Viele Mysterien ranken sich um die Hypnose. Manche haben die Machenschaften von Filmbösewichten vor Augen, andere denken an misslungene Showhypnosen. Um Euch zu zeigen, dass Hypnose mehr ist, als nur Trick und Spielerei, haben wir einen führenden Experten zur Hypnose in der Medizin befragt.
Anke K. hat seit ihrem achten Lebensjahr panische Angst vor dem Zahnarzt. Schon allein der Gedanke, auf dem Stuhl zu sitzen, das schreiende Bohrgeräusch zu hören und dem behandelnden Arzt komplett ausgeliefert zu sein, lösen bei ihr Kniezittern und den Drang zur Flucht aus. Doch heute soll ihr ein Weisheitszahn gezogen werden. Den Termin hat sie nun schon zum 15. Mal vereinbart und bisher immer wieder abgesagt. Die Furcht war einfach zu groß. Dieses Mal soll allerdings alles anders werden, denn Anke hat sich dafür entschieden, die OP unter zahnärztlicher Hypnose durchzuführen. Schon beim Betreten der Praxis spürt Anne, wie ihr Herz zu rasen beginnt, dass sie am liebsten einfach wegrennen möchte. Aber sie nimmt all ihren Mut zusammen und legt sich auf das weiche Polster des Zahnarztstuhls. "Du entspannst dich und lässt deinen Atem fließen... tiefer und tiefer... ". Die melodische Stimme des Hypnotiseurs schafft es, dass die Patientin tatsächlich ruhiger wird. Ihr Atem verlangsamt sich, der Puls nimmt ab, der Blutdruck sinkt und die Hirnströme pendeln sich zwischen Wachsein und Schlafen ein. Anke hält die Hände im Schoß, gleichmäßig hebt und senkt sich ihre Bauchdecke. Schließlich hat sie sich so weit entspannt, dass die Weisheitszahn-OP beginnen kann. Hypnose als biologisches Anästhetikum Dr. Gerhard Schütz, Diplompsychologe und Psychotherapeut aus Berlin, ist auf die Arbeit mit Hypnose spezialisiert und hat dazu zahlreiche wissenschaftliche Bücher und Fachartikel veröffentlicht. Er erklärt: "Es gibt vielfältige Einsatzmöglichkeiten der klinischen Hypnose. Sie wird gehäuft zur Reduktion von Angst und Schmerzzuständen angewandt." So wie bei Anke K. kann sie beispielsweise zur Beruhigung vor und während operativen Eingriffen eingesetzt werden. "Daneben gibt es aber noch weitere Anwendungsbereiche in der Medizin, wie z.B. psychosomatische Erkrankungen, Geburtsvorbereitung, Autoimmunerkrankungen, Hauterkrankungen, Allergien, Magen- und Darmerkrankungen, Migräne oder Bluthochdruck." Es werden sogar ganze Operationen ohne Narkose und nur im hypnotisierten Zustand durchgeführt. Der klare Vorteil zu herkömmlichen Behandlungsmethoden seien laut Dr. Schütz die sehr schnellen Veränderungen, die man bei Menschen innerhalb kürzester Zeit erzielen könne und natürlich, dass kaum unerwünschte, schädliche Einflüsse auf den Körper zu erwarten sind. Nicht umsonst wird die Hypnose auch als "biologisches Anästhetikum ohne Nebenwirkungen" bezeichnet. Von Magneten, die heilen und Schlaf, der gesund macht Aber wie funktioniert Hypnose eigentlich genau? Dafür lohnt sich ein kleiner Ausflug in die Geschichte. Im 18. Jahrhundert experimentierte der deutsche Arzt Franz Anton Mesmer mit Magneten, die er Patienten auflegte. Er beschrieb dieses Verfahren als "magnetischen Animalismus" und schrieb ihm heilende Kräfte zu. Natürlich konnten die Magneten selbst nicht heilen, wohl aber Mesmer durch seine Suggestion (= unterbewusste Beeinflussung von Denken/ Fühlen/ Handeln der Patienten). Der Arzt verstand sich darauf, bei seinen Patienten eine enorme Erwartungshaltung zu erzeugen. Er setzte große Spiegel ein, ließ Sphärenmusik erklingen oder blickte den Hilfesuchenden starr in die Augen, während er mit ihnen arbeitete. Dadurch, dass er nur große Gruppen behandelte - sein Wartezimmer war stets überfüllt - verstärkte er diesen Effekt noch zusätzlich und den Patienten ging es tatsächlich besser. Diese erste Art von Hypnose nannte man "Mesmerisieren" und sie wurde im Zuge der Aufklärung nun nicht mehr - wie noch im Mittelalter - als Hexerei und Teufelswerk verfolgt, sondern fand schnell Verbreitung. Der Begriff Hypnose, wie wir ihn kennen, wurde aber erst durch den englischen Chirurg James Braid geprägt. Er nutzte die physiologischen und psychischen Voraussetzungen eines Zustandes, den er lange Zeit für künstlich hervorgerufenen Schlaf hielt, weshalb er den Namen "Hypnose" etablierte. Deshalb nannte er das Phänomen auch Neurohypnologie, was soviel wie "nervöser Schlaf" bedeutet und später dann "Hypnose", was sich vom griechischen Gott des Schlafes, Hypnos ableitet. Stark erhöhte Konzentration Heute weiß man allerdings, dass die Patienten nicht wirklich "schlafen". Dr. Gerhard Schütz bezeichnet den Bewusstseinszustand, in den er seine Patienten versetzt, als "Trance". Dies steht für ein Befinden, das weder Schlaf noch alltägliches Bewusstsein ist und in dem wir uns in einem veränderten Zustand des Erlebens, Fühlens, Wahrnehmens und Verhaltens befinden. Eine Art Dämmerungszustand also, in dem wir uns fühlen, als würden wir träumen. In diesem Zustand sind sowohl die Ansprechbarkeit des Unterbewusstseins als auch die Konzentration stark erhöht. Dadurch können bestimmte Phänomene verstärkt oder überhaupt erst wahrgenommen werden, wie beispielsweise die Kontrolle über das vegetative Nervensystem oder auch eine erhöhte Empfänglichkeit für Suggestionen. "In der Fachwelt gibt es weder eine allgemein akzeptierte und genaue Definition von Hypnose, noch eine gesicherte wissenschaftliche Theorie, die das Entstehen der Hypnosephänomene eindeutig erklärt", so Dr. Schütz. "Momentan wird vor allem in den USA daran geforscht, was mit dem Gehirn während der Hypnose passiert und wie sie eigentlich funktioniert. Was man schon weiß ist, dass bestimmte frontale Bereiche des Gehirns, die sich um Kontrolle und Steuerungsfähigkeit bemühen, während der Hypnose weniger Signale senden. Es gibt aber noch weit mehr zu erforschen". Einmal Hypnose bitte - Dem Therapeuten über die Schulter geschaut Auf die Frage, bei wem Hypnose wirkt, antwortet Dr. Schütz, dass prinzipiell fast jeder hypnotisiert werden kann. Je motivierter allerdings die Patienten sind und je besser sie sich auf den Hypnotiseur einlassen und ihm vertrauen können, desto einfacher ist es, sie in den Trancezustand zu versetzen. "Die meisten Menschen können relativ einfach den hypnotischen Zustand erleben. Bedingung hierzu ist: Konzentrationsfähigkeit und Mut, nicht unbedingt immer alles und jedes kontrollieren zu müssen, also loslassen zu können". Eingeleitet wird die Hypnose dann, indem die Aufmerksamkeit des Patienten auf bestimmte Gedanken, Vorstellungsbilder oder Empfindungen gerichtet wird. Kann sich der Patient konzentrieren, so ist das das Zeichen, dass er auf die Anwendung der Hypnose anspricht. Die Einleitung und Aufrechterhaltung des hypnotischen Zustandes wird meist durch beruhigendes Sprechen in Verbindung mit positiven Suggestionen bewirkt, sodass der Patient auf respektvolle Weise in einen anderen Bewusstseinszustand geführt wird, in dem dann die therapeutische Intervention erfolgt. Dr. Gerhard Schütz erklärt: "[…] unser Unbewusstes verfügt über selbstregulatorische und –reinigende Fähigkeiten. Dieses Potential kann in einem hypnotischen Zustand viel besser gefördert werden als im Wachzustand. Im hypnotischen Trancezustand ist der psychische Abwehrmantel – also quasi eine Art sozialer Schutzpanzer – porös und löchrig – unbewusste Regungen, Impulse, Ideen oder Vorstellungsbilder haben es hier leichter, sich Gehör zu verschaffen." In diesem Zustand kann Dr. Schütz dann dem Patienten bestimmte Gefühle und Empfindungen suggerieren und ihn somit therapieren. Eine typische Behandlung dauert zwischen fünfzig Minuten und bis zu drei Stunden. Anschließend wird der Patient wieder sanft aus der Hypnose zurückgeholt. Körperliche Erkrankungen und Schmerzen sollten natürlich vor einer Hypnosetherapie abgeklärt werden und alle schulmedizinisch notwendigen Untersuchungen und Therapien vorher stattgefunden haben. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Hypnotiseur Besonders interessant ist natürlich auch die Frage nach möglichen Risiken der hypnotischen Behandlung. Wie zu Anfang schon beschrieben, gibt es kaum Nebenwirkungen, aber ein paar Dinge muss man als Patient dann doch beachten, wenn man in den Trancezustand und die Tiefen seines Unterbewusstseins gleiten möchte. "Bei Patienten, die sich sowieso schon in einem labilen seelischen Zustand (z.B. bei Schizophrenie) befinden, besteht die Gefahr, diesen weiter zu verstärken. Somit sollten nur Menschen mit Hypnose therapiert werden, die keine psychotischen Krankheitssymptome ausweisen", erzählt uns Dr. Schütz. "Auch Menschen mit Epilepsie sollten vorsichtig sein. Zudem ist es wichtig, dass die Hypnose von einem ausgebildeten Hypnosetherapeuten durchgeführt wird, damit der Patient richtig aus dem Trancezustand zurückgeholt wird. Passiert dies nicht, kann es bei manchen Patienten anschließend zu Kopfschmerzen, Verwirrtheitszuständen oder Wahrnehmungsverzögerungen kommen, was beispielsweise beim Autofahren gefährlich sein kann. Leider ist die Berufsbezeichnung "Hypnosetherapeut" nicht geschützt, sodass man sich vorher genau informieren sollte, zu wem man sich in die Therapie begibt. Auf den Internetseiten der Fachgesellschaften lässt sich meist prüfen, ob der Arzt oder Therapeut zertifiziert ist." Ärzte können an unterschiedlichen Fortbildungsinstituten die Weiterbildung zum Hypnosetherapeuten erlangen. In Deutschland gibt es mittlerweile vier große Fachgesellschaften für Hypnose, die solche Fortbildungen anbieten. Trotz unzähliger Studien, die der Hypnosetherapie große Behandlungserfolge belegen, entscheiden sich nur wenige Ärzte für die Hypnose. "Den meisten ist das einfach zu viel Arbeit", berichtet Dr. Schütz. "Beide – sowohl Arzt als auch Patient – müssen viel Zeit und Geduld investieren." Zudem wird die Hypnosetherapie von den gesetzlichen Krankenkassen in der Regel nicht übernommen und von den privaten Krankenkassen oder Zusatzversicherungen nur bezahlt, wenn eine direkte medizinische Notwendigkeit vorliegt. Dabei birgt die Hypnose ein sehr großes therapeutisches Potential. Mentales Abbremsen Ein Paradebeispiel für die klinische Anwendung von Hypnose liefert das University Hospital of South Manchester in Großbritannien. Dort werden jedes Jahr Hunderte von Menschen behandelt, die an einem "Reizdarm" leiden. In Fällen, bei denen jede andere Therapie versagt, setzen die Ärzte neuerdings Hypnose ein. In Trance lernen die Kranken, sich ihren Verdauungstrakt als Fluss vorzustellen, dessen Wasserlauf sie mental beschleunigen oder abbremsen können. Laut einer Studie gehen bei mehr als zwei von drei Patienten die typischen Symptome dann auch im Alltag deutlich zurück, und beim größten Teil hält der Effekt auch fünf Jahre später noch an. Diese Erfolge führten dazu, dass das Krankenhaus eine eigene Hypnoseabteilung eingerichtet hat. Anlaufstellen zum Thema Hypnosefortbildung für Ärzte findet Ihr hier: Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training e.V. Deutsche Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e.V. Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose e .V. Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose (DGZH) e.V. Die Macht der Hypnose Eine oft empfundene Angst in der Bevölkerung ist das Klischee der kompletten Kontrolle eines Menschen – dass man ihn unter Hypnose also zu Dingen bewegen kann, denen er im Wachzustand nicht unbedingt zustimmen würde. Hier muss man aber ganz klar zwischen der klinischen Hypnose und der Hypnose als sozialpsychologischem Phänomen unterscheiden. Obwohl die Gesetzmäßigkeiten, nach denen die Hypnose abläuft, bei beiden Arten die gleichen sind, ist es bei ersterer kaum möglich, jemanden zu Handlungen zu zwingen, die er nicht will. "Im Allgemeinen übernimmt der Patient die Verantwortung über den hypnotischen Zustand, nicht der Hypnosetherapeut. Der Therapeut sorgt lediglich für die äußeren Faktoren und die richtige Stimmung, die die Ausbreitung eines hypnotischen Zustandes begünstigen können. Die entscheidende Frage, ob der Patient den Mut findet, in einen anderen Bewusstseinszustand zu gleiten, muss er für sich alleine beantworten können. Das Ziel der Arbeit mit Hypnose ist nicht Manipulation oder Verhaltenskontrolle, sondern es besteht darin, das Potential des Menschen, seine unterschwelligen Ressourcen und Stärken auf die bestmöglichste Weise zu fördern." So ist, laut Dr. Schütz, auch beispielsweise die Angst, intime Geheimnisse zu verraten, unbegründet: "Keiner verrät in Hypnose etwas, dass er für sich behalten will. Fühlt sich der Patient in Hypnose gedrängt, etwas sagen zu müssen, wird er sehr wahrscheinlich von selber 'wach' werden und sich ärgern." Weder gut noch schlecht Bei den Formen der Hypnose, die zu manipulativen Zwecken eingesetzt wird, sieht es allerdings anders aus. Hier ist es mit bestimmten Techniken tatsächlich möglich, die Taten eines Menschen in bestimmte Richtungen zu lenken und ihn hypnotisch zu manipulieren. Dr. Schütz erklärt: "Die Hypnose ist eine Art mentales Werkzeug, sie ist für sich genommen weder gut noch schlecht. Sie entwickelt einen Wert erst im Kontext der Anwendung, so wie auch ein Hammer weder gut noch schlecht ist. Mit einem Hammer kann man einen Nagel in die Wand schlagen und ein Bild mit einer Friedenstaube aufhängen, man kann damit aber auch einen anderen Menschen vorsätzlich verletzen. Je nachdem, wer hypnotische Techniken benutzt und welche Absichten er verfolgt, kann damit Nutzen aber auch Schaden verursachen. Mit einer bestimmten Technik, einer Mischung aus hypnotischen Suggestionen, verdeckten Konditionierungen, Spielsituationen, Wahrnehmungsergänzungen und Gruppendruck ist es möglich, Menschen mental abhängig zu machen. Ob in Kasernen, beim Militär, im Umkreis religiösen Fanatismus, oder auch nur einfach in der Werbung, die Beeinflussungsmöglichkeiten unserer Gedankenwelt sind enorm, und oft können wir uns gar nicht richtig vor gezielter Manipulation schützen. Wenn jedoch die Macht der hypnotischen Einflussnahme in den Dienst der Gesundheit eines Menschen gestellt wird, dann ist sie eines der wertvollsten Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Sie gehört allerdings ausschließlich in die Hand ausgebildeter Mediziner, Zahnmediziner, Psychologen oder Heilpraktiker." Zukunft der Hypnose Dr. Gerhard Schütz glaubt, dass die Hypnosetherapie in der zukünftigen Medizin eine immer größere Rolle spielen wird. "Die Gehirnforschung steckt momentan noch in den Kinderschuhen, es wird aber in den nächsten 20-30 Jahren viel mehr Erkenntnisse über den Wirkungsmechanismus der Hypnose geben. Dann wird die Hypnosetherapie wahrscheinlich einen großen Hype erleben und weltweit als anerkanntes medizinisches Mittel etabliert sein." Ein großes Potential sieht der Psychologe derzeit auch in der Erforschung des Placeboeffekts. Placebos sind sogenannte Scheinmedikamente, die zwar keinen Wirkstoff enthalten, aber trotzdem den Gesundheitszustand des Patienten beeinflussen. Allein dadurch, dass der Patient glaubt, er bekomme ein wirksames Medikament verabreicht, kommt es zur Heilung und Besserung. "Wenn man weiß, wie man diesen Effekt bei Patienten in Trance wecken und verstärken kann, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten der nebenwirkungsfreien Therapie von Menschen." Auf jeden Fall sind die klinischen Einsatzgebiete der Hypnose noch lange nicht ausgereizt und werden in den nächsten Jahren vermutlich auf ein größeres Bewusstsein bei den Ärzten stoßen.