Forscher haben 71 neue Genvarianten identifiziert, die das Risiko für CED erhöhen. Einige dieser Veränderungen liegen in Regionen, die auch bei Autoimunerkrankungen verändert sind. Das zeigt, dass auch Morbus Crohn auf ein überaktives Immunsystem zurückgeht.
Mitautor Prof. Dr. Andre Franke vom Institut für Klinische Molekularbiologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU) zeigt sich über den Erfolg der größten jemals durchgeführten wissenschaftlichen Studie über CED überrascht: "Wir konnten durch unsere Forschungen zum einen die Anzahl der nun bekannten Krankheitsgene nahezu verdoppeln, andererseits haben wir erkannt, dass wir in Zukunft den Fokus noch stärker auf die Bakterien und Viren im Darm legen müssen." Hierfür ist geplant, tausende Stuhlproben von kranken und gesunden Patienten zu untersuchen und mit den genetischen Daten zu kombinieren.
Über 2,5 Mio. Menschen weltweit sind von CED (Chronisch-entzündliche Darmerkrankung) betroffen, in Deutschland leiden rund 320.000 Menschen an dieser heimtückischen Krankheit, die zumeist im Alter zwischen 15 und 35 Jahren ausbricht. Als Ursache werden Veränderungen der individuellen Umweltbedingungen, Gene und eine Barrierestörung des Darms vermutet. Unter chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen versteht man wiederkehrende (rezidivierende) oder kontinuierliche entzündliche Erkrankungen des Darms. Die beiden häufigsten Vertreter sind Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa, die viele Gemeinsamkeiten aufweisen, wie beispielsweise eine familiäre Häufung.
Darüber hinaus spielt möglicherweise eine Fehlfunktion des Immunsystems eine Rolle, wodurch die Darmschleimhaut auf Nahrungs, Stress oder Keime überempfindlich reagiert. Seltener sind die kollagene und lymphozytäre Colitis, welche nur histologisch diagnostiziert werden können und daher zusammen als mikroskopische Colitis bezeichnet werden. Bei CED löst das Immunsystem normalerweise eine anhaltende Entzündungsreaktion im Darm aus, welche die Darmwand schädigt und zu Durchfall und Bauchschmerzen führt und bei länger anhaltenden Schüben mit Gewichtsverlust und Schwäche einhergeht. Neben den körperlichen Beschwerden spielen psychosoziale Belastungen eine wichtige Rolle für die Erkrankten.
Die Erkrankung kann von Ängsten begleitet sein, die Beschwerden werden häufig im Arbeits- oder sozialen Umfeld tabuisiert und können zu großen Problemen am Arbeitsplatz führen. Die Betroffenen benötigen in der Folge eine lebenslange, medikamentöse Behandlung sowie häufig chirurgische Eingriffe, um die Gewebeschädigungen, die durch die Krankheit verursacht werden, zu beheben. 2009 entdeckten Forscher um Christoph Klein, damaliger Leiter der Klinik für Frauenheilkunde an der Medizinischen Hochschule Hannover, und Bodi Grimbacher vom Royal Free Hospital London den ersten humanen Gendefekt, der CED verursacht. Durch eine Mutation in den beiden Genen des IL10-Rezeptors (IL10RA und IL10RB) können die Immunzellen die modulierenden Signale des Botenstoffes Interleukin-10 nicht mehr empfangen. Es kommt zu schweren entzündlichen Veränderungen der Darmwand mit Fistelbildung und Eiteransammlung.
Durch allogene Stammzellentransplantation kann dieser Gendefekt dauerhaft behoben werden. Um diesen Menschen zu helfen, suchen Wissenschaftler nach den krankheitsauslösenden Genen. "Bisher haben wir Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa getrennt voneinander untersucht", erklärt Gastroenterologe Prof. Dr. Stefan Schreiber, Dekan der Medizinischen Fakultät der CAU und Sprecher des Forschungsverbundes "Exellenscluster Entzündungsforschung". "Wir haben die neue Studie auf Basis der Annahme durchgeführt, dass es vermutlich große, genetische Übereinstimmung zwischen den beiden Krankheiten gibt."
Metaanalyse von 15 CD- und UC-Studien
In einem ersten Schritt führten die Forscher eine Metaanalyse von 15 GWA (genome wide-association studies)-Studien zu Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa durch. Damit erzeugten sie einen Datensatz von rund 34.000 Personen, die in der Vergangenheit an diesen Studien teilgenommen haben. Die Ergebnisse sind Teil einer zweiten Metaanalyse, welche die Daten von mehr als 41.000 DNA-Proben von CD- und UC-Betroffenen und gesunden Vergleichsgruppen umfasst, die in elf Forschungszentren auf der ganzen Welt durch das Internationale IBD Genetik Konsortium gesammelt wurden. Die Forscher identifizierten bei den Patienten genetische Variationen in 163 Regionen des menschlichen Genoms, 93 davon waren zuvor bekannt.
Diese Regionen zeigten eine überraschend große Übereinstimmung mit den Regionen des Genoms, die mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Morbus Bechterew oder Schuppenflechte in Verbindung gebracht werden. "Wir sehen einen genetischen Balanceakt zwischen Verteidigung gegen bakterielle Infektionen und dem Angriff auf eigene Körperzellen", erklärt Shreiber. "Viele der Regionen, die wir gefunden haben, sind daran beteiligt, Signale oder Immunantworten zur Bekämpfung von schädlichen Bakterien auszusenden. Wir haben herausgefunden, dass, wenn diese Mechansimen überreagieren, dies Entzündungen hervorrufen kann, die zu CED führen", ergänzt Schreiber.
Vielversprechender Therapieansatz
In den vergangenen Monaten haben genomweite Assoziationsstudien am Institut für Klinische Molekularbiologie der CAU ergeben, dass Morbus-Crohn-Patienten in der Regel Mutationen auf bestimmte SNPs (Single Nucleotide Polymorphism) – Variationen einzelner Basenpaare in einem DNA-Strang – aufweisen. Für den Morbus Crohn gibt es inzwischen sieben solcher Studien, an denen die Kieler Wissenschaftler maßgeblich beteiligt waren. Jede dieser Studien führte zur erfolgreichen Identifikation mindestens einer Mutation, die diese Krankheit bedingt. Für die UC gab es eine solche systematische genomweite Analyse bisher noch nicht. Für die aktuelle Studie wurden zunächst 440.794 SNPs von 1.167 Patienten mit Colitis Ulcerosa und von 777 Gesunden genotypisiert.
20 der am häufigsten assoziierten SNPs wurden dann in einem nächsten Schritt unabhängig voneinander in drei europäischen Gruppen mit insgesamt 1.855 Patienten mit CU und 3.091 gesunden Kontrollpersonen weiteruntersucht. Einer der vier für Colitis Ulcerosa identifizierten SNPs befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Gen für Interleukin 10 (IL 10), einem Botenstoff der entzündliche Vorgänge hemmt. "Für uns Wissenschaftler stellt sich daher die Frage, ob eine Behandlung mit IL10 möglicherweise ein vielversprechender Therapieansatz für CU-Patienten sein könnte", so Franke. Deshalb werde nun eine weiterführende Studie mit IL10 zur Behandlung von CU-Patienten in Erwägung gezogen. Hierbei sollen zudem funktionelle Charakterisierungen der betroffenen Proteine vorgenommen werden.
Das Genom-Forschungslabor
Genvarianten lassen sich mit den modernen Hochdurchsatztechniken anhand von SNP-Analysen verhältnismäßig leicht nachweisen. Vergleicht man die SNPs aus einer großen Gruppe Patienten mit denen von Gesunden, so können SNPs identifiziert werden, die ein erhöhtes Risiko für eine Krankheit darstellen. Das Genomforschungslabor am Kieler Institut für Klinische Molekularbiologie ist einer der leistungsfähigsten deutschen Einrichtungen dieser Art. Täglich können bis zu 150.000 DNA-Proben analysiert werden. Ummer mehr Projekte bedienen sich modernster Hochdurchsatztechniken, welche allerdings riesige Datenmengen produzieren. Für eine Auswertung ist daher eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medizinern, Biologen und Informatikern notwendig.