Öffentliche Apotheken erreichen mit Präventionsangeboten viele Millionen Menschen. Endlich werden Kollegen in die Versorgung von Diabetespatienten formal eingebunden. Der längst überfällige Paradigmenwechsel?
Seit Jahren fordern Apotheker, bei der Prävention typischer Volkskrankheiten ihre Kompetenz mit einzubringen. Erfolgreiche Modellprojekte zeigen, wie das funktionieren könnte. Sogar die Apothekenbetriebsordnung erwähnt Vorsorgemaßnahmen als typische Dienstleistungen. Für Regierungsvertreter ist und bleibt Prävention jedoch bei Ärzten verankert. Sand im Getriebe Sie sieht es danach aus, dass Mediziner versuchen, eigene Pfründe zu sichern, indem sie das ABDA-KBV-Modell torpedierten: ein Konstrukt, das zur Prävention arzneimittelbedingter Risiken wichtig wäre. Es sieht drei Säulen vor, nämlich Wirkstoffverordnungen, einen Medikationskatalog und ein Medikationsmanagement. Ärzte verschreiben keine Präparate mehr, sondern Arzneistoffe, inklusive Dosierung und Therapiedauer – so die Idee. Als Basis dienen zentrale Datenbanken mit Substanzen, basierend auf Leitlinien diverser Fachgesellschaften. Apotheker wählen das passende Präparat aus – nach pharmazeutischen und ökonomischen Kriterien. Um chronisch Kranke, die fünf und mehr Arzneimittel pro Tag einnehmen, besser zu versorgen, arbeiten Gesundheitsberufe Hand in Hand. Arzt und Apotheker optimieren die Medikation, vermeiden Interaktionen und haben ein wachsames Auge auf die Compliance. Für ihre Leistung teilen sie sich 360 Euro pro Patient und Jahr. Klingt gut – allerdings war von Beginn an Sand im Getriebe. Flächendeckende Feldtests erwiesen sich als unmöglich. Schließlich gaben sich Gesundheitspolitiker mit einzelnen Regionen zufrieden – aller Wahrscheinlichkeit nach Sachsen und Thüringen. In der Zwischenzeit hat der Deutsche Hausärzteverband Nägel mit Köpfen gemacht. Bereits seit September kommen privat Versicherte in den Genuss, ihre Medikation beim Hausarzt überprüfen zu lassen. Mehr als 2.500 Mediziner haben in den letzten Monaten ihre Beteiligung zugesagt. Dr. Sebastian Schmitz, Hauptgeschäftsführer der ABDA, äußerte sich zum Modell seines Verbands trotzdem optimistisch: "Das Projekt soll Frühjahr 2013 an den Start gehen." Wie wichtig die Beteiligung von Apothekern ist, zeigen erfolgreiche Modellvorhaben. Prävention – eine Herzensangelegenheit Dass öffentliche Apotheken als niederschwellige Anlaufstelle geradezu prädestiniert sind, Patienten mit chronischen Erkrankungen zu beraten, hat "Herzensangelegenheit 50+" bewiesen. Dahinter stecken Arbeiten des Wissenschaftlichen Instituts für Prävention im Gesundheitswesen (WIPIG). Ausgewählte Apotheken in Bayern erfassten bei 50- bis 70-jähringen Kunden kardiovaskulare Parameter. "Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, hängt nachweislich auch vom Lebensstil der Betroffenen ab", sagt Professor Dr. Werner O. Richter, wissenschaftlicher Leiter des Projekts. Genau hier setzten Kollegen bei 2.000 Patienten an. Nach der Bestimmung von Blutdruck, Blutfetten und BMI wurde durch intensive Beratung gegengesteuert. Wichtige Bausteine waren Vorträge sowie individuelle Beratungsangebote zur Ernährung und zur Bewegung. Falls erforderlich, unterstützten Apotheker auch ärztliche Maßnahmen. Immerhin gelang es mit dieser Begleitung, dass 65,5 Prozent aller Teilnehmer ihr kardiovaskuläres Risiko verringerten. Vom Erfolg angetan, begann Ende 2012 ein Projekt, das öffentliche Apotheken bei Typ II-Diabetes in den Fokus rückt. Durch eine neue Versorgungsleitlinie bekommt das Thema bundesweite Relevanz. "Enge Zusammenarbeit der Heilberufe" Die jetzt veröffentlichte "Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Diabetes – Strukturierte Schulungsprogramme" sieht eine stärkere Beteiligung von Kollegen bei der Betreuung von Diabetikern vor. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt: "Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern bei der Schulung von Menschen mit Diabetes wurde jetzt erstmals in einer Nationalen Versorgungsleitlinie definiert. Das ist ein weiterer Baustein für die enge Zusammenarbeit der beiden Heilberufe." Gerade bei dieser Erkrankung hängen Verlauf und mögliche Folgeerkrankungen stark vom Wissen und von der Compliance der Patienten ab. Deshalb sind Einzel- oder Gruppenschulungen vorgesehen. Sollte es Probleme geben, unterstützen Apotheker vor Ort, etwa bei Fragen zur Medikation. Auch bedienen Laien Insulinpens und Glukosemessgeräte nicht immer korrekt. Schmidt: "Diese Unterstützung der Diabetiker geht über die normale Information und Beratung durch den Apotheker hinaus. Das dafür notwendige Wissen eignen sich Apotheker in strukturierten Fortbildungen an." Für Kollegen, die Schwerpunkte bei der Betreuung von Diabetespatienten setzen wollen, bietet sich eine zertifizierte Fortbildung zum diabetologisch qualifizierten Apotheker DDG an. Am Curriculum haben die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) und die Bundesapothekerkammer (BAK) gemeinsam gearbeitet. Das Ergebnis: Mehr als 5.000 Apotheker sind laut ABDA mit im Boot. Allerdings sieht das Papier keine zusätzliche Vergütung vor. Präventionsleistungen honorieren Krankenkassen haben ohnehin andere Schwerpunkte – Apotheker kommen beispielsweise im "Leitfaden Prävention" des GKV-Spitzenverbands nicht vor. Grund genug für das WIPIG, ein Thesenpapier zu veröffentlichen. Die Quintessenz: Ohne starke Vernetzung aller Akteure sind erfolgreiche Präventionsprogramme nicht möglich. Öffentliche Apotheken haben hier die zentrale Rolle. Ihre Kunden schätzen niederschwellige Dienstleistungen: wohnortnah, offen für alle sozialen Schichten, ohne Terminvereinbarung und meist ohne längere Wartezeit. Mit durchschnittlich 3,5 Millionen Kontakten pro Tag besteht die Möglichkeit, Risiken flächendeckend zu identifizieren und Patienten gegebenenfalls einen Besuch in der ärztlichen Praxis zu empfehlen. Nach Diagnostik und Verordnung begleiten Apotheker die Betroffenen weiter. Entsprechende Leistungen müssen aber auch honoriert werden. Ohrfeige vom Bund Ende Dezember kam das böse Erwachen. Union und Liberale verständigten sich auf Eckpunkte zur Umsetzung ihrer lange geplanten Präventionsstrategie. Die gute Nachricht: Gesundheitspolitiker planen für entsprechende Aufgaben mehr Geld ein. Künftig soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung weitreichende Kompetenzen erhalten. Kinderärzte wiederum werden aufgefordert, stärker auf körperliche und seelische Defizite achten. Hier ist angedacht, neue Inhalte bei Früherkennungsuntersuchungen zu definieren. Andere Arztgruppen sind ebenfalls in der Pflicht, sich intensiver als bisher mit dem Thema auseinanderzusetzen und Patienten individuelle Präventionsmaßnahmen zu empfehlen, Kassenzuschuss inklusive. Hehre Ziele, nur werden Apotheker in dem Papier nicht einmal erwähnt. Damit bleiben drängende Fragen zur Einbindung, aber auch zur Honorierung, wieder einmal unbeantwortet. Johannes Singhammer (CSU) beschwichtigte in einer ersten Stellungnahme die Apothekerschaft. Er lade alle Kollegen herzlich ein, bei der Prävention mitzuwirken. Konkret will Singhammer interessierte Kollegen am nationalen Präventionsrat beteiligen. Ob dieses Gremium jemals etabliert wird, ist eine andere Frage. Der Koalitionspartner FDP äußerte sich eher ablehnend.