Ist man mit 30 zu alt, um ein Medizinstudium zu beginnen? Dank doppelter Abiturjahrgänge und diverser Schulreformen werden die Medizinstudenten zumindest immer jünger. Wir haben uns den Gegenentwurf zum Jugendwahn einmal genauer angesehen und einen Ü30-Studenten befragt.
"Als ich meinen Eltern erzählte, dass ich mit meinen 30 Jahren noch ein Medizinstudium beginnen möchte, erhielt ich nur ein stummes Kopfschütteln als Antwort", erzählt Anton F.*. Es folgten weder erzieherische Standpauken, ein Appell an die Vernunft oder Versuche des Umstimmens. "Vermutlich akzeptierten sie diese Entscheidung einfach und hofften das Beste, weil ich bis hierher bereits bewiesen hatte, dass ich mein Leben im Griff habe." Für Anton kam die Entscheidung, Medizin zu studieren, nachdem er einige Jahre als Krankenpfleger gearbeitet hatte, wie von selbst: "Irgendwie hatte ich das Gefühl, auf der Stelle zu treten und wollte mehr. Das Medizinstudium war nur die logische Konsequenz."
Da ihm die Zeit als Krankenpfleger als Wartesemester angerechnet wurde, bekam er schnell einen Studienplatz. Es folgte ein rascher Umzug in die neue Wahlheimat und auf einmal führte er ein völlig neues Leben. Alt habe er sich neben seinen zumeist jüngeren Kommilitonen nie gefühlt. Interessenkonflikte habe es lediglich mit wenigen jüngeren Studenten gegeben: "Die hatten weder viel Ahnung vom Leben nach der Schule noch von der Medizin, benahmen sich aber mit ihren 19 Jahren manchmal so, als wäre ihnen die Lebenserfahrung schon mit der Muttermilch eingeflößt worden", so Anton. Zu Beginn hätte ihm das verschulte System des Studiums Probleme bereitet: "Man war es einfach nicht mehr gewohnt, die ganze Zeit gesagt zu bekommen, wann man was und wie zu tun hat." Als Krankenpfleger hätte er aber immer von seinem Vorwissen profitieren und vor allem das Relevante aus dem angebotenen Stoff herausfiltern können.
Ungebunden und abgesichert - ein Pluspunkt
Da er zum Studienbeginn ungebunden war, keine Kinder hatte und dank des elternunabhängigen BAföGs auch finanziell weitgehend abgesichert war, unterschied sich Anton kaum von seinen jüngeren Kommilitonen: "Ich glaube, das ist ein großer Pluspunkt, um im Semester anzukommen und Kontakte zu knüpfen, denn nicht zuletzt wird ja viel gefeiert und unternommen. Mit einer Familie lässt sich das schon schwieriger realisieren." Anton hat nun mit 35 Jahren das Studium fast beendet und bereut seine Entscheidung nicht.
Antons Geschichte dient als Paradebeispiel für ein erfolgreiches Medizinstudium jenseits der 30. Dass aber durchaus größere Interessenkonflikte entstehen können, als diejenigen mit jüngeren Kommilitonen, die sich in einem anderen Lebensabschnitt befinden, liegt auf der Hand. Auch die finanzielle Abgesichertheit ist nicht selbstverständlich. Zudem stellt sich auch die Frage: Ist der Traum des Medizinstudiums mit über 30 Jahren eine Flucht vor der Realität oder die Bestimmung des Lebens?
Money, Money, Money
Gerade als ehemals berufstätiger Späteinsteiger kann das Studium einen herben Einschnitt in den gewohnten Lebensstandard darstellen. Das Einkommen wird meist geringer, die Zeit für Nebenjobs ist eng begrenzt und Studiumskskosten müssen möglicherweise aus der eigenen Tasche beglichen werden. Nicht nur, dass der eigene Geldbeutel möglicherweise über die Maßen strapaziert wird, zudem bedeutet der Studentenstatus mit über 27 Jahren auch das Ende vieler Vergünstigungen. Unter anderem fallen beispielsweise Studententarife für die Bahncard, die ADAC-Mitgliedschaft, die Krankenkassenbeiträge und die Kontenführung weg.
Insbesondere was die Ausbildungsförderung durch das BAföG betrifft, gibt es für den Späteinsteiger ein paar wichtige Punkte zu beachten. Insgesamt gilt - von ein paar Ausnahmeregeln abgesehen (§ 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1-4) - dass nur derjenige eine Förderung erhält, der zu Beginn der Ausbildung das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Möchte man elternunabhängig gefördert werden, muss für mindestens 5 Jahre eine Erwerbstätigkeit vorgelegen haben. Fallen davon 3 Jahre auf einen Ausbildungszeitraum, sind sogar 6 Jahre nachzuweisen, in denen man selbstständig für seinen Lebensunterhalt aufgekommen ist.
Genauer nachlesen könnt Ihr das zudem hier.
Probleme für Bewerber mit einem bereits abgeschlossenen Studium ergeben sich außerdem aus § 7 Abs. 2 des BAföG. Hier wird festgelegt, dass die Förderung lediglich gewährt wird, wenn die weitere Hochschulausbildung eine abgeschlossene Hochschulausbildung ergänzt und für die Aufnahme des angestrebten Berufs rechtlich erforderlich ist. Nur: Welcher Studiengang bereitet auf ein Medizinstudium in derart vor, dass dieses nur "die Ergänzung" dazu darstellt?
Sinn des Lebens?
Für Anton war das Medizinstudium an einem bestimmten Punkt seines Lebens die logische Konsequenz seiner persönlichen Entwicklung. Nicht ganz so logisch scheint die Aufnahme des Medizinstudiums ohne den Hintergrund des Gesundheitsberufes. Woher kommen also die vielen Quereinsteiger unter den Altmedizinern? Man könnte behaupten, mit Anfang 30 wisse man genauer, wohin das Leben einen noch führen soll als noch mit Anfang 20. Die Entscheidung, Medizin zu studieren, könnte zu diesem Zeitpunkt also als das Ende eines Reifeprozesses gesehen werden. Könnte dieser Reifeprozess aber nicht auch einer Sinnkrise entspringen, welche der Gewissheit des gereiften Menschen eigentlich widerspräche? Oder folgt der 30-jährige Medizinstudent gar einer inneren Berufung, der er bisher nicht nachgeben konnte oder wollte?
Es findet sich ohne Frage eine bunte Mischung verschiedener Beweggründe für ein Medizinstudium jenseits der 30 wieder. Es gibt diejenigen, wie Anton, die sich bereits im Gesundheitssektor befanden und eine Ausbildung als Krankenpfleger, Rettungssanitäter oder Physiotherapeut abgeschlossen haben. Dies sind zum einen Studenten, die den NC nicht erfüllen konnten und ihre Wartesemester sinnvoll nutzen wollten oder Persönlichkeiten, die beruflich eine neue Herausforderung suchten. In meiner Studienzeit begegnete ich aber auch Kommilitonen deren Beweggründe gänzlich andere waren. So kann ich von Juristen berichten, die sich dem Medizinrecht verschrieben haben und in jeder Hinsicht fachlich brillieren wollten. Oder aber von Künstlern, deren Faszination der menschlichen Anatomie galt und Weltenbummlern, die nach etwas Handfestem suchten.
Ich bin sicher, dass eine Portion Lebenserfahrung - gerade in einem Beruf, wie dem des Arztes - nur von Vorteil sein kann. Wenn dann auch noch die fachlichen Kompetenzen eines vorhergehenden Ausbildungsberufes hinzukommen, bedeutet dies, meiner Meinung nach, die beste Grundlage für ein erfolgreiches Studium und vor allem einen erfolgreichen Berufsstart. Die alten Hasen sind hier den Jüngeren um einiges voraus. Ob die Voraussetzungen für eine Karriere aber die gleichen sein mögen, wage ich zu bezweifeln. Mit 42 Jahren hat es schon manch einer zum Chefarzt geschafft, der ältere Medizinstudent jedoch vermutlich erst zum Facharzt.
Streitfall Jung gegen Alt?
Ob die älteren Kommilitonen bei der jüngeren Studentengeneration wohlgelitten sind, lässt sich wohl nicht einheitlich und definitiv feststellen. Nehmen die Studenten über 30 Jahren den Jüngeren gar die Studienplätze weg? Ich habe verschiedene Antworten auf diese Frage bekommen. Insgesamt zeigten sich die befragten Medizinstudenten häufig aber von ihrer liberalen Seite. Zudem gab der überwiegende Teil der Befragten im Alter von 22 bis 35 Jahren an, dass die Entscheidung, ob ein Studium jenseits der 30 der richtige Weg sei, lediglich bei den Betreffenden selbst liege. Alle waren sich einig, dass finanzielle Einbußen und eine weniger steile Karriere mit dieser späten Entscheidung einhergehen würden. Trotzdem bekannten viele Studenten, dass auch sie zuerst einen anderen Weg eingeschlagen hatten, bevor sie bemerkten, dass ein Medizinstudium das Richtige für sie sei.
Unter den jüngeren Studenten gab es sogar den ein oder anderen, der rückblickend zugeben musste, dass der Studienwunsch Medizin eigentlich eine Verlegenheitsentscheidung gewesen sei. Sie fühlten sich also nicht berufen, sondern schlugen unsicher, was sie von ihrer Zukunft erwarteten, einen vermeintlich sicheren Weg ein. Ich bin überzeugt, dass unter ambitionierten jungen Medizinstudenten durchaus Missmut gegenüber älteren Kommilitonen entstehen kann, in meinem direkten Umfeld fand ich jedoch keine Anzeichen dafür.
*Der Name wurde, auf Wunsch des Interviewten, geändert.