Seit einigen Jahren verursacht die Nachricht Unbehagen, dass Schichtarbeit Krebs verursachen könnte. Immerhin 19% der Erwerbstätigen der EU sind Schichtarbeitende. In vielen betroffenen Bereichen wird es auch zukünftig keine Möglichkeit geben, Nachtarbeit zu vermeiden.
Schichtarbeit kann vieles bedeuten. Beispielsweise können die Anzahl der möglichen Schichtabschnitte, die Häufigkeit der aufeinanderfolgenden Schichten als auch die einzelne Schichtlänge variieren. Es gibt Wechsel- und Dauerschichten. Häufig sind vor allem Zweischichtsysteme, die 16 Stunden des Tages abdecken und Dreischichtsysteme, die das Arbeiten rund um die Uhr ermöglichen. Schichtsysteme, die Nachtarbeit einschließen, unterbrechen den zirkadianen Rhythmus des Menschen. Die Störung des zirkadianen Systems ist der Grund für eine mögliche Förderung der Krebsentstehung. Wenn über das krebserregende Potential von Schichtarbeit gesprochen wird, sind also die Schichtsysteme gemeint, in denen auch nachts gearbeitet wird.
Schichtarbeit gilt als "wahrscheinlich karzinogen für den Menschen"
Die International Agency for Research on Cancer (IARC) hat 2007 eine erste Einstufung von Schichtarbeit als Gruppe 2A Karzinogen (wahrscheinlich karzinogen für Menschen) vorgenommen. Dies beruht auf beeindruckenden Ergebnissen aus vielen tierexperimentellen Studien und angedeuteten Risiken aus der epidemiologischen Studienlandschaft. Diese Einstufung bleibt auch nach Erscheinen der ausführlichen Monographie Schichtarbeit Ende 2010 bestehen. Drei neuere Studien aus Frankreich, Kanada und Schweden stützen diese Vermutung weiter. Erhöhte Risiken zeigt eine dieser Studien für Lungen-, Blasen-, Pankreas-, Prostata-, Kolon-, Rektumkarzinome und Non-Hodgkin-Lymphome bei Männern. Das ist daher brisant, da die meisten Studien der letzten Jahre vor allem auf erhöhte Brust- und Prostatakrebsrisiken hindeuteten. Die möglichen Wege, auf denen die Krebsentstehung gefördert wird, sind vor allem die Unterdrückung der nächtlichen Ausschüttung von Melatonin, eine direkte Störung von so genannten "Uhrengenen", die nahezu im ganzen Körper zu finden sind und die Störung der Schlaf-Wach-Homöostase.
Was passiert nun?
Ein notwendiger nächster Schritt ist es, weiterhin sorgfältig zu prüfen, ob sich das Krebsrisiko durch Nachtarbeit in neuen epidemiologischen Studien bestätigen wird. Dafür muss vor allem an einer einheitlichen Klassifikation von Schichtarbeit und der Definition von relevanten Unterbrechungen des 24h-Rhythmus (zirkadiane Disruption/ Chronodisruption) gearbeitet werden. Denn die Gefahr von Missklassifikationen und verzerrten Ergebnissen ist hoch, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Die Exposition "Schichtarbeit" ist sehr komplex und wird weltweit unter den unterschiedlichsten Bedingungen durchgeführt. Auch hier sollten in Studien nur möglichst ähnliche Belastungen miteinander verglichen werden. Außerdem spielen nicht nur externe Faktoren eine Rolle für die Toleranz gegen Nachtarbeit, sondern auch individuelle Voraussetzungen wie zum Beispiel der Chronotyp. Diese können zum Teil in zukünftigen Studien abgefragt werden.
Schichtarbeit als Berufskrankheit anerkannt
In Dänemark wurde bis Ende 2011 bei über 100 Frauen Brustkrebs als Berufskrankheit anerkannt, wenn diese Frauen unter anderem mehr als 20 Jahre mindestens vier Nächte im Monat gearbeitet hatten. Allerdings heißt das nicht, dass bei den Betroffenen die Verursachung der Krankheit durch die Schichtarbeit bewiesen wurde. Vielmehr mussten lediglich konkurrierende andere Ursachen ausgeschlossen werden. Diese Praxis ist in Deutschland nicht möglich, da hier umgekehrt eine Verursachung klar belegt werden muss. Die Sozialversicherungssysteme der beiden Länder unterscheiden sich zu grundlegend, um einfache Vergleiche ziehen zu können. In Dänemark werden alle Behandlungskosten durch die allgemeine Krankenversicherung gedeckt und lediglich kleine Renten bei einer anerkannten Berufskrankheit ausgezahlt. Daher können die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit dort viel großzügiger gehandhabt werden.
Was kann man heute schon tun?
Arbeitgeber können Schichtarbeitsbedingen nach neuesten arbeitsphysiologischen Erkenntnissen zunehmend optimieren. Zum Beispiel sollten zu viele Nachtschichten hintereinander vermieden werden. Die Rückanpassung an den normalen Tag-Nacht-Rhythmus wird für den Organismus sonst nach mehreren durchgearbeiteten Nächten (>3 Nächte) noch belastender, als die vorangegangene Einstellung auf die Nachtschicht selbst. Ausreichende Erholung zwischen den Schichten werden ebenso empfohlen, wie eine Mitgestaltung der Beschäftigten am Dienstplan und eine geregelte Nahrungsaufnahme während der Nachtarbeit, um nur einige Beispiele zu nennen. All das ist nicht zuletzt in Hinblick auf die bereits gesicherten Gesundheitsstörungen durch Unterbrechung der zirkadianen Rhythmik ohnehin sinnvoll. Neben einer eingeschränkten Tagesperformance, und kurzfristigen Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus und des Immunsystems sind das vor allem kardiovaskuläre und gastrointestinale Erkrankungen.
Nichts ist bewiesen
Im Tierexperiment gibt es beeindruckende Hinweise, dass die Störung von zirkadianen Rhythmen Krebs erzeugen kann. Die Epidemiologie kann diese Hinweise stützen aber dieses Risiko für den Menschen bislang nicht eindeutig belegen. Mögliche Entstehungspfade sind bekannt, aber die Zusammenhänge zu komplex, um deren Relevanz im "normalen Leben" abschließend beurteilen zu können. Die Wissenschaftler werden eindeutige Kausalitäten in absehbarer Zeit nur schwer herausarbeiten können. Eine Optimierung der Arbeitsbedingungen von Nachtarbeitern ist aber dennoch sowohl in Hinblick auf die bereits bekannten Gesundheitsstörungen, als auch auf mögliche Krebsrisiken unbedingt zu empfehlen.