Der Trend geht zur "Störungsspezifischen Psychotherapie". Psychologen zeigen jedoch an einer kleinen, aber intensiven Studie mit Borderline-Patienten, dass es wichtig ist, dass der Psychotherapeut seine Methode speziell auf den einzelnen Patienten ausrichtet.
Kaum eine psychische Störung regt so sehr zu Diskussionen an wie die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS, ICD-10: F.60.31, Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typ, DSM-IV: 301.83). Typisch für die Borderline-Persönlichkeitsstörung sind schwere Beziehungsstörungen, wobei die Betroffenen ein enormes Schwarz-Weiß-Denken zeigen (Spaltung) und leicht außer sich vor Wut geraten. Ihre Beziehungen sind zwar brüchig, jedoch sind gerade die nahen Beziehungen sehr intensiv, denn die Patienten idealisieren ihr Gegenüber stark oder sie "verteufeln" den anderen - typisch dabei ist, dass diese Seiten sehr schnell wechseln können. Viele Patienten verletzen sich selbst oder sind suizidal. Die meisten Borderline-Patienten berichten von einer traumatischen Kindheit, in der oft auch sexuelle Übergriffe stattgefunden haben. Nicht immer ist es leicht, die Diagnose zu stellen - oft wird sie erst offensichtlich, wenn sich typische Beziehungsschwierigkeiten in der psychotherapeutischen Beziehung bemerkbar machen.
Störungsspezifische Therapien bei der Borderline-Störung
Als störungsspezifische Therapieverfahren der Borderline-Störung gelten die verhaltenstherapeutischen Verfahren "Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT)" und die "Schema-fokussierte Psychotherapie (SFT) sowie die zwei psychodynamisch orientierten Methoden "Übertragungs-fokussierte Psychotherapie (Transference-Focused Psychotherapy, TFP)" und die "Mentalisierungs-basierte Therapie (MBT)" (Sollberger & Walter 2010). Leitfäden können für die Behandlung von Borderline-Patienten hilfreich sein - doch dass es immer noch auf die individuelle Gestaltung der therapeutischen Beziehung ankommt, zeigen der Psychoanalytiker Geoff Goodman (International Psychoanalytical Association (IPA)) und seine Kollegen von der Long Island University, New York, USA, in ihrer aktuellen Studie.
Die Autoren analysierten die Therapiesitzungen von fünf Borderline-Patientinnen, die sich aufgrund einer Krise in einer stationären Behandlung befanden. Die Patientinnen waren 26 (Patientin 1), 31 (Patientin 2), 29 (Patientin 3), 35 (Patientin 4) und 41 Jahre (Patientin 5) alt. Alle nahmen Medikamente gegen Depressionen oder bipolare Störungen ein. Sie erhielten 6 Monate lang 3-mal pro Woche eine individuelle psychodynamische Therapie (Psychodynamic Therapy, PDT). Die Therapeuten wurden darin geschult, die Therapie entsprechend eines Manuals von Otto Kernberg und Kollegen aus dem Jahr 1989 durchzuführen. Die wichtigsten Therapietechniken sind hier die Klarifizierung, Konfrontation und Übertragungsdeutung. Diese Methode ist die Ursprungsform der späteren, detaillierteren Übertragungsfokussierten Psychotherapie (Transference focussed Psychotherapy, TFP von Clarkin et al. 2006).
Wöchentliches Ausfüllen von Fragebögen überfordert manche Patienten
Alle Therapiestunden wurden per Tonträger aufgezeichnet und von wissenschaftlichen Mitarbeitern transkribiert. Dann kodierten geschulte Doktoranden jede dritte Therapiestunde. Als Kodierungssystem wurde der sogenannte "Psychotherapieprozess-Q-Sort" (PQS) verwendet. Dieses System besteht aus 100 Items, welche die Therapiestunde beschreiben. Die Aussagen sehen zum Beispiel so aus: "Der Patient ist introspektiv und erkundet seine inneren Gedanken und Gefühle" (Item Nr. 97) oder "Der Therapeut ist sensibel für die Gefühle des Patienten, er stellt sich auf den Patienten ein und ist empathisch" (Item Nr. 6). Um die Symptomschwere der Patientinnen über die Zeit zu erfassen, wurden sie gebeten, einmal wöchentlich die Symptom-Checkliste SCL-90-R auszufüllen. Die Patientinnen Nr. 1, 3 und 5 stimmten zu, während sich die Patientinnen 2 und 4 dazu nicht bereit erklärten - die Autoren interpretierten diese Ablehnung als Überforderung. Dies zeige, wie schwierig es sei, intensive Studien mit Borderline-Patienten durchzuführen.
Dennoch kodierte das Team die Sitzungen aller fünf Patientinnen, um das Vorgehen der Therapeuten zu untersuchen. Insgesamt kodierte das Team 127 Therapiesitzungen . Aus diesen Kodierungen ließen sich vier Interaktionsstrukturen ablesen, die in jeder Therapie vorkamen. Die Autoren klassifizierten diese Strukturen so (verkürzt): Interaktiosstruktur (IS) 1 = kollaborative Beziehung mit supportiven Elementen; IS 2 = empathisches Eingestimmtsein des Therapeuten auf seinen Patienten; IS 3 = erotisierte Beziehung, reflektiert die Versuche des Patienten, mit dem Therapeuten emotional intim zu werden; IS 4 = direktiver Therapeut und gut mitarbeitender Patient.
Die psychische Anspannung ließ bei allen drei Patientinnen nach
Die Autoren erwarteten, dass die psychische Anspannung der Patientinnen über die Zeit nachlassen würde. Das Ergebnis bestätigt ihre Hypothese: Die drei untersuchten Patientinnen reagierten positiv auf die sechsmonatige stationäre Behandlung, wobei jede Psychotherapie ein eigenes Interaktionsmuster aufwies. Es zeigte sich eine mittlere Effektstärke, wobei die stärkste Verbesserung bei der Patientin zu sehen war, der es zu Beginn der Studie am schlechtesten ging (Patientin 5). Alle fünf Therapeut-Patienten-Beziehungen unterschieden sich deutlich in ihren Interaktionsmustern. Die Autoren folgern daraus: Was Patient "X" hilft, muss Patient "Y" noch lange nicht als hilfreich empfinden. Ein Beispiel: Empathisches Zugewandtsein (Interaktionsstruktur 2) korrelierte bei Patientin Nummer 3 mit einer starken Abnahme von psychischem Druck, während bei Patientin Nr. 5 das Gegenteil der Fall war.
Die Autoren verweisen auf einen Beitrag der Psychoanalytikerin Judy L. Kantrowitz (2001), die die psychotherapeutische Beziehung mit einer Schneeflocke vergleicht. Jede dieser Beziehungen ist einzigartig und doch findet sich ein gemeinsames Grundgerüst - im Fall der vorliegenden Studie wird das Grundgerüst aus den vier Interaktionsstrukturen gebildet, welche die Autoren festmachen konnten.
Interessant hierbei war auch, dass ein und derselbe Therapeut, der zwei verschiedene Patientinnen behandelte (Patientin 4 und 5), in beiden Behandlungen völlig unterschiedlich vorging. Den Grund für das unterschiedliche Vorgehen könnte man auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Patienten zurückführen, so die Autoren. Doch es könne auch sein, dass die Patientinnen unterschiedliche Persönlichkeitsaspekte im Therapeuten ansprachen. Die Studie zeige deutlich, dass einzelne Interaktionsstrukturen für verschiedene Therapeut-Patient-Paare von unterschiedlicher Bedeutung sein können und dass eine und dieselbe Interaktionsstruktur bei verschiedenen Patienten mit verschiedenen Outcomes korrelieren kann, so die Autoren.