Gans und Glühwein fordern ihren Tribut: Alle Jahre wieder quält Sodbrennen die Menschheit. In jedem zehnten Fall steckt hinter anhaltenden Beschwerden eine gastroösophageale Refluxkrankheit. Pharmakotherapien zeigen häufig Erfolg, chirurgische Eingriffe sind selten geworden.
Schließt der Ösophagussphinkter den Magen nicht richtig, gelangt aggressive Magensäure in die Speiseröhre und greift deren Schleimhäute an – es kommt zu Reizungen und Entzündungen. Auf alle Fälle spielt der Lebensstil als Auslöser eine große Rolle. In manchen Fällen stecken Hiatushernien dahinter. Auch kann Reflux als Spätfolge einer Infektion mit Noroviren auftreten. Behandlung in Eigenregie Nicht jedes Brennen oder saure Aufstoßen muss gleich ärztlich behandelt werden. Oftmals helfen schon Ernährungstipps. Dazu gehören Nikotin- beziehungsweise Alkoholkarenz und der Verzicht auf Süßes sowie auf scharf gewürzte Speisen. Besser sind mehrere kleine Mahlzeiten statt der großen Völlerei, und drei Stunden vor der Nachtruhe herrscht Nahrungskarenz. Patienten mit nächtlichen Beschwerden sollten ihre Schlafposition optimieren – ein erhöhter Oberkörper bringt oft Erleichterung. Halten entsprechende Beschwerden an, führt der erste Weg nicht selten in die Apotheke. Da mittlerweile Protonenpumpeninhibitoren (PPI) im OTC-Segment verfügbar sind, nehmen Betroffene einen Reflux allzu oft auf die leichte Schulter. Bei anhaltenden Beschwerden sollten Diagnostik und Therapie von Gastroenterologen durchgeführt werden. Zweifelsfrei weisen sie eine GERD durch Endoskopie und pH-Metrie nach. Weniger gefährlich als angenommen Ohne adäquate Therapie kommt es teilweise zu peptischen Stenosen. Außerdem entsteht bei rund 13 Prozent aller Refluxpatienten nach Jahren ein Barrett-Ösophagus als Präkanzerose. Laut dänischen Forschern erkranken jedoch weitaus weniger Menschen in der Folge an Speiseröhrenkrebs als bislang angenommen. Dazu wurden rund 11.000 Patienten mit Barrett-Ösophagus über 5,2 Jahre beobachtet. Das absolute, jährliche Risiko für Speiseröhrenkrebs lag bei 0,12 Prozent, während ältere Arbeiten auf 0,5 Prozent kommen. So oder so sollte eine GERD von Anfang an systematisch behandelt werden. Empfehlungen des IQWiG Hinsichtlich neuer Entwicklungen bietet die Leitlinie "gastroösophageale Refluxkrankheit" zurzeit keinen Erkenntnisgewinn, mit Updates ist im kommenden Jahr zu rechnen. Aktuelle Informationen zur Evidenz verschiedener Therapien kommen vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) . An erster Stelle nennen die Autoren PPI – 70 Prozent aller Patienten wurden nach maximal acht Wochen beschwerdefrei. Unter Placebo lag der Wert nur bei 25 Prozent. Bei stärkeren Beschwerden rät Professor Dr. Torsten Kucharzik, Lüneburg, mit zweifacher Standarddosierung zu beginnen und zumindest ein bis zwei Monate zu therapieren. Dann sollte versucht werden, die Dosis zu verringern. Gegebenenfalls lohnt ein Auslassversuch. Esomeprazol, das (S)-Enantiomer des Omeprazols, zeigt dabei die besten Effekte. Ähnlich gut wirkten höhere Dosen des Racemats – eine preisgünstige Alternative. Alle PPI lindern Beschwerden weitaus besser als H2-Rezeptor-Blocker. Letztere spielen deshalb nur noch eine untergeordnete Rolle. Allerdings kommt es dem physiologischen Mechanismus der Wirkung entsprechend, nach Einnahme von Protonenpumpenhemmer reaktiv zu einer vermehrten Ausschüttung von Gastrin. Die Relevanz dieser medikamenteninduzierten Hypergastrinämie ist bisher nicht klar. Tierexperimentelle Befunde zeigen eine erhöhte Inzidenz von Karzinoiden des enterochromaffinen Systems. Beim Menschen konnten bisherige (2006) Langzeitstudien keinen solchen Zusammenhang etablieren. Auch Prokinetika, sie sollen die Motilität des Magens fördern, können helfen. Studien mit hoher Qualität gibt es dazu aber nicht. Noch schlechter ist die Datenlage bei klassischen Antazida. Blauer Dunst und viele Pfunde Nicht immer helfen PPI allein. Daten der norwegischen HUNT-Studie, einer prospektiven, bevölkerungsbasierten Studie mit rund 75.000 Probanden, werfen jetzt ein neues Licht auf die Thematik. Studienteilnehmer mit normalem BMI, die Glimmstängeln abschworen, wurden unter entsprechender Medikation fast doppelt so häufig beschwerdefrei wie die Kontrollgruppe mit Rauchern. Ärzte sollten Betroffenen dringend raten, dem blauen Dunst zu entsagen. Interessanterweise trat dieser Benefit nicht bei übergewichtigen Patienten auf. Der Zusammenhang zwischen Reflux und BMI ist jedoch nicht neu. Eine Studie mit 179 Patienten, ihr Körpergewicht betrug durchschnittlich 101 Kilogramm und der BMI lag bei 35,1, sei hier erwähnt. Zu Beginn hatten 38 Prozent aller Teilnehmer GERD-Symptome. In den nächsten sechs Monaten wurden alle Patienten zu mehr Bewegung animiert. Gleichzeitig reduzierten Ärzte durch diätische Maßnahmen die Kalorienzufuhr. Nach sechs Monaten hatten Probanden durchschnittlich 13 Kilogramm abgespeckt. Im gleichen Atemzug klagten nur noch bei 17 Prozent über Reflux.
Frauen unter Druck Das Thema betrifft auch Gynäkologen. Schwangere Frauen leiden nicht selten unter starkem Sodbrennen. Zum Hintergrund: Einerseits bewirkt Progesteron eine Erschlaffung des Ösophagussphinkters, andererseits drückt die Gebärmutter bei Schwangeren auf den Magen. Wie Professor Dr. Hartmut Morck, Marburg, kürzlich berichtete, gelten bei werdenden Müttern OTCs auf Basis von Aluminium-, Calcium- oder Magnesiumverbindungen als unbedenklich. Oftmals reichen diese Möglichkeiten jedoch nicht aus. Deshalb untersuchten Forscher auf Basis eines dänischen Registers mit rund 841.000 Lebendgeburten, inwieweit PPI und Geburtsdefekte korrelieren – speziell von der Empfängnis bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. Bei Omeprazol ergab sich kein signifikanter Zusammenhang. Allerdings fanden Wissenschaftler Hinweise, dass die Einnahme anderer PPI im Monat vor Schwangerschaftsbeginn zu einem statistisch höheren Risiko von Geburtsdefekten führt. Deshalb fordert Allen A. Mitchell vom New England Journal of Medicine in einem Editorial weitere Daten. Kindliches Asthma: PPI ohne Nutzen In der Pädiatrie ist GERD ebenfalls ein Thema. Bei kleinen Asthmapatienten wird nicht selten ein Reflux behandelt, um die Cortisontherapie zu optimieren. Valide Studien, dass PPI tatsächlich die Lungenfunktion verbessern, fehlten jedoch bis dato. Eine Arbeit des American Lung Association Asthma Clinical Research Centers führte jetzt zur Ernüchterung. In eine randomisierte, kontrollierte Studie wurden 306 Kinder bis zum Alter von 17 Jahren einbezogen, die über 24 Wochen neben ihrer Asthmatherapie entweder Lansoprazol oder ein Placebo erhielten. Ihr Asthmaleiden verbesserte sich durch PPI nicht signifikant. Selbst Kinder, die zweifelsfrei unter Reflux litten, profitierten hinsichtlich der Lungenerkrankung nicht. Damit lassen sich Behandlungsversuche nur rechtfertigen, sollten objektive Anhaltspunkte für eine GERD vorliegen. Doch es gibt noch weitere Neubewertungen. Das Ende der Legende Häufig vermuten Kollegen bei chronischem Husten, chronischer Entzündung des Kehlkopfes oder ständigem Räuspern einen Rückfluss aggressiver Magensäure als extraösophagealen Reflux, ohne dass PPI wirken. Amerikanische HNO-Ärzte um Dr. James P. Thomas gingen der Sache auf den Grund und nahmen 105 Patienten in eine Studie auf. Nach medikamentöser Anti-Reflux-Behandlung zeigte sich bei 82 Prozent keine Besserung. Diagnostisch fand Thomas Zysten, Polypen oder funktionelle Dysphonien. Aber Reflux? Fehlanzeige! Der Kollege fordert, gerade im HNO-Bereich mögliche Differenzialdiagnosen stärker in Erwägung zu ziehen. Chirurgie versus PPI Bei schwer kontrollierbarer GERD bleiben als Option immer noch chirurgische Eingriffe wie die Fundoplicatio nach Nissen, Nissen und Rosetti oder Toupet. Dabei werden Teile des Magenfundus als Manschette um die Speiseröhre gelegt und fixiert. Die LOTUS-Studie (Long-Term Usage of Esomeprazole versus Surgery for Treatment of GERD) verglich dabei laparoskopische Anti-Reflux-OPs mit PPI. Fünf Jahre nach dem Eingriff hatten 85 Prozent der Patienten keine Beschwerden mehr – im Vergleich zu 92 Prozent unter entsprechender Medikation. Allerdings wurden nur Patienten berücksichtigt, die anfangs auf PPI ansprachen – ein methodischer Kritikpunkt. Relativ neu auf dem Markt ist das LINX® Reflux Management-System aus einem elastischen Band mit Magneten, um den Reflux mechanisch zu unterbinden. Es hat eine Zulassung der US Food and Drug Administration sowie eine CE-Zertifizierung bekommen. Momentan liegen jedoch nur kleinere Studien vor, die LINX® gute Eigenschaften bescheinigen, ohne dass unerwünschte Ereignisse aufgetreten wären.