Fast acht Millionen Deutsche leiden an Diabetes – Tendenz steigend. Das Heidelberger Universitätsklinikum erprobt nun eine OP-Methode, bei der durch eine Magenverkleinerung Diabetes Typ 2-Patienten geheilt und Folgeerscheinungen verhindert werden sollen.
Die zehnjährige DiaSurg-2-Studie mit 400 nur mäßig übergewichtigen Diabetikern (BMI: 26-35 kg/m²) zwischen 18 und 65 Jahren untersucht unter Federführung der Chirurgischen Uniklinik Heidelberg mit fünf weiteren chirurgischen Kliniken (Frankfurter Krankenhaus Sachsenhausen, Münchner Klinikum Bogenhausen, Berliner Charité, Chirurgische Uniklinik Dresden, Klinikum Karlsruhe sowie Kooperationspartnern in Memmingen, Kiel und Düsseldorf), ob ein Magenbypass, bei dem der größte Teil des Magens ausgeschaltet wird, den Blutzuckerspiegel und die Stoffwechselfunktion normalisieren und dadurch Spätschäden der Diabetes zu verhindern kann. 200 Patienten erhalten eine Magenbypass-OP, 200 Patienten werden nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Diabetes durch medikamentöse Therapie behandelt. Positive Ergebnisse bisheriger Studien Die neue DiaSurg-2-Studie baut auf den positiven Ergebnissen bisheriger Untersuchungen auf. Bei übergewichtigen Patienten führte ein Magenbypass nicht nur zur Gewichtsreduktion, sondern in vielen Fällen auch zur Heilung oder Besserung der Diabetes, sodass kein Insulin mehr gespritzt werden musste. Eine Heidelberger Pilotstudie – die DiaSurg-1-Studie – an der 20 nur mäßig übergewichtige Diabetiker teilgenommen haben, hat bereits erfolgsversprechende Ergebnisse erzielt. Internationale Studien haben darüber hinaus ergeben, dass der Blutzucker bei Übergewichtigen und Diabetikern durch die Operation normalisiert werden konnte. In einer kürzlich im "New England Journal" publizierten schwedischen Studie wurden rund 1.700 operierte Patienten mit 1.800 medikamentös behandelten Patienten nachträglich verglichen: Nach 15 Jahren hatten 392 mit Medikamenten behandelte, aber nur 110 operierte Patienten einen Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt. Bei bisherigen kontrollierten Studien war der Untersuchungszeitraum auf Monate bzw. wenige Jahre nach der Operation beschränkt. Zwei prospektiv randomisierte Studien aus dem April 2012 belegen die metabolische Wirkung unterschiedlicher Adipositas-chirurgischer Eingriffe. Je nach genauem Operationsverfahren erreichten in der Studie von Geltrude Mingrone und Kollegen 75 bis 95 Prozent der operierten Patienten nach drei Monaten einen HbA1c-Wert von ≤ 6,5 Prozent, aber kein einziger der 20 ausschließlich medikamentös behandelten Patienten. In einer weiteren Studie behandelte Philip Schauer und seine Forschergruppe aus Cleveland 150 Patienten entweder konservativ oder mit zwei unterschiedlichen OP-Verfahren. Die Remissionsraten waren in den Operationsgruppen mit 37 respektive 42 Prozent deutlich niedriger als bei der Mingrone-Studie. Allerdings war Remission in der Schauer-Arbeit mit einem HbA1c-Wert von ≤ 6,0 Prozent definiert. Bei zwölf Prozent der medikamentös behandelten Patienten gelang es, den HbA1c-Wert unter sieben Prozent zu senken. "Diese klinischen Studien zeigten positive Ergebnisse. Bevor die OP aber in die klinische Routine eingeführt wird, müssen wir wissenschaftliche Gewissheit haben, dass sie den Diabetikern tatsächlich langfristig nützt und keine Langzeitschäden auftreten", berichtet Professor Markus W. Büchler, geschäftsführender Direktor der Chirurgischen Uniklinik Heidelberg. Veränderte Hormonausschüttung im Darm In Deutschland leiden fast acht Millionen Menschen an Typ 2-Diabetes, von denen zwei Millionen mit Insulin behandelt werden. Nach Schätzungen liegen die Behandlungskosten pro Patient bei 6.000 Euro im Jahr. Vielen Patienten drohen langfristig schwere Gefäßschäden an Nieren, Augen und Herz. "Die Zahl der Diabetiker steigt nach wie vor", sagte Peter Nawroth, Ärztlicher Direktor der Abteilung Endokrinologie und Klinische Chemie am Universitätsklinikum Heidelberg. "Trotz optimaler medikamentöser Therapie können wir Langzeitschäden häufig nicht verhindern." Warum die Bypass-OP wirkt, ist derzeit noch nicht bekannt. An den um 80 Prozent verringerten "Rest-Magen" schließen die Chirurgen direkt den um 1,5 Meter verkürzten Dünndarm an. Die Verkleinerung des Magens und die Verkürzung der Verdauungsstrecke im Magen-Darm durch Umleitung des Nahrungsbreis sorgen dafür, dass weniger Nahrungsbestandteile aufgenommen und verwertet werden. So gelangt durch die Umgehung des Zwölffingerdarms vergleichsweise unverdauter Nahrungsbrei in die unteren Dünndarmabschnitte. Diese Umleitung ist Auslöser der Hormonausschüttung im Darm. Bei der DiaSurg-2-Studie soll der Wirkmechanismus untersucht werden. Alle 400 Patienten werden zunächst von internistischen Diabetes-Experten untersucht und nach den mondernsten Richtlinien behandelt, bevor sie in eine der beiden Studiengruppen – mit oder ohne OP – zugeordnet werden. "Das könnte ein Meilenstein werden", sind die Heidelberger Mediziner auf die ersten Studienergebnisse gespannt, die in einem Jahr vorliegen sollen. Die neue Studie wird von der Manfred Lautenschläger-Stiftung mit 1,5 Mio. Euro unterstützt. "Ich bin mir sicher, dass die Ergebnisse der DiaSurg-2-Studie Durchschlagskraft haben werden und Diabetikern auf der ganzen Welt ein besseres Leben ermöglichen", betont Dr. Manfred Lautenschläger, Gründer des Finanz- und Vermögensberaters MLP. Minimal-invasive Schlüssellochtechnik Die Adipositas-Chirurgie nutzt bei den unterschiedlichen Varianten zwei Prinzipien, wie Professor Rudolf Weiner aus Frankfurt berichtet: Die Verkleinerung des Magenvolumens ("Restriktion") und die Verkürzung der intestinalen Resorptionsstrecke ("Malabsorption"). Mit häufigen Komplikationen durch die OP, die minimal-invasiv, also ohne großen Bauchschnitt durch Einführen feiner OP-Instrumente durch die Bauchdecke durchgeführt wird, ist voraussichtlich nicht zu rechnen. Weltweit wurden damit bereits Zehntausende übergewichtige Patienten behandelt. "Die Komplikationen der Magenbypass-OP liegt bei übergewichtigen Patienten, die ein höheres Risiko als die weniger übergewichtigen Diabetiker haben, bei rund zehn Prozent", erklärt Privatdozent Beat Müller, Leiter der Sektion Minimal-Invasive Chirurgie, der für die Studienleitung verantwortlich zeichnet. Die schonende Technik sorgt überdies dafür, dass die Patienten schon bald nach dem Eingriff wieder fit sind. Bei allen Patienten wurden die Blutzuckerwerte positiv verändert. Zwei Drittel der Patienten waren ihre Diabetes kurz nach der Operation wieder los. Zudem veränderte sich der Gesundheitszustand insgesamt: Die Operierten verloren an Gewicht, ernährten sich gesundheitsbewusster und litten unter keinen Begleiterscheinungen wie Potenzstörungen oder Krämpfen. Nach ersten Erfahrungen verbessert sich zudem ihre Lebenserwartung deutlich, denn durch Diabetes wird das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko erhöht. Metabolische Chirurgie Weil die OP offensichtlich metabolische Effekte hat, ist häufig auch von metabolischer Chirurgie die Rede. Im Jahr 2006 unterzogen sich in Deutschland 1.759, im Jahr 2011 bereits 6.164 Patienten einem Adipositas-chirurgischen Eingriff. Das ist innerhalb von fünf Jahren eine Zunahme von 251 Prozent. Diese Zahlen seien ermutigend, wenn auch im internationalen Kontext noch eher niedrig, konstatiert Matthias Blüher, Endokrinologe und Adipositas-Experte der Universität Leipzig. Eine vor etwa drei Jahren gegründete interdisziplinäre Expertengruppe beschäftigt sich mit den mittlerweile auch in internationalen Journalen gut belegten metabolischer Effekte bestimmter Adipositas-chirurgischer Eingriffe. Trotz aller Fortschritte in der chirurgischen Versorgung ist für Weiner eines klar: "Die OP allein reicht zur Sicherung des Therapieerfolges nicht aus. Die OP ist für den adipösen Diabetespatienten so etwas wie die Gehstütze für den Orthopädiepatienten. Sie wirkt unterstützend, aber laufen lernen muss der Patient trotzdem noch." Mit anderen Worten: Patienten, die sich einem Adipositas-chirurgischen Eingriff unterziehen, benötigen eine qualifizierte Vor- und Nachbetreuung sowie einen einzigen Ansprechpartner, der alle notwendigen Maßnahmen koordiniert.