Oppositionelles Problemverhalten ist eine bekannte Begleiterscheinung von ADHS. Auch andere psychische Störungen wie Tics, Angst- und Persönlichkeitsstörungen sind bei Kindern mit ADHS häufiger anzutreffen als bei Kindern ohne, wie Forscher nun nachwiesen.
Häufig machen Lehrer die Eltern von Kindern mit ADHS darauf aufmerksam: Neben der Unkonzentriertheit, Impulsivität und der ständigen Unruhe wollen die Kinder sich nicht an Regeln halten, sind "trotzig" und stören den Klassenfrieden. Die "Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten" (ICD-10: F 91.3) wird häufig mit ADHS in Verbindung gebracht. Diese und weitere psychische Störungen gelten als Komorbiditäten von ADHS, wobei sich die Wissenschaftler noch uneins darüber sind, was nun "Henne" ist und was "Ei": Aus psychodynamischer Sicht sind ADHS-Symptome die Folge von Traumatisierungen und Beziehungsstörungen.
Aufmerksamer bei psychischen Störungen
Verhaltensbiologisch orientierte Wissenschaftler beschreiben ADHS als eigenständiges Krankheitsbild, das weitere psychische Störungen zur Folge haben kann. Diese Frage konnten auch Kouichi Yoshimasu et al. von der Mayo Clinic Rochester, Minnesota, USA, nicht klären. Was sie jedoch zeigen konnten: Psychische Störungen sind so häufige Begleiter von ADHS, dass Kinderärzte und Psychologen hier besonders aufmerksam sein sollten, damit die Kinder adäquate Hilfe erhalten. Kouichi Yoshimasu und seinen Kollegen lagen die Daten von 5.718 Kindern (2.956 Jungen und 2.762 Mädchen) vor, die zwischen 1976 und 1982 in Rochester, Minnesota (USA), geboren sind und im Alter von 5 Jahren immer noch dort lebten. Medizinische Daten erhielten die Autoren von der Mayo Clinic, vom Olmsted Medical Center und den drei angeschlossenen Kliniken - diese sind in der Datenbank des Rochester Epidemiology Projects (REP) zusammengefasst. Des Weiteren stellten die Schulen ihre Daten zur Verfügung. Demnach hatten Schulpsychologen, Ärzte, Sozialarbeiter, Lehrer oder Eltern bei 1.961 Kindern Auffälligkeiten im Sinne von ADHS festgestellt.
Große Menge an Daten
Bei 379 dieser Kinder lag eine gesicherte ADHS-Diagnose vor, die Ärzte und Psychologen anhand von DSM-IV-Kriterien, ADHS-Fragebögen und klinischem Bild gestellt hatten. Diese 379 Kinder wurden bis zum Alter von 19 Jahren bzw. bis zu ihrem High-School-Abschluss passiv verfolgt. Zu jedem ADHS-Kind gab es zwei passende Nicht-ADHS-Kinder, die als Kontroll-Kinder zum Vergleich dienten. Die Autoren durchsuchten die REP-Datenbank nach weiteren Diagnosen bei den ADHS- und Kontroll-Kindern. Sie fanden 299 dokumentierte Diagnosen, die sie zu 10 Diagnose-Kategorien nach DSM-IV zusammenfassten. Schließlich lagen den Forschern die Daten von 343 ADHS-Kindern und 712 Kindern ohne ADHS vor. Kinder mit ADHS waren vorwiegend Weiße (p = 0,02), hatten häufig Mütter mit einem niedrigen Bildungsabschluss (p = 0,01) und relativ junge Mütter (p < 0,01) im Vergleich zu den Kontrollen. Es waren keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf perinatale Faktoren festzustellen.
Mindestens eine weitere psychische Störung
Von 343 ADHS-Kindern hatten bis zum Alter von 19 Jahren 213 (62 %) Kinder mindestens eine weitere psychische Störung. Im Gegensatz hierzu waren nur bei 19 % der Kontroll-Kinder psychische Störungen diagnostiziert worden. Die Anzahl der festgestellten psychiatrischen Störungen war bei den ADHS-Kindern deutlich höher als bei den Nicht-ADHS-Kindern (p < 0,001) – dabei gab es keinen Unterschied zwischen Mädchen und Jungen. Allerdings zeigten die von ADHS betroffenen Jungen deutlich häufiger ausschließlich externalisierende Komorbiditäten als die Mädchen (20,2 % vs. 7,0 %, p < 0,01).
ADHS-Kinder litten im Vergleich zu den Nicht-ADHS-Kindern signifikant häufiger unter oppositionellem Problemverhalten (Hazard Ratio [HR] = 9,54), Tics (HR = 6,53), Persönlichkeitsstörungen (HR = 5,80), Essstörungen (HR = 5,68), substanzbezogenen Störungen (HR = 4,03), Anpassungsstörungen (HR = 3,88), affektiven Störungen (HR = 3,67) und Angststörungen (HR = 2,94). Von ADHS betroffene Kinder mit Komorbiditäten litten deutlich häufiger unter sozialen, emotionalen und psychischen Schwierigkeiten als ADHS-Kinder, die keine weitere Störung aufwiesen. Die Studienergebnisse verdeutlichten einmal mehr, dass die "pure Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung" eher selten anzutreffen sei, so die Autoren.
Weitere Studien
Interessant in diesem Zusammenhang sind möglicherweise auch psychoanalytische Ansätze bei ADHS. Marianne Leuzinger-Bohleber und ihre Mitarbeiter vom Sigmund-Freud-Institut Frankfurt konnten in der "ADHS-Präventionsstudie" nachweisen, dass die Faktoren Ängstlichkeit, Aggression sowie Hyperaktivität bei Mädchen deutlich durch psychoanalytische Unterstützungsangebote im Kindergarten gesenkt werden konnten. Die Studie wurde von 2003–2006 an 14 Kindertagesstätten (Kita) mit 500 Kindern und einer ebenso großen Kontrollgruppe mit weiteren 14 Kontroll-Kitas durchgeführt. In einem Nachfolgeprojekt vergleichen die Frankfurter Wissenschaftler nun die Wirksamkeit psychoanalytischer Therapien und Verhaltenstherapien bei ADHS.