Die Debatte um die beiden katholischen Kliniken, die eine telefonisch angefragte gynäkologische Untersuchung bei einer mit K.o.-Tropfen ausgeschalteten Frau verweigerten, dreht sich weiter. Und sie dreht im Kreis. Selbst sonst wortgewaltige Medizinrechtler hüllen sich bei diesem Thema lieber in Schweigen. Eine Bilanz.
Mehrere namhafte und in anderen Belangen auch als auskunftsfreudig bekannte deutsche Medizinrechtsexperten hat DocCheck im Zusammenhang mit dem Skandal um die Frau, die in Köln nach Zuführung von K.o.-Tropfen vergewaltigt wurde, angefragt. Keiner wollte sich zu diesem Thema äußern. Die Frage war, ob Krankenhausbetreiber – mit Blick auf den Kölner Fall – grundsätzlich das Recht haben, ihren Ärzten bestimmte Beratungs- oder Behandlungsleistungen zu untersagen. Die Antworten klangen alle ähnlich: Der Kölner Fall sei irgendwo im Grenzbereich zwischen Berufsrecht, Kirchenrecht, Arbeitsrecht und Ethik angesiedelt. Kaum jemand, der sein Geld mit dem Abwägen oder Verargumentieren von Recht und Unrecht verdient, möchte sich da weit aus dem Fenster lehnen. Dabei ist es durchaus möglich Position zu beziehen. Man darf nur nicht den Fehler machen, alle Fragen die dieser Fall aufwirft, gleichzeitig diskutieren zu wollen. Frage 1: Was genau ist passiert? Der Vorsitzende des Marburger Bunds und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, Dr. Rudolf Henke, war einer der ersten, die sich zu dem Fall öffentlich geäußert haben. Er hat dies sehr differenziert getan, eine Vorlage, die die ihm nachfolgenden Kommentatoren leider nicht durchweg angenommen haben. Da ist zum einen das, was in Köln tatsächlich passiert ist. Wer die Diskussionen der letzten Woche nur anhand der Headlines verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, dass die Frau nach K.o.-Tropfen und Vergewaltigung eine Art Odyssee von Krankenhaus zu Krankenhaus absolviert habe. Tatsächlich hat die erstbehandelnde Ärztin zwei erfolglose Telefonate getätigt. Beim dritten war sie dann erfolgreich. Verweigert wurde bekanntlich nicht nur die "Pille danach", sondern auch die Beweissicherung inklusive Beratung. Henke und andere haben sich in diesem Punkt eindeutig positioniert: "Natürlich gehört es zu den Aufgaben auch eines katholischen Krankenhauses Beweissicherung durchzuführen wenn ein Verbrechen in Rede steht", betonte der MB-Chef sofort. Die Stiftung der Cellitinen zur Heiligen Maria, die die beiden katholischen Krankenhäuser betreibt, hat in diesem Punkt auch nicht larviert. Sie hat sich in einer Stellungnahme analog zu Henke geäußert. Ein Sprecher hat sich entschuldigt. Frage 2: Was dürfen die Kirchen? An dieser Stelle hätte die Debatte eigentlich zu Ende sein können unter der Annahme, dass so etwas nicht nochmal passieren wird. War sie aber nicht, und das lag daran, dass zwei weitere Debatten implizit mit diskutiert wurden, die nur im weiteren Sinne mit dem Kölner Fall zu tun haben. Da ist zum einen die Diskussion um die Macht der Kirche. Darf die Kirche überhaupt in Krankenhäusern, die zwar von ihr betrieben, aber doch zumindest teilweise staatliche Gelder, in jedem Fall aber Gelder des Solidarsystems, in Anspruch nehmen, die "Pille danach" einfach so vom Rezeptblock streichen? Letztlich wird hier der verfehlte Umgang mit einer (telefonischen Anfrage zu einer) vergewaltigten Frau zum Anlass für eine Grundsatzdiskussion über die Macht der Kirchen genommen. Letzteres ist legitim. Die Verknüpfung mit Vergewaltigung und "Pille danach" allerdings schon sehr populistisch. Der Katholik Henke hat diese Diskussionen wohl vorausgeahnt. Denn schon in seinem frühen Statement hat er auch dazu Stellung genommen: "Für die Entscheidung, dass man die Pille danach nicht verordnet, sondern woanders hin verweist, habe ich ein gewisses Verständnis". Und tatsächlich ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ja nicht irgendeine selbstherrliche Erfindung. Das Selbstbestimmungsrecht ist in Deutschland ein Recht mit Verfassungsrang, das auch nicht auf die katholische Kirche beschränkt ist. Ob ein Konstrukt wie das Selbstbestimmungsrecht in einem demokratischen Rechtsstaat nötig ist oder nicht, darüber kann man diskutieren. Die Frage ist, ob es zielführend ist, diese Diskussion am Beispiel der "Pille danach" aufzuziehen. Frage 3: Wo sind die Grenzen der Therapiefreiheit? Die zweite Teildebatte, die in vielen Äußerungen zum Kölner Fall mal mehr, mal weniger explizit mitdiskutiert wurde, nutzt das Thema Vergewaltigung und „Pille danach“ ebenfalls nur als Aufhänger. Es geht um das ärztliche Selbstverständnis. Am pointiertesten hat das Monika Hauser von medica mondiale getan, einer Organisation die traumatisierte Frauen in Krisengebieten unterstützt. Zitat aus einem WDR 2-Interview: "Ich finde das völlig frauenverachtend, Frauen in einer solchen Notsituation nicht vollumfänglich medizinische Unterstützung und Aufklärung zu geben (…) Hier müssen sich auch die Kolleginnen und Kollegen (…) fragen, welchen Gewissensentscheidungen sie sich verpflichtet fühlen." Ist die Verordnung der "Pille danach" ein Ausdruck der ärztlichen Therapiefreiheit? Darf der Dienstherr in Sachen "Pille danach" Einfluss auf die ärztlichen Entscheidungen nehmen? Geäußert hat sich dazu der Bochumer Arbeitsrechtler Professor Jacob Joussen gegenüber der Deutschen Presseagentur. Die Festanstellung führe neben den ärztlichen Rechten auch zu vertraglichen Pflichten, so der Experte. Und die könnten die Therapiefreiheit durchaus überlagern. Im Fall der katholischen Kliniken betrifft das die Ablehnung der "Pille danach". Aber tatsächlich beeinflussen auch Kliniken aller anderen Träger in mannigfaltiger Weise die Therapieentscheidungen des einzelnen Arztes. Das fängt an bei bestimmten Medizinprodukten oder Medikamenten, die in einer Klinik eingesetzt werden, weil die Beschaffungsabteilung Verträge mit diesen und nicht mit jenem Anbieter hat. Die Einflussnahme geht aber noch sehr viel tiefer in die therapeutischen Entscheidungen hinein, etwa wenn hausinterne Leitlinien die Indikation zu bestimmten chirurgischen oder invasiven Eingriffen bis an die Grenze des irgendwie Vertretbaren ausdehnen. Auch hier wird eine relevante Diskussion durch die Fokussierung auf die "Pille danach" eher verengt als bereichert.