Schuld am Übergewicht vieler Deutscher sind kalorienreiche Ernährung, zu wenig Bewegung – und Hausstaub. Zumindest laut Ergebnis einer Studie von amerikanischen Umweltmedizinern. Im Staub soll es obesogene Substanzen geben, die die Energiespeicherung in Fettzellen erhöhen.
Etwa 60 Prozent der Männer und knapp 40 Prozent der Frauen sind zu dick, so lautet das Ergebnis des 13. Ernährungsberichts der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. „Die Gründe für die Entstehung von Übergewicht sind seit Langem bekannt“, erklärt Prof. Helmut Heseker, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.
Nicht nur die bekannten Faktoren wie kalorienreiche Ernährung und zu wenig Bewegung machen dick, sondern auch Hausstaub. So lautet jedenfalls das Ergebnis einer Untersuchung amerikanischer Wissenschaftler um Umweltmedizinerin Heather Stapleton, [Paywall]. Grund hierfür sollen obesogene, also Adipositas fördernde Substanzen sein, die im Hausstaub neben Haaren, Hautschuppen und Mikroorganismen enthalten sind. Obesogene Substanzen kommen überall in der Umwelt vor: In Konsumgütern wie Plastik findet man sie genauso wie in Wohnräumen. Kinder, die mit diesen Chemikalien in Kontakt kommen, sollen im Erwachsenenalter häufiger übergewichtig sein. Die „Dickmacher“ wirken auf den menschlichen Körper, indem sie die Entwicklung der Fettzellen verändern, die Energiespeicherung in Fettzellen erhöhen und sich auf die Appetitkontrolle auswirken.
Obesogene Stoffe gehören zu den endokrin wirksamen Substanzen, den EDCs (endocrine disrupting chemical). EDCs sind synthetische oder natürlich vorkommende Stoffe, die „Funktionen des endokrinen Systems verändern und dadurch unerwünschte gesundheitliche Effekte auf einen intakten Organismus, seine Nachkommen oder (Sub-)Populationen bedingen“[Paywall]. Eingeteilt werden sie nach chemischer Struktur, der Wirkung auf bestimmte Hormonsysteme, der Bioakkumulation, der Persistenz in der Umwelt oder nach ihren Auswirkungen. Endokrine Disruptoren kommen in Flammschutzmitteln, Kunststoffen und Weichmachern vor. Sie beeinflussen unter anderem die Fortpflanzungsfähigkeit, die Entwicklung des menschlichen Organismus und begünstigen die Entstehung bestimmter Krebsarten.
Mit dem Ziel, die Wirkung von normalem Hausstaub auf die Entwicklung von Fettzellen nachzuweisen, untersuchten die Wissenschaftler um Heather Stapleton den Staub von elf Haushalten in North Carolina. Hierfür wurde dieser an der 3T3-L1-Zelllinie von Mäusen getestet, ein häufig verwendetes Modell, um Fettzellen und deren Konversion aus Prä-Adipozyten zu untersuchen. Zehn der elf Proben bewirkten, dass sich Prä-Adipozyten zu reifen Fettzellen weiterentwickelten bzw. sich Triglyzeride, die Speicherform der Fettsäuren, ansammelten. Bei neun der Hausstaub-Proben beobachteten die Forscher eine signifikante Proliferation von Zellen und bei sieben Hausstaubproben fanden sie eine deutliche Ansammlung von Fettzellen. Nur eine einzige Probe hatte überhaupt keine Wirkung. Dies alles geschah, so die Forscher, bei umweltrelevanten Konzentrationen. Anschließend testeten die Wissenschaftler 44 schwerflüchtige Substanzen aus sieben verschiedenen Gruppen (unter anderem Pestizide, Phthalate, bromierte und Organophosphat-Flammschutzmittel), die bekanntermaßen im Hausstaub vorhanden sind. 28 Chemikalien stimulierten dabei die Weiterentwicklung der Prä-Adipozyten in Fettzellen. Das Pestizid Pyraclostrobin, das Flammschutzmittel TBPDP und der Weichmacher Dibutylphthalat (DBP) erwiesen sich als besonders potent. Heather Stapleton und Co. vermuten daher, dass eine Mischung dieser Substanzen im Hausstaub die Triglyzerid-Ansammlung und die Entstehung von Fettzellen begünstigen könnte.
Vor zwei Jahren veröffentlichte Heather Stapleton mit Mitarbeitern eine Studie [Paywall], in der sie die Wirkung von Bestandteilen des Hausstaubs auf den Peroxisomen-Proliferator-aktivierter Rezeptor gamma (PPARɤ) vorstellten. 28 der 30 schwerflüchtigen organischen Substanzen waren demnach „schwache bis moderate“ PPARɤ-Agonisten. Die Substanzen konnten an dem Rezeptor binden und diesen aktivieren. Ähnlich sah es bei den Hausstaubproben aus. Mehr als die Hälfte der 25 gesammelten Proben (15) aktivierten den Rezeptor – und das bei ähnlichen Konzentrationen, denen Kinder täglich ausgesetzt sind.
Bei der Untersuchung der Entstehung von Fettzellen beschränken sich viele Wissenschaftler darauf, die Wirkung der Substanzen an dem PPARɤ zu erforschen. Jedoch können auch folgende Rezeptoren die Adipogenese beeinflussen: • Thyroid-Hormon-Rezeptor beta (THRB), • Leber-X-Rezeptor (LXR), • Farnesoid -X-Rezeptor (FXR), • Glukokortikoid-Rezeptor, • Östrogen-Rezeptor, • Androgen-Rezeptor, • Retinoid-X-Rezeptor, • Insulin-Rezeptor. Wie Heather Stapleton in ihrer aktuellen Studie schreibt, zeigten einige der 44 getesteten Substanzen keine oder nur minimale Aktivität an PPARɤ. Dennoch bewirkten sie, dass sich Prä-Adipozyten zu reifen Fettzellen entwickelten. Beispiel hierfür ist die Substanz Pyraclostrobin, eines der potentesten „Dickmacher“ – und das obwohl es PPARɤ nicht aktiviert. Weiterhin zeigten der Weichmacher BBP (Benzylbutylphthalat) und das Flammschutzmittel ITP (isopropyliertes Triphenylphosphat) beide an PPARɤ eine 30-prozentige Aktivität. Während Zellen, die mit BBP behandelt worden waren, nur eine minimale Triglyzerid-Ansammlung aufwiesen, betrug diese bei ITP 110 Prozent.
Menschen, insbesondere kleine Kinder, sind ständig dem Staub ausgesetzt und dadurch auch den in dem Staub enthaltenen Substanzen. Die amerikanische Umweltbehörde schätzt, dass Kinder täglich etwa 50 Milligramm Hausstaub über den Mund, die Atemwege sowie die Haut aufnehmen. Laut den Wissenschaftlern reichten jedoch bereits drei Mikrogramm des Staubs aus, um Vorläuferzellen in Fettzellen zu verwandeln – eine Menge also, die über 16.000 Mal geringer ist als die, denen Kinder täglich ausgesetzt sind. Hausstaub kann demnach, so die Wissenschaftler, die Gesundheit der Kinder stören.
Der Hauptgrund für Übergewicht ist und bleibt ein Ungleichgewicht zwischen Kalorienaufnahme und -verbrauch. Jedoch können auch umweltbedingte Ursachen die Fettspeicherung beeinflussen. Die Studie der Wissenschaftler um Heather Stapleton lässt vermuten, dass im Hausstaub bedenkliche Substanzen in ausreichender Konzentration vorhanden sind, um die Entwicklung von Fettzellen zu begünstigen. Allerdings beweist die Studie nicht, dass dies auch wirklich so ist. Die Gründer hierfür sind folgende. Zum einen haben die Wissenschaftler nur elf Proben untersucht, die in einer relativ kurzen Zeit (Mai–Oktober 2014) im zentralen North Carolina gesammelt worden sind. Ob die Ergebnisse auf die Vereinigten Staaten übertragen werden können, ist fraglich. Zum anderen erhält der Leser keine Informationen, über die Bewohner der Häuser. Zum Besipiel darüber, ob die Menschen schon übergewichtig waren oder nicht. Da der Staub nur an Mäuse-Zelllinien getestet wurde, müssen zukünftige Studien erst beweisen, ob er Auswirkungen auf den menschlichen Körper hat. Es bleibt also fraglich, ob ambitioniertes Staubwischen einen Effekt auf die überflüssigen Pfunde hat – es sei denn, der Staub wird durch besonders sportliche Hausarbeit verbrannt.