Aus in der zweiten Runde: Am 14. November brach der Deutsche Apothekerverband (DAV) Gespräche über den Zwangsrabatt ab, zu verhärtet waren die Positionen. Dahinter steckt mehr als nur eine Dissonanz zwischen Spitzenverbänden: Ist das System der Selbstverwaltung bei Arzneimitteln überhaupt noch handlungsfähig oder müssen Politiker einschreiten?
Nachdem bereits am 17. Oktober Gespräche über den Kassenabschlag gescheitert waren, sah es beim nächsten Treffen nicht besser aus: Während der GKV-Spitzenverband am aktuellen Wert von 2,05 Euro festhalten möchte, fordern Apotheker 1,75 Euro – wie vor dem "Zwangsopfer" der Jahre 2011 und 2012. Ein Unterschied von 30 Cent macht bei rund 600 Millionen Rx-Packungen pro Jahr immerhin 180 Millionen Euro aus. Seit 2004 mussten Apotheken 10,4 Milliarden Euro an Rabatten abdrücken. Das Blatt hat sich gewendet Bei Einführung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) kämpfte so manche gesetzliche Krankenkasse um ihr nacktes Überleben, und Zusatzbeiträge, Fusionen sowie Insolvenzen waren die Folge. Heute haben Versicherer Milliarden auf der hohen Kante. Regierungspolitiker stoppten sogar die umstrittene Praxisgebühr – während jetzt Apotheken um ihre Existenz bangen. Unter diesen geänderten Vorzeichen stehen alle Gespräche zum Kassenrabatt. "Wir mussten diese Verhandlungsrunde abbrechen, denn wenn die Kassen nicht einmal die Ausgangsbasis anerkennen, kann man kaum sinnvoll verhandeln", sagt DAV-Chef Fritz Becker. Er sei "zutiefst verärgert über dieses unverantwortliche Handeln der Kassen, welche die Selbstverwaltung offenbar als Blockadeinstrument betrachten". Blick zurück – im Zorn Becker: "Damit rufen wir jetzt die Schiedsstelle an. Aber Schiedssprüche, auch das hat der GKV-Spitzenverband bereits bewiesen, akzeptieren die Herren nur, wenn sie so ausfallen, wie von ihnen gewünscht." In der Tat liefen entsprechende Schlichtungen in der Vergangenheit wenig rühmlich. Bereits 2009 gab es ein Schiedsverfahren um den Zwangsrabatt. Die Unparteiischen hatten 1,75 Euro als angemessen empfohlen, sehr zum Ärger des GKV-Spitzenverbands. Dieser klagte und bekam Mitte 2011 in erster Instanz vor dem Sozialgericht Berlin Recht. Damit wollte sich wiederum die Apothekerschaft nicht abfinden – und kontaktierte ihrerseits das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Zumindest stellten Richter im Eilverfahren unter Vorbehalt fest, dass die Differenz zum höheren Wert von 2,30 Euro zurückgezahlt werden muss. Auch für 2010 hatte die Schiedsstelle 1,75 Euro festgesetzt. Krankenkassen sprachen sich für diesen Wert aus, spekulierten aber offen mit dem juristischen Ausgang des ersten Verfahrens: Kippt der Wert für 2009, ist er auch für 2010 unwirksam, so die Hoffnung. Der DAV kritisierte neben dem Betrag auch diese unglückliche Verquickung – und klagte seinerseits. Beide Schiedssprüche müssen nun vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg verhandelt werden, sicher nicht mehr in diesem Jahr. Umso größer ist die Sorge, jetzt ein drittes Fass aufzumachen. Funktionäre der Kassen lehnen deshalb eine Schlichtung für die laufende Runde ab und fordern Lösungen im Gespräch. Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbands, postet über Twitter: "Die Krankenkassen wollen Verhandlungen fortsetzen. Das ist gelebte Selbstverwaltung.“ Sein Verband habe "die Verhandlungen geöffnet und einen Kompromissvorschlag für die Datenfrage gemacht". Der DAV müsse sich nun auch bewegen. Becker signalisierte Bereitschaft zum Dialog, sobald der GKV-Spitzenverband 2,05 Euro als "politisches Sonderopfer anerkennt". Handwerkliche Fehler Trotz aller Courage müssen sich DAV-Gremien ebenfalls Vorwürfe gefallen lassen. Das beginnt bei der Schiedsstelle selbst: Als Unparteiischer soll wieder einmal Professor Dr. Rainer Daubenbüchel fungieren. Er leitete bis Anfang 2008 das Bundesversicherungsamt und ist von früheren Gesprächen mit der Materie bestens vertraut. So weit, so gut, nur läuft seine Amtszeit in Kürze aus. Das V. Sozialgesetzbuch sieht weder im Paragraphen 89 noch im Paragraphen 129 eine Verlängerung vor. Daubenbüchel selbst machte klar, nur noch während einer Übergangszeit zur Verfügung zu stehen. Das bringt Apotheker und Kassenvertreter in die nächste Zwickmühle: Verständigen sie sich nicht auf eine Person, entscheidet das Los aus mehreren Vorschlägen. Schnell ist da eine Niete gezogen – Daubenbüchel hingegen war bei aller Neutralität Argumenten der Apothekerschaft gegenüber immer aufgeschlossen. Doch zurück zum DAV: Bis dato fehlt auch ein juristisches Gutachten, inwieweit die Apothekerschaft ab Januar 2013 Zwangsrabatte einseitig – unter Vorbehalt – bei 1,75 Euro festsetzen kann, sollte es zu keinem Konsens kommen. Die Öffentlichkeitsarbeit führt ebenfalls zu einem geteilten Echo. Palastrevolution in Berlin Mittlerweile startete die ABDA eine bundesweite Kampagne, um Kunden zu informieren. Mitgliedsorganisationen hatten dafür 500.000 Euro flüssig gemacht. Jetzt erscheinen Imageanzeigen mit dem Slogan "Was sich Krankenkassen herausnehmen, geht auf Ihre Kosten". In der Zwischenzeit zeigen sich immer stärkere Diskrepanzen zwischen Basis und Führung. Dr. Klaus Michels, Vorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, wünscht sich angesichts dieser Probleme eine offenere Diskussion. Das betrifft konkret anstehende ABDA-Wahlen, momentan steht Friedemann Schmidt als einziger Kandidat zur Verfügung. Michels kritisiert die mangelnde inhaltliche Tiefe künftiger Verbandsprogramme – Bekenntnisse zur inhabergeführten Apotheke, zum Versorgungsauftrag und zur angemessenen Honorierung reichen heutzutage eben nicht mehr aus. Er selbst bringt weitere Druckmittel ins Gespräch. Die Basis macht mobil Kassen brauchen dringend Unterstützung der Apothekerschaft, schließlich wollen sie bei umsatzstarken Blutzuckermessstreifen sparen. Michels: "Wir werden die Verhandlungen darüber einfrieren." Mit ähnlichen Überlegungen spielt auch der Apothekerverband Baden-Württemberg. Weitere Mitgliedsorganisationen sind mit der ABDA-Proteststrategie nicht einverstanden und gehen eigene Wege. So schlossen am 15. November rund 90 Prozent aller Apotheken im Kammerbezirk Brandenburg bereits mittags ihre Türen. Kunden wurden nur über die Notdienstklappe bedient. Protest-Faxe zeigten nicht die gewünschte Wirkung. Zwar schickten Apotheker bis zum 14. November rund 1.000 Fernkopien an den GKV-Spitzenverband. Gestört hat das kaum jemanden, da "die etwas veraltete Fax-Technik keine große Rolle mehr spielt", sagte ein Sprecher. DAV-Chef Fritz Becker, er stand als Chef des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg ebenfalls hinter dieser Maßnahme, muss sich nun mangelnde Kooperation vorwerfen lassen. Die ABDA will alle regionalen Aktionen zentral von Berlin aus zu koordinieren. Eigentlich sollten derartige Maßnahmen gar nicht erforderlich sein, falls das System funktionieren würde. Das Ende eines Modells „Selbstverwaltung heißt nicht, dass die Kassen alles selbst verwalten. Selbstverwaltung bedeutet das eigenverantwortliche Gestalten durch die Teilnehmer im Gesundheitswesen“, kritisiert Fritz Becker. Trotz lauter Töne aus Berlin mehren sich Stimmen, die am Modell der Selbstverwaltung zweifeln und eine politische Lösung fordern. Auch Becker sieht die Selbstverwaltung in diesem Punkt als weitgehend gescheitert an. Mittlerweile meldete sich Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU, zu Wort. Er hält 1,75 Euro für die richtige Gesprächsbasis. Zugleich forderte der Gesundheitsexperte vom DAV und vom GKV-Spitzenverband, alle Klagen zurückzuziehen und Schiedssprüche aus 2009 beziehungsweise 2010 zu akzeptieren. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bewertet das Thema ähnlich, will sich aber in laufende Gespräche nicht einmischen. Die von Becker verlangte gesetzliche Festlegung kommt sicher nicht von heute auf morgen. Apotheker machen deshalb in mehreren Kammerbezirken durch Streiks erneut Druck – das hat bereits ein Mal zum Erfolg geführt.