freitag zufolge verstärkt häufiger Pornokonsum zudem die Neigung zur Gewaltpornografie und zu sexuellen Übergriffen. Und die Bilder lassen die Betrachter nicht mehr los. Sie generieren Wünsche und Handlungsimpulse, sodass jede Begegnung mit dem anderen Geschlecht sexualisiert und Sexualität immer mehr von der emotionalen Beziehung getrennt wird, so Freitag.
Henne oder Ei?
Welche Rolle spielen nun Computer und Internet in diesem Kontext? Möller sieht in ihnen vor allem ein Mittel, um unangenehme Gefühlszustände auszublenden oder durch angenehme zu ersetzen. „In der Regel liegt bei den Betroffenen eine Grundproblematik vor, gegen die Computer und Internet im Sinne einer Selbstmedikation eingesetzt werden.“ Für die Internetsexsucht geht Freitag jedoch noch einen Schritt weiter. Sie sieht bei Jugendlichen auch eine Entdeckergruppe, die über den Medienkonsum erst an pornografische Inhalte mit ihren stark belohnenden Reizen herangeführt wird.
Gedanken machen
Wie auch immer man den Stellenwert von Computer und Internet sieht, die Gesellschaft wird sich Gedanken machen müssen, wie sie mit dem Schadenspotenzial durch entsprechende Inhalte umgeht. Eine Stellungnahme von Professor Dr. Klaus Beier vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin in Berlin findet sich auf FAZ.net. Dort kommentierte er die Verfügbarkeit pornografischer Inhalte für Jugendliche mit den Worten: „Das ist ein großer unethischer Menschenversuch, und mir ist völlig rätselhaft, warum der so ungehindert ablaufen kann.“