Haben Maulwürfe sensible Daten aus dem Bundesministerium für Gesundheit an die Apothekerschaft geschaufelt? Während Staatsanwälte ermitteln, lohnt ein distanzierter Blick auf den Sachverhalt: Unsere parlamentarische Demokratie braucht keine Korruption – sie hat Lobbyismus aber bitter nötig.
Vogel-Strauß-Politik in der Hauptstadt: Spätestens Mitte 2010 hätten Politiker im Bundesgesundheitsministerium (BMG) eigentlich misstrauisch werden müssen. Damals gelangte ein unautorisierte Papier zur Novellierung der Apothekenbetriebsordnung an die Fachöffentlichkeit – auf ominösem, nicht nachvollziehbarem Wege. Aus der undichten Stelle ist jetzt ein riesiges Leck geworden. BMG-Vertreter sprechen von Maulwürfen in den eigenen Reihen. Es soll „ein Lobbyist der Apothekerschaft“ gewesen sein, der vertrauliche Dokumente erhielt, heißt es von offizieller Seite. Rösler und Bahr angezapft Erst ein anonymer Hinweis brachte BMG-Mitarbeiter auf die heiße Spur. Sie erstatteten Anzeige, und am 10. Dezember durchsuchten Ermittler Teile des Ministeriums. Jetzt ist erst einmal die Staatsanwaltschaft gefordert. Nach aktuellem Kenntnisstand sollen zwei Personen beteiligt sein, heißt es von den Strafverfolgungsbehörden: Ein freiberuflicher IT-Dienstleister des Systemhauses Bechtle hatte als Administrator mit höchstmöglicher Sicherheitsstufe Zugriff auf das gesamte System und sammelte gegen Geld Informationen, darunter auch E-Mails von Philipp Rösler und Daniel Bahr. Als Fachfremder konnte er damit aber nichts anfangen. Als zweite Person wird ein Lobbyist der Apothekerschaft genannt, er interpretierte elektronische Nachrichten und leitete Informationen weiter: Referentenentwürfe, geplante Gesetzesvorhaben, interne Kalkulationen, einfach alles. Von der Staatsanwaltschaft war nur zu erfahren, es handele sich um einen freiberuflichen Interessensvertreter, der nicht mehr in den Diensten der Apothekerschaft stehe. „Daran knüpften sich Spekulationen, es könne sich um einen früheren Sprecher handeln, der den Dachverband der Apotheker 2011 plötzlich verlassen hat“, mutmaßt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Ein Fall mit derartiger Tragweite sei im politischen Berlin noch nie vorgekommen, kommentieren Hauptstadtjournalisten. ABDA unter Beschuss In der Zwischenzeit ist die ABDA bemüht, den Ball flach zu halten. Nachdem diverse Publikumsmedien das Thema kommunizierten, musste etwas geschehen. Einer Krisensitzung am 12. Dezember folgten knappe Worte für Medienvertreter: „Uns ist nicht bekannt, gegen wen sich die Ermittlungen richten“, heißt es. „Es war nie und es wird nie Politik unseres Hauses sein, die Interessen der deutschen Apothekerschaft per Scheckbuch zu vertreten. Wir lehnen eine auf solche Weise erfolgte Informationsbeschaffung strikt ab und distanzieren uns davon ausdrücklich.“ Vielmehr erklären Spitzenvertreter des Berufsverbands, ein Verdacht richte sich nur gegen Einzeltäter. „Die ABDA wird alles tun, um den Sachverhalt aufzuklären und bietet den Ermittlungsbehörden jede erdenkliche Unterstützung an“. Das wird auch bitter nötig sein – Staatsanwälte werden klären müssen, wer von der Datenaffäre möglicherweise wusste und woher Gelder für die Korruption kamen. Das fordern auch NGOs. „Bei der ABDA muss jetzt jeder Stein umgedreht werden“, so Professor Dr. Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland. Friedemann Schmidt, künftiger Präsident der ABDA, beauftragte sofort eine interne Arbeitsgruppe mit weiteren Untersuchungen. Dennoch räumt er in Bezug auf den unter Verdacht geratenen Lobbyisten ein: „Wir haben das Thema der Nebentätigkeit unseres früheren Pressesprechers im journalistischen Bereich im Allgemeinen und in Bezug auf die Einrichtung Apotheke adhoc möglicherweise unterschätzt.“ Jetzt ist der Verband um Schadensbegrenzung bemüht – auch bei den betroffenen Politikern. „Einfach nur fassungslos“ Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Union, meldete sich umgehend. Er sei ja durchaus aggressives Lobbying im Gesundheitsbereich gewöhnt. „Aber bezahlte Spionage wäre eine neue Qualität, das macht mich einfach nur fassungslos und wütend.“ Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zeigte sich „stinksauer“, will aber erst einmal die laufenden Ermittlungen abwarten. Er monierte, dass interne Dokumente zu Gesetzgebungsverfahren vom AMNOG über die ApBetrO bis hin zur AMG-Novelle plötzlich im Web zu finden gewesen seien. Und Karl Lauterbach, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, fordert eine Untersuchung durch den Gesundheitsausschuss, „inwieweit die gestohlenen Daten die Gesetzgebung beeinflusst haben“. In der hitzigen Debatte beginnen sich jedoch zwei Begriffe zu vermischen: „Interessenvertretung ist legitim“, sagt Biggi Bender von den Grünen. Korruption ist und bleibt ein Straftatbestand. Experten händeringend gesucht DocCheck sprach mit dazu mit Dr. Albrecht Kloepfer vom Büro für gesundheitspolitische Kommunikation. Er ist selbst Lobbyist und bewegt sich auf dem Parkett der Berliner Gesundheitspolitik. „Unser Parlament und unsere Regierung sind darauf angewiesen, dass Experten ihre Interessen einbringen und artikulieren“, sagt Kloepfer. Dies sei schon fast „ein Grundgerüst der parlamentarischen Demokratie“. Politisch gesehen bilde das Wahlsystem nämlich Regionen ab, also Wahlkreise, aber keine Fachgebiete. Kloepfer: „Es wäre töricht, auf Experteninformationen zu verzichten – das gilt in gewissem Maße auch für die Bundesministerien.“ Beispielsweise sitzen im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags nur eine Handvoll tatsächlicher Fachleute aus diesem Bereich: der Arzt Rudolf Henke, der Zahnarzt Dr. Rolf Koschorrek, der Gesundheitsökonom Professor Dr. Karl Lauterbach, die Ärztin Dr. Marlies Volkmer und der Arzt Dr. Harald Terpe. Eine wahre Katastrophe sei, so Kloepfer, dass „jetzt Interessenvertreter im parlamentarischen Betrieb diskreditiert werden“. „Kein helfender Ruf zum Gesetzgeber“ Natürlich braucht ein Ministerium externe Expertise, nicht für jeden Bereich sind Fachleute im Hause. Allerdings sieht Kloepfer kritische Graubereiche weit über den heiß diskutierten IT-Sektor hinaus. „Tatsächlich sind externe Kanzleien mit Gesetzesentwürfen beschäftigt – die Materie ist für Ministerialbeamte teilweise zu komplex geworden.“ Juristen von außen könnten besser abschätzen, ob eine Beklagbarkeit gegeben sei. Ansonsten laufe die Legislative Gefahr, dass Formulierungsvorschläge „keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht“ hätten. Sein Resümee: „Ich glaube nicht, dass sich Hürden so hoch aufbauen lassen, um das verhindern zu können.“ Kloepfer fordert „keinen helfenden Ruf zum Gesetzgeber“, sondern verweist auf Kooperationsverträge und Verschwiegenheitserklärungen, die Externe gebrochen hätten. Mehr Transparenz auf allen Ebenen Eine mögliche Lehre aus dem Skandal: „Ich halte es für problematisch, dass Mitarbeiter beispielsweise von anderen Institutionen, etwa Krankenkassen oder Stiftungen, in das BMG ausgeliehen werden“, sagt Kloepfer. An „nicht ganz uneigennützige Freundschaftsbeziehungen“ komme man jedoch nur schwer heran. Er plädiert für „Transparenz, wo die Auftraggeber sitzen und in welchem Kundenauftrag ich spreche.“ Ähnliche Forderungen kamen zuletzt von Sozialdemokraten, ohne bei Schwarz-Gelb auf große Begeisterung zu stoßen. Berufsverbände gut geschützt Doch zurück zu den Berufsverbänden. Noch ist eine etwaige Verstrickung Gegenstand von Ermittlungen. Kloepfer stellt aber klar, Industrieverbände oder Firmen würden nie derartig brachiale Maulwurfsaktionen durchführen – zu groß wäre ihr Risiko, wirtschaftlichen Schaden zu erleiden oder reihenweise Mitglieder zu verlieren. „Verbände und Institutionen sind gegen mögliche Folgen besser geschützt, für sie selbst sind keine negativen Geschäftsauswirkungen zu befürchten.“ Mit Konsequenzen hinsichtlich des gesellschaftlichen Ansehens müssen jetzt vor allem Kollegen in den Apotheken rechnen.