Überlebende bei Katastrophen oder misshandelte Kinder: Sie alle sind Kandidaten für eine Belastungsstörung nach einem Trauma. Doch manche Opfer stecken Tiefschläge in ihrem Leben scheinbar mühelos weg. Haben sie die besseren Gene?
Er wurde Anfang des letzten Jahrhunderts als uneheliches Kind einer Verkäuferin geboren und vielfach deswegen gehänselt. Im Krieg musste er mehrmals fliehen und sich immer wieder neue Identitäten zulegen. Danach startete er seine politische Karriere und wurde nicht nur Bundeskanzler, sondern erhielt auch den Friedensnobelpreis: Willy Brandt. Sie wurde mehr als 3.000 Tage - acht Jahre - als Kind gefangen gehalten und immer wieder von ihrem Entführer gequält. Dennoch wirkt sie heute, vier Jahre nach ihrer Flucht, selbstbewusst und voller Pläne für ihr weiteres Leben: Natascha Kampusch. Was haben die beiden gemeinsam?
PTBS: gestörter Verkehr zwischen Verstand und Gefühl
Beide scheinen besonders widerstandsfähig gegen Schicksalsschläge zu sein. Ebenso wie Menschen, die trotz furchtbarer Vorgesetzter in ihrer Arbeit hervorragende Leistungen bringen, Frauen, die nach einer Vergewaltigung trotz alledem wieder Lust an der Sexualität empfinden. Gibt es so etwas wie ein "Resilienz-Gen", das einen Schutz gegen die "Posttraumatische Belastungsstörung" (PTBS)" verleiht? In den USA macht mehr als die Hälfte aller Menschen irgendwann in ihrem Leben eine traumatische Erfahrung, sei es als Opfer eines Verbrechens, eines Unfalls oder einer Naturkatastrophe. Fast jeder Zehnte davon entwickelt eine PTBS. Ältere meistern Krisen leichter als Jüngere. Zwillingsstudien besagen, dass der genetische Anteil an diesem Krankheitsrisiko bei 32-38 Prozent liegt.
Im Gehirn spielt bei Depressionen als Folge persönlicher Erlebnisse besonders die Region von Hypophyse, Hippocampus und Amygdala eine große Rolle. Die Amygdala hängt den eintreffenden Wahrnehmungen ein "Gefühls-Etikett" an und verknüpft damit einen Reiz mit angenehmen oder unangenehmen Erinnerungen. Während bei Depressiven die Amygdala überaktiv ist, unterdrückt das Gehirn bei ihnen die Arbeit des rationalen Verstands im präfrontalen Kortex (PFC). Wie PTBS-Experte Kerry Ressler von der Emory University in Atlanta herausfand, sind die Verknüpfungen zwischen limbischem System und PFC bei resilienten Menschen, die ein Trauma erfahren haben, stärker als bei Sensiblen.
Enge Freundschaft fördert Resilienz
Eine der Pionierinnen der Forschung über Resilienz war Emmy Werner. Sie untersuchte die Lebenswege der Menschen, die 1955 auf der hawaiianischen Insel Kauai geboren wurden. 200 davon hatten eine sehr schwere Kindheit mit Eltern, die in Armut lebten oder alkohol- oder drogensüchtig waren. Ein Drittel dieser Kinder schaffte jedoch den Sprung in eine bessere Welt, nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft. Werners Untersuchungen stießen auf mehrere Faktoren, die ihre innere Widerstandskraft gegen äußere Widrigkeiten stärkten. Die Kinder schafften es, eine enge Bindung zu mindestens einer erwachsenen Bezugsperson aufzubauen: einem Lehrer, Nachbarn oder einem Verwandten. Mindestens ein Mensch diente ihnen als Vorbild, wie sich auch große Probleme konstruktiv lösen ließen. Schließlich machten sie die Erfahrung der "Selbstwirksamkeit": Mit den eigenen Kräften äußere Widerstände überwinden, sodass sich die Situation zum Positiven wendet.
Defekte Hormonsteuerung sorgt für Depressionen
Menschen, die es schaffen, sich bei Widrigkeiten nicht einfach nur ausgeliefert zu fühlen, haben auch oft andere Gene. Avashalom Caspi vom Kings College in London entdeckte bei einer Studie mit rund 1.000 Menschen auf der neuseeländischen Südinsel eine Gemeinsamkeit im Erbgut für den Serotoninstoffwechsel im Gehirn, den Regulationsfaktor 5-HTTLPR. Das kurze Allel und ein Basenaustausch im langen Allel erhöhen das Risiko für eine Depression besonders nach traumatischen Ereignissen. Der Befund ist jedoch nicht ganz unumstritten: Eine spätere Studie fand keinen Zusammenhang zwischen Gen und Gemütszustand. Ein anderer Kandidat ist FKBP5, ein Modulator für die Andockstelle von Kortisol, einem Glucokortikoid-Rezeptor. Bei Depressiven ist ein großer Anteil dieser Gene demethyliert und wird damit als Protein exprimiert. Torsten Klengel vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie spekuliert über den Wirkmechanismus: "Traumata im Kindesalter hinterlassen je nach genetischer Veranlagung dauerhafte Spuren auf der DNA: Epigenetische Veränderungen im FKBP5-Gen verstärken dessen Wirkung. Die mutmaßliche Konsequenz ist eine anhaltende Fehlsteuerung der Stress-Hormonachse beim Betroffenen, die in einer psychiatrischen Erkrankung enden kann". In einer Publikation in "Nature Neuroscience" beschrieb er, zusammen mit seiner Kollegin Elisabeth Binder, eine Studie an rund 2.000 traumatisierten Afroamerikanern in den USA. Resultat: Je schlimmer das Trauma, desto höher das PTBS-Risiko, aber nur bei jenen, die eine bestimmte Variante dieses Gens besitzen. Wahrscheinlich trägt das entsprechende Allel zur Empfindlichkeit der Amygdala-Hypophyse-Hippocampus-Verbindung bei.
Neurotransmitter bestimmt die Wirkung von Mutationen
Wer die Reaktion auf unerwünschte Ereignisse im Leben nicht nur retrospektiv untersuchen will, muss auf Versuchstiere ausweichen. Ein logischer Weg war es daher, Mäuse und Ratten entsprechend ihres Verhaltens auf Traumata zu züchten und dann in ihrem Erbgut nach spezifischen Markern zu suchen. Fehlfunktionen bei der Produktion von CRH (Corticotropin Releasing Hormone) und einem seiner Rezeptoren scheinen die Nager überängstlich und depressiv zu machen. Ein erhöhter Spiegel des Hormons sorgt für weniger Schlaf und eine hohe Stressempfindlichkeit. Ein inaktiver Rezeptor verringert dagegen die Ängstlichkeit. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, in welchem Bereich der Hormonstoffwechsel gestört ist. Knockout-Mäuse, denen der Rezeptor in Serotonin- oder GABA-produzierenden Neuronen fehlt, verhalten sich normal, während die gleiche Mutation in glutaminergen Neuronen ihre Besitzer furchtlos macht. Amygdala und Hippocampus sind dann weniger aktiv. Bei Dopamin-produzierenden Nervenzellen tritt genau der gegenteilige Effekt ein. Die Dopaminproduktion ist deutlich verringert. Mehrere Arbeitsgruppen des Münchner Max-Planck-Instituts arbeiten auf dem Gebiet der Neurologie der Angst und haben in ihren Veröffentlichungen weitere Faktoren beschrieben, die bei der Reaktion auf Stress eine Rolle spielen.
Pille gegen die wiederkehrende Angst?
Was kann eine PTBS-Therapie ausrichten? Gibt es die Pille gegen die wiederkehrende Angst schon bei niedriger Auslöseschwelle? Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2009 bescheinigt der traumafokussierten Verhaltenstherapie und dem "Eye Movement Desensitization and Reprocessing" (EMDR) die höchsten Erfolgsaussichten. Bei Kindern scheint ebenfalls die kognitive Verhaltenstherapie gegen den Schock einer Misshandlung oder eines schrecklichen Erlebnisses zu wirken. Für Psychopharmaka als erfolgversprechende Therapieoption fehlen dagegen noch überzeugende Beweise. Mit zunehmendem Wissen über die biochemische Verarbeitung von einschneidenden Erlebnissen im Gehirn könnte sich das jedoch ändern. So zitiert "Gehirn und Geist" Rainer Landgraf vom MPI: "Eine einfache Resilienz-Pille wird es nicht geben, aber vielleicht eines Tages einmal einen Cocktail."
Kleines Zeitfenster für die Therapie
Bisherige Studien weisen darauf hin, dass Verhaltenstraining und manche Antidepressiva im Gehirn ganz ähnliche Veränderungen bewirken. Wichtig, so schreibt Thomas Agren von der Universität Uppsala im September in "Science", sei der Zeitpunkt der "Angstlöschung" nach dem Auslöser. Eine Stunde nach Konfrontation mit dem Schlüsselreiz könne man die Erinnerungsspur in der Amygdala löschen, indem man etwa den Reiz ohne den zugehörigen Schock präsentiere. Nach einem halben Tag funktioniert das jedoch nicht mehr, erst recht nicht nach 24 Stunden.
Immerhin, entsprechend den Statistiken, erholen sich zwei Drittel der Betroffenen früher oder später wieder von einer PTBS. Was Kinder betrifft, profitieren wir immer noch von den Erfahrungen von Emmy Werner auf Kauai. Wer die Erfahrung macht, dass Krisen nicht unüberwindlich sind, sondern dass er sie mit eigener Kraft überwinden kann, hat sein Abwehrsystem gegen zukünftige Stürme gestärkt. Ganz besonders dann, wenn derjenige weiß, dass er im Fall des Falles nicht allein dasteht, sondern auf die Unterstützung von zuverlässigen Freunden bauen kann.