Propofol ist eines der gängigsten Narkosemittel. Forschern ist es gelungen, einen lichtempfindlichen Schalter in die Substanz einzubauen - und so bei Kaulquappen deren Wirkung reversibel zu steuern. Eine mögliche Anwendung ist die Behandlung von Augenkrankheiten.
Das Narkosemittel Propofol gelangte vor drei Jahren zu trauriger Berühmtheit: Damals wurde bekannt, dass der Sänger Michael Jackson an einer Überdosis dieses Narkotikums gestorben war. Sein Leibarzt hatte es ihm injiziert, damit Jackson besser einschlafen konnte. Für diesen Zweck ist Propofol jedoch nicht geeignet, da das therapeutische Fenster zwischen Unter- und Überdosierung nur sehr gering ist. Eine intensivmedizinische Überwachung ist deshalb bei seiner Anwendung absolut notwendig. Forschern der Ludwig-Maximilians-Universität München gelang es nun einen lichtabhängigen Schalter in das Narkotikum einzubauen, mit dessen Hilfe es möglich ist, seine Wirkung reversibel zu steuern. Wie Professor Dirk Trauner und seine Kollegen in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie mitteilten, testeten sie die modifizierte Verbindung bei Kaulquappen.
Narkotikum verstärkt Neurotransmitter-Wirkung
Propofol ist eine nur wenig wasserlösliche Verbindung und verstärkt wahrscheinlich die Wirkung des GABA-Rezeptors. Dieser steckt in den Außenmembranen von Neuronen und vermittelt im zentralen Nervensystem einen beruhigende, angstlösende und muskelentspannende Effekt. Der GABA-Rezeptor wird aktiv, wenn sich der Neurotransmitter GABA an ihn anlagert. Dann öffnet sich im Inneren des Rezeptors ein Kanal und es strömen vermehrt Chlorid-Ionen in die Nervenzelle hinein. Dadurch wird das Auslösen eines Aktionspotenzials gehemmt, das die Nervenzelle sonst an weitere Nervenzellen weiterleiten würde.
Tiefblaues Licht hemmt Wirkstoff
Um Propofol lichtempfindlich zu machen, hatten die Wissenschaftler um Trauner die Idee, die Verbindung chemisch so zu verändern, dass sie die Eigenschaften eines Azofarbstoffs erhält, ohne jedoch ihre pharmakologische Wirkung zu verlieren. Jeder Azofarbstoff besteht im Wesentlichen aus einem Molekül, bei dem zwei Benzolringe über zwei Stickstoffatome miteinander verknüpft sind. Es reagiert auf Licht mit einer Änderung seiner Gestalt. In Abhängigkeit von der Wellenlänge des einfallenden Lichts kann sich das Molekül entweder strecken oder zusammenfalten. "Wenn wir das modifizierte Propofol mit tiefblauem Licht bestrahlen, klappt es zusammen und verliert seine Wirkung", erklärt Trauner, der Leiter einer Arbeitsgruppe am Department Chemie der LMU ist. "Schalten wir das Licht aus oder bestrahlen mit einem andersfarbigen Licht streckt sich das Molekül wieder."
Beleuchtung weckt betäubte Kaulquappen
Um die narkotisierende Wirkung des lichtempfindlichen Propofols an einem lebenden Organismus zu erproben, füllten die Wissenschaftler zwei Behälter mit Wasser und gaben entweder die modifizierte Substanz oder normales Propofol hinzu. Dann platzierten sie in beiden Gefäßen jeweils mehrere transparente Albino-Kaulquappen. Nach wenigen Minuten waren beide Gruppen von Kaulquappen betäubt; wenn die Wissenschaftler sie mit einer Pipette anstupsten, zeigten die Tiere keine Reaktion. Das änderte sich bei den Tieren, die mit dem lichtempfindlichen Propofol narkotisiert worden waren, sobald sie mit tiefblauem Licht bestrahlt wurden. Sie wachten auf und begannen, wieder herumzuschwimmen. Die Kaulquappen in der Kontrollgruppe reagierten dagegen nicht auf die Beleuchtung. Der Effekt ist reversibel und alle Kaulquappen erholten sich vollständig, sobald sie in reines Wasser gelegt wurden.
Lichtempfindliche Moleküle ersetzen defekte Photorezeptoren
Da das menschliche Gehirn nicht ohne weiteres für Bestrahlung mit Licht zugänglich ist, geht Trauner nicht davon aus, dass es bald Lichtanästhesie im klinischen Alltag geben wird. Er sieht eine therapeutische Anwendung des lichtempfindlichen Propofols eher bei Augenkrankheiten: In vielen Formen der Blindheit, etwa bei Retinitis pigmentosa, funktionieren die Photorezeptoren in der Netzhaut nicht mehr - während die Zellen des darunterliegenden Gewebes intakt sind und ebenfalls durch einfallendes Licht erreicht werden können. "Diese Zellen enthalten auch sehr viele GABA-Rezeptoren, die mit dem von uns entwickelten Molekül prinzipiell lichtempfindlich gemacht werden könnten, sodass die defekten Photorezeptoren umgangen werden", sagt Trauner.
Derzeit testen er und sein Team an einzelnen Retinazellen aus blinden Mäusen, ob eine elektrische Aktivität entsteht, wenn man die Zellen mit dem lichtempfindlichen Propofol behandelt und anschließend beleuchtet. "Allerdings werden wir erst im Rahmen von klinischen Studien erfahren, ob die Modulation von Retinazellen mit Hilfe von lichtaktivierbaren Substanzen tatsächlich zu echtem Sehen führt", sagt Trauner.
Alternative zu Mikrochips?
Auch bei anderen Experten stößt der photochemische Ansatz zur Behandlung von Augenkrankheiten auf große Akzeptanz: "Der neue Therapieansatz ist sehr faszinierend", sagt Professor Tim Gollisch, der Leiter einer Arbeitsgruppe in der Abteilung Augenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen. "Inwieweit die Retina und die nachgeschalteten Gehirnareale Signale verarbeiten, die durch die Beleuchtung von lichtempfindlichen Substanzen ausgelöst werden, muss jedoch noch genauer erforscht werden.“
Ob der neue photochemische Ansatz eine echte Alternative zu Netzhautimplantaten auf elektronischer Basis darstelle, lasse sich noch nicht beurteilen. Mikrochips, so Gollisch, seien schon mehrfach mit ersten kleinen Erfolgen bei Patienten getestet worden, diesen Vorsprung müsse der photochemische Therapieansatz erst aufholen, ehe man Vor- und Nachteile beider Methoden miteinander vergleichen könne.