In Europa nehmen sieben Prozent aller Patienten Antibiotika ohne ärztliche Verordnung ein. Dabei handelt es sich nicht nur um Restbestände aus dem Medizinschrank. Häufig drücken Apotheker dabei beide Augen zu – ein generelles Problem bei Rx-Präparaten.
Antibiotikaresistenzen sind auf europäischer Ebene ein ernst zu nehmendes Thema. Neben allzu freizügigen Verordnungen in der Humanmedizin sowie in der Tiermedizin tragen weitere Faktoren zur Verbreitung von Resistenzen bei. In seinem Bericht identifiziert John Paget die eigenmächtige Anwendung als weiteres Problemfeld. Er forscht am Netherlands Institute for Health Services Research (NIVEL).
Obwohl Antibiotika in allen EU-Staaten unter die Rezeptpflicht fallen, gaben sieben Prozent der befragten Patienten an, Präparate 2016 ohne ärztliche Verordnung eingenommen zu haben. Das Spektrum reichte von weniger als zwei Prozent (Schweden) über knapp fünf Prozent (Deutschland) bis zu zwanzig Prozent (Rumänien und Griechenland). Im Vergleich zu 2013 geht die Entwicklung mit wenigen Ausnahmen klar nach oben. Für Deutschland haben sich entsprechende Zahlen mehr als vervierfacht. © EU Um diesen Effekt zu erklären, gibt Paget mehrere Gründe an. Patienten in kaum noch funktionierenden Gesundheitssystemen – etwa in Griechenland oder Rumänien – versuchen Arztbesuche nach Möglichkeit zu vermeiden. Jede Konsultation kostet Geld. Ob und wann Krankenkassen entsprechende Auslagen erstatten ist ungewiss. Der direkte Gang zum Apotheker spart Zeit und Kosten. Außerdem kritisiert Paget Packungsgrößen, die sich nicht am therapeutischen Bedarf orientieren. Selbst bei sachgemäßer Anwendung bleiben häufig Tabletten übrig. Die Versuchung vieler Patienten, bei späteren Krankheiten auf eigene Vorräte zuzugreifen oder Pillen weiterzugeben, ist groß. Schließlich hatte das Antibiotikum beim letzten Mal doch so gut geholfen. Nicht zuletzt geraten die Apotheker in die Schusslinie. Viel zu häufig würden sie Antibiotika als OTC abgeben, so Paget in der Studie. Dieses Phänomen sorgt auch in Deutschland immer wieder für Kontroversen.
Dass es oftmals zu Abgaben von Präparaten ohne Rezept kommt, bestätigen die Zahlen. Dem Autor sind konkrete Fälle aus dem eigenen Umfeld bekannt: Zwei bekannte Apotheken aus München geben, von BtM einmal abgesehen, verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept ab. Das spült schnell Geld in klamme Kassen. Schließlich muss man nicht auf das Rechenzentrum warten. Kollegen, die Gesetze ernst nehmen, sehen schwarze Schafe ihrer Zunft zwar kritisch, haben aber kaum Möglichkeiten. Es stehen nur selten Pharmazieräte, Amtsapotheker oder Pseudocustomer in der Offizin. Selbst wer erwischt wird, kommt häufig mit einem blauen Auge davon. Quelle: Antimicrobial Resistance and causes of non-prudent use of antibiotics in human medicine in the EU John Paget et al., European Union, doi: 10.2875/326847; 2017