Therapien, die bei Herzinfarkten oder instabiler Angina pectoris den besten Nutzen bringen, helfen nicht zwangsläufig bei der stabilen Form. Ausgerechnet Pharmaoldies wie Colchicin sorgen für eine Überraschung.
Patienten mit instabiler Angina pectoris profitieren von perkutanen Koronarinterventionen (PCI). Bei stabiler Angina pectoris sieht die Datenlage ganz anders aus. Amerikanische Kollegen verglichen jetzt prospektive, randomisierte Studien mit 7.200 Patienten. Innerhalb von durchschnittlich vier Jahren unterschieden sich die "Gruppen Stent plus Medikament" versus Pharmakotherapie nicht signifikant voneinander. Zu einem ähnlichen Fazit kam die COURAGE-Studie bereits 2007.
Eine Frage der Messung
Ganz so einfach ist die Sache aber nicht. In lediglich 40 Prozent der Fälle lösen tatsächlich Stenosen das Krankheitsbild aus. Häufig hat Angina pectoris mikrovaskuläre Veränderungen als Ursache. Deshalb entschlossen sich Kardiologen, bei der FAME 2-Studie genauer hinzusehen. Sie wählten Patienten aus, die zumindest eine funktionell relevante Stenose hatten. Teilnehmer erhielten entweder eine PCI plus Pharmakotherapie oder nur Arzneimittel. In der PCI-Gruppe kam es bei 4,3 Prozent zum primären Endpunkt, in der Pharmakotherapiegruppe waren es 12,7 Prozent – ein signifikanter, überraschend deutlicher Unterschied. Zu den Ereignissen gehören Tod, Myokardinfarkt oder Revaskularisation infolge akuter Beschwerden. Daraufhin stoppte St. Jude Medical weitere Rekrutierungen für die Studie.
Comeback von Colchicin
Zeitgleich erlebt ein etabliertes Pharmakon in der Kardiologie sein großes Comeback. Colchicin verringert das Risiko akuter Herzattacken um mehr als 70 Prozent. Das fanden Forscher mit der "Low Dose Colchicin for Secondary Prevention of Cardiovascular Disease"-Studie (LoDoCo) heraus. Von 532 Patienten mit stabiler KHK erhielten 282 Colchicin, der Rest bekam ein Placebo. Als Basistherapie wurden fast alle Studienteilnehmer mit Statinen und Thrombozytenaggregationshemmern behandelt. Nach durchschnittlich drei Jahren hatten in der Kontrollgruppe 16 Prozent aller Patienten akute, kardiovaskuläre Ereignisse erlitten, unter Verum waren es nur fünf Prozent. Colchicin wirkt antiinflammatorisch, hemmt neutrophile Granulozyten und kann Gefäßablagerungen stabilisieren. Koronare Ereignisse wie Plaque-Rupturen werden unwahrscheinlicher. Das Pharmakon wird vielleicht schon bald im Arzneimittelschränkchen von KHK-Patienten stehen, während andere Präparate daraus verschwinden.
Auf der Abschussliste
Über Jahre haben sich Betablocker bei der KHK-Therapie etabliert – möglicherweise zu Unrecht. Aus dem REACH-Register nahmen Kardiologen 14.000 Patienten mit stabiler KHK und länger zurückliegendem Infarkt, 12.000 Patienten mit KHK ohne Infarkt sowie 18.700 Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren unter die Lupe. Als primäre Endpunkte definierten sie Herzinfarkte, Schlaganfälle sowie den Tod durch kardiovaskuläre Ursachen. Sekundäre Endpunkte waren notwendige Akutbehandlungen. In der Gruppe mit stabiler KHK ohne früheren Infarkt betrug die Ereignisrate hinsichtlich des primären Endpunkts unter Betablockern 12,94 Prozent (Vergleich: 13,55 Prozent) und 30,59 Prozent hinsichtlich des sekundären Endpunkts (Vergleich: 27,84 Prozent).
Bei Patienten mit KHK-Risiko, aber ebenfalls ohne Infarkt in der Vorgeschichte, traten unter Betablockern in 14,22 Prozent aller Fälle primäre Endpunkte auf (Vergleich: 12,11 Prozent). Zu sekundären Endpunkten kam es bei 22,01 Prozent (Vergleich: 20,17 Prozent). Das Fazit: KHK-Patienten mit stabiler Erkrankung haben unter Betablockern ein höheres Risiko hinsichtlich ihrer Morbidität und Mortalität. Hinweise auf vermeintliche Vorteile fanden Kardiologen bei den untersuchten Gruppen nicht. Medizinische Evidenz gibt es nur – zeitlich befristet – direkt nach einem Herzinfarkt sowie bei chronischer Herzinsuffizienz.
Prävention: Klasse statt Masse
Forscher hinterfragen nicht nur diverse Medikationen, sondern auch Vorsorgeuntersuchungen ohne gezielten Anlass. Eine Arbeit des Nordic Cochrane Centers relativiert die Bedeutung allgemeiner Gesundheitschecks. Dazu befassten sich Kollegen mit 14 randomisierten Studien und mehr als 180.000 Teilnehmern. Speziell bei KHK starben 37 von 1.000 Menschen (Kontrollgruppe) beziehungsweise 38 von 1.000 Menschen (Gesundheitscheck-Gruppe). Hinsichtlich der Morbidität ließen sich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede nachweisen, weder bei KHK, noch bei anderen Krankheitsbildern. Dafür wurden bei der Gesundheitscheck-Gruppe deutlich öfter Hypercholesterinämien sowie arterielle Hypertonien diagnostiziert. Ihre Arbeit wollen die Autoren jedoch nicht als Plädoyer gegen Vorsorgeuntersuchungen missverstanden wissen. Sie sprechen sich gegen flächendeckende Screenings, aber für Untersuchungen bei gezielten Verdachtsmomenten aus.
Individuelle Ziele vereinbaren
Hier bringt die Ende 2012 vorgestellte Leitlinie „Cardiovascular Disease: Prevention in Clinical Practice“ der European Society of Cardiology neue Impulse. Für Frauen ab dem 50. beziehungsweise Männer ab dem 40. Lebensjahr empfehlen die Autoren ein Screening anhand bekannter Risikofaktoren. Dazu gehören neben Alter und Geschlecht auch Einflüsse des Lebensstils sowie Vorerkrankungen. Gibt es entsprechende Hinweise, folgen weitere Untersuchungen. Ausgehend davon sollen zusammen mit dem Patienten individuelle Ziele vereinbart werden: ein Blutdruck unter 140/90 mmHg, ein Cholesterinspiegel unter 70 mg/dl für Hochrisikopatienten beziehungsweise unter 115 mg/dl bei geringem Risiko sowie Änderungen im Lebensstil.
Sport und Nitroglycerin – die Mischung macht´s
Speziell durch aerobes Training verringern sich die kardiovaskuläre Mortalität um 26 und die Gesamtmortalität um 20 Prozent. Bleibt als Herausforderung, Patienten zu animieren, sich mehr zu bewegen. Viele Betroffene haben über Monate hinweg Schutzmechanismen entwickelt, um körperliche Belastung und damit auch pektanginöse Beschwerden zu vermeiden. William E. Boden, New York, rät nicht nur an Sport zu denken. Vielmehr sollten Patienten mit kurzwirksamen, organischen Nitraten wie Nitroglycerin versorgt werden – als Prophylaxe.