Krebs im Endstadium: Oft werden Patienten um die Chance gebracht, in ihren letzten Wochen noch wichtige Angelegenheiten zu regeln. Nur ist die Kommunikation in Ausnahmesituationen nicht gerade einfach.
Am Ende des Lebens eines Patienten mit Tumorerkrankungen greifen viele Kollegen zu aggressiven Therapien. Was medizinisch lege artis ist, entspricht nicht immer dem ureigenen Wunsch todkranker Menschen. Bessere Entscheidungshilfen sind gefragt.
Erfolgreicher Dialog – klare Meinung
US-amerikanische Onkologen untersuchten im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie Krankheitsverläufe von 1.231 Patienten mit Lungen- oder Darmkrebs im Endstadium. Rund die Hälfte aller Teilnehmer bekam noch kurz vor dem Tod Chemotherapien, intensivmedizinische Betreuung oder Akutversorgung im Krankenhaus. Patienten, die mit ihrem Arzt die letzten Wochen ihres Lebens besprachen, erhielten weitaus seltener aggressive Behandlungen als die Vergleichsgruppe. Sie wurden jedoch häufiger in Hospizen betreut. Palliative Chemotherapien kurz vor dem Tod seien nicht generell abzulehnen, betonen die Autoren. Die Behandlung müsse allerdings mit Patienten besprochen und mit deren Vorstellung abgeglichen werden. Viele Krebskranke wünschen sich mehr Zeit, und genau hier finden Zytostatika ihren sinnvollen Einsatz. "Aber die meisten, die um ihren Tod wissen, wollen eigentlich keine derartige Versorgung", gibt Jennifer W. Mack vom Dana-Farber Cancer Institute, Boston, zu bedenken. Um ihre Patienten besser in Entscheidungen mit einzubinden, sollten Ärzte frühzeitig Gespräche anbieten und nicht warten, bis sich deren Gesundheitszustand rapide verschlechtert hat.
Palliativmedizin oder Heilung?
Was medizinisch einleuchtet, ist aus Sicht von Laien nicht immer klar: Viele Patienten wiegen sich in falscher Sicherheit, ihre Behandlung könne den Krebs besiegen. Konzepte wie die Palliativmedizin sind ihnen fremd. Zu diesem Ergebnis kamen jetzt Onkologen um Jane C. Weeks vom Dana-Farber Cancer Institute. Dazu nahmen Kollegen 1.193 Patienten in ihre Studie auf. Bei allen Teilnehmern war vier Monate zuvor metastasierender Lungen- oder Darmkrebs diagnostiziert worden. Neben medizinischen Daten ergänzten Interviews das Gesamtbild. Weeks Fazit: Rund 69 Prozent aller Patienten mit Lungenkrebs und 81 Prozent aller Patienten mit Darmkrebs waren überzeugt, dass Onkologen mit palliativmedizinischen Ansätzen eine Heilung bewirken könnten.
Erstaunlicherweise fanden die Autoren falsche Vorstellungen häufig bei Krebspatienten, die von einer besonders guten Kommunikation mit ihrem Arzt berichteten. "Falls Patienten nicht wissen, ob ihre Therapie eine realistische Perspektive auf Heilung verspricht, können sie keine fundierten Entscheidungen hinsichtlich ihrer weiteren Behandlung treffen. Diese Missverständnisse hindern Menschen daran, ihr Lebensende wunschgemäß zu planen", gibt Weeks zu bedenken.
"Kommunikationsproblem nicht verschweigen"
Doch was ist zu unternehmen? In einem Editorial begeben sich Dan L. Longo, stellvertretender Chefredakteur beim "New England Journal of Medicine", und Thomas J. Smith, John Hopkins School of Medicine, auf die Suche nach Lösungen. Viele Menschen sind optimistisch, und Todkranke bilden hier keine Ausnahme. "Falls Patienten unrealistische Erwartungen hinsichtlich einer Heilung haben, beispielsweise in der Palliativversorgung, haben wir ein ernsthaftes Kommunikationsproblem, das wir nicht verschweigen dürfen", geben Longo und Smith zu bedenken. Das Thema zieht weitere Fragen nach sich: Haben Betroffene nicht erfahren oder nicht verstanden, dass ihre palliative Therapie keine Heilung verspricht? Oder wollten sie die Hiobsbotschaft einfach nicht glauben?
Zwar gehen US-amerikanischen Daten zufolge zwei von drei Kollegen im ersten Gespräch nach Vorliegen aller diagnostischen Daten auf die unheilbare Krankheit ein. Nur ein Drittel nennt aber die Prognose – beim Erstgespräch oder zu einem späteren Zeitpunkt. Das hat Konsequenzen: Rund zwei Monate vor ihrem Lebensende fehlten beispielsweise 50 Prozent aller Patienten mit Lungenkrebs im Endstadium wichtige Informationen über Hospize oder über Möglichkeiten der ambulanten Palliativpflege.
Vorurteile auf der Goldwaage
Jennifer W. Mack begab sich auf die Fährte zahlreicher Vorurteile, die Kollegen von ehrlichen Gesprächen mit Krebspatienten abhalten. Ihre Analyse:
Ask – tell – ask
Ein Weg aus dem Dilemma: Longo und Smith empfehlen, dass Onkologen stärker personalisierte Informationen vermitteln sollten. Hier gilt als erprobte Technik, zu fragen, selbst zu erzählen und dann erneut nachzufragen ("ask, tell, ask"). Bereits beim ersten Gespräch sei auf Prognosen einzugehen und spätestens beim dritten Termin raten die Autoren, über Hospize oder Möglichkeiten der Palliativversorgung zu informieren. Neben der Prognose gelten eigene Wertvorstellungen rund um Religion oder philosophische Weltanschauung ebenfalls als wichtiges Thema.
Entscheidungshilfen zum Mitnehmen
Oftmals sind Patienten nach der niederschmetternden Diagnose so schockiert, dass sie einfach dichtmachen. Kanadische Onkologen entwickelten deshalb eine Entscheidungshilfe zum Mitnehmen. Sie testeten ihr Tool im Rahmen einer randomisierten Studie an 207 Menschen mit Darmkrebs im Endstadium. Patienten, die eine Patienteninformation, einen Audioguide sowie diverse Fragebögen erhielten, waren im ersten Folgegespräch besser hinsichtlich ihrer Prognose, möglicher Therapien und palliativer Ansätzen informiert und trafen leichter wichtige Entscheidungen. Sie hatten keinesfalls mehr Angst als die Vergleichsgruppe ohne Informationsmaterial. Entsprechende Tools können schwierige Gespräche allenfalls unterstützen, aber nicht ersetzen.