Würzburger Anästhesisten schöpften bereits vor 12 Jahren Verdacht, dass mit den Arbeiten ihres japanischen Kollegen etwas nicht stimme. Bei den Gutachtern stießen sie auf taube Ohren. Nun wurde der Betrugsfall endlich aufgedeckt: bis zu 200 gefälschte Studien.
"Stoppen Sie Ihren Kreuzzug gegen Prof. Fujii. Kehren Sie lieber zu einer produktiven Arbeit zurück." So wurde ein Aufsatz von Peter Kranke und seinen Mitautoren aus der Würzburger Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie vor mehr als zehn Jahren von Gutachtern zurückgewiesen.
Makellose Studiendaten
Kranke waren die makellosen Studiendaten seines japanischen Kollegen Yoshitaka Fujii schon seit seiner Promotionsarbeit suspekt. "Ich hatte bei der Datenerhebung im Rahmen meiner Promotionsarbeit schnell ernüchternd erleben müssen, wie schwierig es ist, für klinische Studien geeignete Patienten zu gewinnen", erinnert sich Kranke – inzwischen Professor für Anästhesiologie an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie der Würzburger Uniklinik. Fujii hingegen war mit einer ungeheuren Zahl von Publikationen in verschiedenen Fachzeitschriften vertreten. Zwischen 1991 und 2011 hatte er 168 Studien publiziert – im Durchschnitt acht pro Jahr. In Spitzenzeiten war der Japaner mit fast 30 Studien in den Journalen vertreten – ohne dass jemand einen Betrugsverdacht schöpfte. Nur Kranke hatte sich gefragt, wie das möglich sei, und sich deshalb intensiver mit Fujiis Arbeiten beschäftigt.
Identische Werteverteilung
Der Japaner hatte in seinen Studien häufig verschiedene Wirkstoffe miteinander verglichen, die verhindern sollen, dass Patienten nach einer Narkose unter Übelkeit und Erbrechen leiden. Fujii hatte dabei deutliche Vorteile eines bestimmten Wirkstoffes – Granisetron – im Vergleich zu ähnlichen Substanzen nachgewiesen. Bei der näheren Betrachtung stieß Kranke jedoch auf unglaubwürdige Daten. Er verglich die Ergebnisse aus 47 von Fujiis Publikationen mit statistischen Methoden und stieß dabei bereits vor mehr als zwölf Jahren auf irritierende Ähnlichkeiten: Zahlenwerte bestimmter Parameter und berichtete Ereignishäufigkeiten zu Nebenwirkungen waren in unterschiedlichen Tabellen häufig absolut identisch.
"Da war dann beispielsweise die Nebenwirkung "Kopfschmerz" über verschiedene Patientengruppen hinweg absolut gleich verteilt", sagt Kranke. Derartige Übereinstimmungen kommen aus statistischen Gründen in patientenbezogenen Studien in der Regel nicht vor. Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausginge, dass die Ereignisrate nicht von den untersuchten Substanzen beeinflusst würde. "Wenn dies in einer Vielzahl an Arbeiten berichtet wird, ist das Zustandekommen umso unwahrscheinlicher", so Kranke.
Zudem wichen die Ergebnisse zur Effektivität der untersuchten Substanzen deutlich von den Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen ab; sie waren schlicht und ergreifend zu schön um wahr zu sein. Und das nicht nur in Hinblick auf die Effektivitätsdaten.
"Incredibly Nice!"
Einem Kollegen Betrug vorzuwerfen, ist keine besonders nette Geste. Daher entschieden sich Kranke und seine Kollegen für folgendes Vorgehen: Sie publizierten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Anesthesia & Analgesia unter der vergleichsweise dezent formulierten Überschrift "Reported Data on Granisetron and Postoperative Nausea and Vomiting by Fujii et al. Are Incredibly Nice!" Über die fehlende Übereinstimmung der Effektivitätsdaten von Fujii mit denen anderer Autoren berichteten sie in der Fachzeitschrift Acta Anaesthesiologica Scandinavica (Kranke et al. "The influence of a dominating centre on a quantitative systematic review of granisetron for preventing postoperative nausea and vomiting"). "Unsere Intention war es im Grunde, darauf hinzuweisen, dass besser die Effektivitäts- und Nebenwirkungsdaten anderer Arbeiten bei der Abschätzung der Wirksamkeit zugrunde gelegt werden sollten", erklärt Kranke.
Skandal endlich aufgedeckt
So kam es, dass Herr Fujii noch weitere 10 Jahre ungehindert in zahlreichen Journalen "seine Studien" veröffentlichte. Erst im März dieses Jahres kam der Skandal ins Rollen: Zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte der britische Anästhesist John Carlisle einen Artikel im Magazin Anaesthesia, in dem er nachwies, dass in 168 von Fujiis Arbeiten die Ergebnisse eine Wahrscheinlichkeit von nahezu Null besitzen. Einen Monat später reagierten die Herausgeber von 23 Fachzeitschriften aus dem Gebiet der Anästhesiologie: Sie informierten die Leiter von sechs Universitäten und medizinischen Einrichtungen, mit denen Fujii zusammengearbeitet hatte, darüber, dass insgesamt 193 Studien zurückgezogen werden müssten – es sei denn, diese Institutionen könnten für die Richtigkeit der Daten garantieren. Fünf von ihnen konnten das nicht; einer sechsten gelang das nur in einem Bruchteil von Fällen.
Krankes Verdacht hat sich mittlerweile zu einem der größten Forschungsskandale der vergangenen Jahre in der Medizin entwickelt. Bis zu 200 Arbeiten soll Fujii gefälscht haben. Immer mehr Fachzeitschriften ziehen seine Studien zurück. Das renommierte Journal Nature spricht in einem Kommentar von "einer der größten Säuberungsaktionen in der Geschichte der Wissenschaftsliteratur", die Rekordzahl zurückgezogener Arbeiten erschüttere die Wissenschaftsgemeinschaft.
Neuer Chefredakteur entschuldigt sich
Im Zuge dieser Aufdeckungen wurde auch die Erinnerung an die Warnungen aus Würzburg wieder wach. Steven Shafer, Chefredakteur von Anesthesia & Analgesia, äußerte in einem persönlichen Brief an alle Abonnenten sein Bedauern darüber, dass die Zeitschrift nach Krankes Artikel den Vorgang nicht weiter verfolgt hatte. Diese Reaktion sei "unzureichend" gewesen. Spätere Arbeiten von Fujii hätten erst nach einer gründlichen Untersuchung der offensichtlichen Betrugshinweise publiziert werden dürfen.
Wie konnte es so weit kommen?
Mehrere Gründe sind nach Peter Krankes Ansicht dafür verantwortlich, dass Fujii dennoch über viele Jahre hinweg weiter offensichtlich frei erfundene Daten publizieren konnte: "Er hat immer wieder mit anderen Institutionen zusammengearbeitet, hat seine Mitautoren gewechselt und in unterschiedlichen Journalen veröffentlicht", sagt Kranke. Darüber hinaus habe er mit seinen Ergebnissen nie in ganz offensichtlichem Gegensatz zu einer vorherrschenden Meinung gestanden: "Die Substanz, die Fujii untersucht hat, ist gut. Nur eben nicht ganz so gut, wie er das dargestellt hat", sagt der Anästhesist. Und für Diskussionen sei der Japaner nicht greifbar gewesen: "Er ist nie auf einem Kongress aufgetaucht. Sämtliche Versuche von uns, mit ihm in Kontakt zu treten, waren erfolglos", erinnert sich Kranke. Und auf Nachfrage von DocCheck fügt er hinzu: "Wenn Fujii seine Daten etwas sorgfältiger gefälscht hatte und auf glaubwürdige statische Verteilungen geachtet hätte, wäre sein Betrug wahrscheinlich auch heute noch nicht publik."
Wo leckt das System?
Ist Fujii ein Einzelfall? Durchaus nicht. Im Bereich der Anästhesie gab es in den letzten Jahren noch weitere Betrugsfälle: Im Jahr 2009 wurden 21 Publikationen des Anästhesisten Scott Reuben von der Tufts University School of Medicine in Boston, Massachusetts, zurückgezogen, weil sie gefälschte Daten enthielten. 2010 zogen 11 Journale um die 90 Publikationen von Joachim Boldt, der damals an einem Krankenhaus in Ludwigshafen beschäftigt war, zurück. Boldt hatte ebenfalls Daten gefälscht und konnte keine Zulassungen der zuständigen Ethikkommissionen vorweisen.
Dass die Anästhesie besonders anfällig für Betrügereien ist, sieht Kranke nicht so. Er verweist eher auf das gesamte wissenschaftliche System. Denn in einem System, in dem die wissenschaftliche Leistung mit Blick auf die Anzahl von Journalpublikationen in einem hohen Maße über Finanzen, Karrieren und Existenzen entscheiden kann, sei mitunter der Druck hoch. Da könne ein Wissenschaftler schon in Versuchung geraten, der eigenen Karriere auf unredliche Art und Weise den richtigen Schub zu verleihen, zumal wenn in befristeten Beschäftigungsverhältnissen eine Anschlussanstellung auf dem Spiel steht.
Die Lehren aus diesen und ähnlich gelagerten Betrugsfällen zu ziehen, heißt nach Krankes Worten aber auch, dass der Begutachtung und dem kritischen Hinterfragen von wissenschaftlichen Ergebnissen stets die notwendige Aufmerksamkeit zu Teil werden sollte. "In Zeiten, in denen eine Deadline die nächste jagt, bleibt oft keine Zeit, um sich intensiv mit einer zu begutachtenden Arbeit auseinanderzusetzen", weiß er. "Und mögen die Fehlanreize noch so evident sein, sie sind mitnichten eine Rechtfertigung zu unredlichem Arbeiten", resümiert Kranke.
Gibt es wenigstens rückblickend etwas Gutes an der "Story"? Auf Patientenseite sei in diesem Betrugsfall mutmaßlich kein bedeutsamer Schaden entstanden. Ein allenfalls kleiner Trost, dies ist auch Kranke klar, bedenkt man die große Zeitspanne bis zur endgültigen Bestätigung der anfänglichen Auffälligkeiten.