Das Zusammenspiel der Immunzellen beim Kampf gegen Eindringlinge und Gewebe am Stück in 3D betrachten - bisher nur in Computeranimation oder Schnitt möglich. Ein Mikroskop soll bei biomedizinischer Forschung und klinischer Diagnostik Abhilfe schaffen.
Das Konzept für ein derartiges Mikroskop ist alles andere als neu. Es wurde bereits im Jahr 1902 von dem Physiker Henry Siedentopf und dem österreichischen Chemiker Richard Zsigmondy publiziert und beruht auf der sogenannten Spaltlichtbeleuchtung. Das bedeutet, dass sich der Lichtstrahl im 90-Grad-Winkel zum Auge befindet. "Jeder kennt dieses Phänomen, wenn das Licht am Nachmittag seitlich in ein Zimmer fällt. Dann sieht man plötzlich die feinsten Staubpartikel durch die Luft fliegen", veranschaulicht Dr. Andreas Beilhack den Tyndall-Effekt, der beispielsweise in optischen Rauchmeldern und in speziellen Lampen von Augenärzten zum Einsatz kommt.
Siedentopfs und Zsigmondys Ultramikroskop ließ durch eine seitliche Spaltlichtbeleuchtung kleinste Partikel unter der Auflösungsgrenze des Lichts erkennen; also Teilchen, die kleiner als ein 20.000stel Millimeter sind. Zsigmondys bahnbrechende Beobachtungen, die mit Hilfe dieses Mikroskops gelangen, wurden 1925 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt.
Selbstgebasteltes Hochleistungsmikroskop
Mehr als 100 Jahre später haben nun Würzburger Wissenschaftler diese Technik mit Hilfe moderner Laser- und Computertechnologie verfeinert. Innerhalb von wenigen Minuten können die Wissenschaftler mit dem selbstgebauten Mikroskop Körpergewebe in tausenden optischen Schnittbildern abscannen und über einen Hochleistungsrechner in drei Dimensionen wieder zusammensetzen. "Unser Ansatz beruht auf modernster Lasertechnologie, neuartigen Fluoreszenzfarbstoffen und Hochleistungsrechnern, die in Kombination phantastische Möglichkeiten für die biomedizinische Forschung und in Zukunft für die klinische Diagnostik eröffnen", so Beilhack. Damit sei es beispielsweise möglich, die Wechselwirkung von Immunzellen mit Krebszellen oder das Geschehen bei Abstoßungsreaktionen nach einer Transplantation sichtbar zu machen.
"So lernen wir anschaulich, die vielseitigen Funktionen unseres Immunsystems zu verstehen", so Andreas Beilhack, Leiter einer Forschergruppe des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung (IZKF Würzburg) an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II und der Universitäts-Kinderklinik.
Auf den Brechungsindex kommt es an
Die spezielle Technik, die tief im Gewebe intakter Mausorgane oder in Biopsien von Krebspatienten Zellen und Moleküle mittels Fluoreszenzfarbstoffen sichtbar macht, hat Christian Brede entwickelt, Doktorand in der Forschergruppe von Andreas Beilhack. Dazu werden gewebespezifische Antikörper mit Fluoreszenzfarbstoffen markiert. So lassen sich verschiedene Zellen in unterschiedlichen Farben markieren. "Die größte Herausforderung dabei war, das Gewebe homogen zu färben, also die fluoreszenzmarkierten Antikörper durch das verdichtete Tumorstroma tief ins Gewebe zu bringen", erklärt Beilhack. Dies sei den Forschern nur nach einer intensiven Zeit des Experimentierens und Optimierens gelungen.
Der Clou am Verfahren sind Lösungsmittel, die in das Gewebe eingebracht werden und den gleichen Brechungsindex wie das Körpereiweiß haben. Sie sorgen dafür, dass das Gewebe plötzlich durchsichtig erscheint. "Diesen Effekt kennt man aus der Küche, wenn man einen Tropfen Öl auf ein weißes Papier bringt", erklärt Brede. Weil Öl und Papier einen ähnlichen Brechungsindex besitzen, wird das Papier transparent. Mit dem aktuellen Mikroskop können die Wissenschaftler bis zu drei Farben gleichzeitig analysieren. "An weiteren Farben, mit denen man noch komplexere Prozesse darstellen kann, wird momentan gebastelt", so Beilhack.
Lehre, Forschung und Diagnostik
Beilhack sieht drei große Anwendungsgebiete für seine neue Mikroskopietechnik: "Eine dreidimensionale Darstellung der Immunzellen während ihrer Interaktion hilft den Studierenden, die Zusammenhänge der Immunzellen besser zu verstehen." Auch der biomedizinischen Forschung und der klinischen Diagnostik wird die neue Technik zugutekommen. "Wir können bereits ganze Organe der Maus und große Gewebestücke des Menschen abscannen und bestimmte Zelltypen darin quantifizieren“, so Beilhack. Den Algorithmus der Software dazu haben die Wissenschaftler selbst programmiert.
Bei Gewebeschnitten könnten die gesuchten Zellen in einem Schnitt über- oder unterrepräsentiert sein. "Physische Schnitte beruhen auf dem Zufallsprinzip", grenzt Beilhack die Vorteile seiner neuen Methode ab. Die mikroskopische Gewebeuntersuchung hingegen liefere sehr verlässliche Ergebnisse. Auch seltene Zelltypen könnten mit der neuen Technik in einem Gewebestück zielsicher aufgespürt werden, was mit der Kryoschnittmethode ein zeitintensiver und aufwendiger Prozess ist.
Praktische Anwendungsmöglichkeiten der neuen Mikroskopietechnik sieht Beilhack beispielsweise bei Tumoroperationen, nach denen sich Chirurgen und Pathologen nicht selten uneinig sind, ob genügend pathogenes Gewebe entfernt wurde. „In dreidimensionaler Darstellung können derartige Beurteilungen zweifelsfrei getroffen werden“, so Beilhack. Dass die neue Mikroskopietechnik die traditionellen histologischen Untersuchungsverfahren gänzlich ablösen wird, glaubt Beilhack zwar nicht, „aber sie wird sie an vielen Stellen ergänzen.“