Ab 1. Januar 2013 geht das Versorgungsstrukturgesetz mit rigorosen Maßnahmen zur Bedarfsplanung in die heiße Phase. Bereits jetzt greift eine Zulassungssperre, ansonsten droht Ärger bei der Verlegung oder Neubesetzung von Praxen.
Ein Relikt aus grauer Vorzeit: Die Bedarfsplanung geht auf das Jahr 1993 zurück und bildet keine aktuellen Versorgungsrealitäten mehr ab. Waren damals zu viele Ärzte ein Problem, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mittlerweile ganz andere Sorgen. In nächster Zeit werden rund 40.000 Fach- und Hausärzte in Rente gehen. Zwar kommt Nachwuchs von den Unis – viele Kollegen entscheiden sich aber oft für Ballungszentren. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz versuchen Politiker, hier gegenzusteuern. Das Regelwerk brachte Anreize, um Ärzte in unterversorgte Regionen zu locken. Jetzt geht es um die Bedarfsplanung – und alles beginnt mit einem gewaltigen Paukenschlag.
Kampf dem Seehofer-Bauch
Die Bombe platzte am 6. September: Seit diesem Datum gilt ein befristetes Moratorium des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für diverse Facharztgruppen. Betroffen sind Humangenetiker, Kinder- und Jugendpsychiater, Laborärzte, Pathologen, physikalische Mediziner beziehungsweise Rehabilitationsmediziner, Neurochirurgen, Nuklearmediziner, Strahlentherapeuten und Transfusionsmediziner. Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen kamen ungeschoren davon – entgegen ersten Vermutungen unterliegen sie keinem Zulassungsstopp. Die Übergangsregelung wurde quasi ad hoc in Kraft gesetzt – als Maßnahme gegen Zulassungen in letzter Minute.
Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, spricht von "begründetem Anlass zu der Befürchtung, dass mit Bekanntwerden der Absicht zur Beplanung bisher unbeplanter Arztgruppen ein nicht sachgerechter Anstieg von Zulassungsanträgen zu verzeichnen sein könnte". Offenbar sorgten sich die Verantwortlichen, es könnte zum nächsten "Seehofer-Bauch" kommen. Bereits 1993 führte Horst Seehofer (CSU), damals Bundesgesundheitsminister, das Gesundheitsstrukturgesetz ein. Bevor dessen Reglementierungen aber griffen, kam es zum sprunghaften Anstieg von Zulassungsanträgen.
Ärger in der Pathologie
Viele Fachverbände sind über den aktuellen Zulassungsstopp verstimmt, allen voran die Pathologen. Sie sehen sich als "Grundversorger aller anderen Ärzte, Fach- wie Hausärzte und Krankenhausärzte", heißt es vom Bundesverband. Übliche Mittel der Bedarfsplanung würden dem ganzheitlichen und sektorenübergreifenden Tätigkeitscharakter des Faches nicht gerecht. Aufgrund ihres strukturellen Alleinstellungsmerkmals sollten Pathologen aus der Bedarfsplanung herausgenommen werden, lautet ihre Forderung. Vor allem wird die künstliche Trennung in ambulant und stationär tätige Ärzte kritisiert.
Juristisch kaum angreifbar
Stellt sich die Frage, inwieweit Ärzte rechtlich gegen das Moratorium vorgehen können. Hier sieht es gar nicht rosig aus: In der Vergangenheit hat das Bundessozialgericht auch rückwirkende Bedarfsplanungen für zulässig erklärt (Az. B 6 KA 31/07 R). Ansonsten orientiert sich dessen Rechtsprechung nicht selten an Auswirkungen auf unseren Sozialstaat, sprich tatsächlich oder vermeintlich stabilisierende Maßnahmen werden abgenickt. Juristen beurteilen alle Chancen, den Zulassungsstopp per Klage aus der Welt zu schaffen, damit als äußerst gering.
Ärzte, ab in die Pampa!
Hinter der rigorosen Bedarfsplanung steckt vor allem ein Ziel: den Ärztemangel in ländlichen Gebieten beheben. Ab Januar 2013 geht es dann richtig zur Sache: Alle jetzt genannten Facharztgruppen sollen in die Bedarfsplanung mit einbezogen werden. Ob Zulassungsbeschränkungen aber tatsächlich greifen, hängt von der Verhältniszahl ab, also der Zahl zugelassener Vertragsärzte in Relation zur Einwohnerzahl im Planungsbereich. Liegt der Versorgungsgrad mindestens zehn Prozent über der Verhältniszahl, ist von Überversorgung die Rede. Es kommt zu einer Zulassungssperre im jeweiligen Planungsbereich.
Sinkt der Versorgungsgrad für eine bestimmte Facharztgruppe, wird der Stopp partiell aufgehoben. Unter der magischen 110 Prozent-Marke besteht keine Reglementierung. Eigentlich sollte auch die Altersstruktur der Bevölkerung berücksichtigt werden, und zwar auf Basis von KBV-Abrechnungsdaten. Ein vorgesehener Demografiefaktor wird erst Anfang 2013 zum Einsatz kommen. Auch machen die Planungsbereiche noch Bauchschmerzen.
Mangelhafte Einteilung
Derzeit gibt es in Deutschland 395 Planungsbereiche, meist kreisfreie Städte und Landkreise. In der Praxis hat sich dieses Raster nicht bewährt: Für Hausärzte ist es zu groß und für Fachärzte zu klein, um den Bedarf genau zu steuern. Jetzt sollen Planungsbereiche für diverse Fachgruppen unterschiedlich gestaltet werden, und zwar anhand des Spezialisierungsgrades beziehungsweise der Häufigkeit von Konsultationen durch Patienten. Eine Zulassung gibt es nur noch dort, wo tatsächlich Bedarf besteht. Davon sind auch Nachbesetzungen betroffen.
Nachfolger entbehrlich?
Gab ein Kollege in gesperrten Planungsbezirken bislang seine Praxis bis dato auf, konnte er sich an seine Kassenärztliche Vereinigung (KV) wenden. Diese führte ein Nachbesetzungsverfahren im Sinne des V. Sozialgesetzbuchs durch. Nach einer öffentlichen Ausschreibung bestimmten Mitglieder des Zulassungsausschusses "den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen". Ab 1. Januar 2013 wird das Gremium im Zuge einer Vorprüfung entscheiden, ob Nachbesetzungen überhaupt notwendig sind – Ablehnung inklusive. Betroffene bekommen bei negativem Beschied den jeweiligen Verkehrswert ihrer Praxis erstattet, egal, ob sie überhaupt einen Käufer gefunden hätten oder nicht.
Allerdings gibt es diverse Ausnahmen: Ehegatten, Lebenspartner oder Kinder genießen einen Sonderstatus. Auch bei Gemeinschaftspraxen wird nicht nach neuem Maß gemessen, in diesen Fällen entfällt eine Vorprüfung. Wer den Zuschlag erhält, entscheidet der Ausschuss nach gesetzlichen Vorgaben. Doch Vorsicht: Melden sich wirklich besser qualifizierte Mitbewerber, könnte eine Nachbesetzung sogar trotz Privilegierung abgelehnt werden.
Heute hier – morgen da
Ansonsten spüren Kollegen, die über eine Praxisverlegung nachdenken, ebenfalls Folgen der Bedarfsplanung. In der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte wurde ein entsprechender Passus noch deutlicher ausgearbeitet: "Der Zulassungsausschuss darf den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen." Die ursprüngliche Textstelle ging noch von einer generellen Zulassung aus, sollte nichts dagegen sprechen. Ob die Bedarfsplanung wirklich ihr Ziel erreicht oder sich zu einem weiteren bürokratischen Ungetüm entwickelt, wird sich zeigen.