Immer mehr Ärzte sehen "Tissue Engineering" als Alternative zu Organentnahme und -transplantation. Harnblasen, Knorpel, Haut und Bronchien aus der Gewebekultur arbeiten inzwischen erfolgreich im menschlichen Körper. Bei Herz, Niere oder Lunge wird es noch dauern.
Um mehr als zwölf Prozent ist die Zahl der Organspender im letzten Jahr zurückgegangen - auf den niedrigsten Stand seit über zehn Jahren. Dabei wird die Kluft zwischen Nachfrage und Angebot immer größer. Wahrscheinlich, so schätzen Experten, braucht in den Industrienationen jeder Fünfte über 65 einen Organersatz für körperliche Defekte. Weil sich die Zahl der Spendewilligen in nächster Zeit wohl nicht sprunghaft erhöhen dürfte, bauen klinische Reparaturbetriebe ganz fest auf eine noch junge Spezialistensparte, die regenerative Medizin. Immer wieder taucht sie in den Schlagzeilen auf: "Taube Mäuse hören wieder", ein Schilddrüsenersatz für Nager oder neue Nerven für gelähmte Versuchstiere wecken Hoffnungen auf das künftige Ersatzteillager aus dem Kliniklabor. Erfolge mit einfachen Geweben Wer sich aber genauer informiert, der erfährt schnell, dass wir wohl nicht schon morgen oder übermorgen mit einer Niere oder einem Herz aus der Zellkultur rechnen können. Denn bisher beschränken sich die Erfolge auf kleine flache oder allenfalls dünnlagige Hohlgewebe. Bei ihnen kommt es nicht in allererster Linie auf ein ausgeklügeltes Kanalsystem für Blut oder auch Abfallstoffe an. Auch die Architektur dieser Organe ist dort noch eher im überschaubaren Bereich, anders als etwa bei Niere oder Bauchspeicheldrüse. Aber selbst bei der - inzwischen automatisierten - Herstellung von Ersatzhaut gibt es noch enorme Probleme. Deutliche Narben und fehlende Pigmentierung verbauen vorerst den direkten Weg vom Labor zum menschlichen Körper. Dennoch konnten die "regenerativen" Experten in den letzten zwei Jahrzehnten etliche gute Ergebnisse ihrer Studien und Versuche vorweisen. Im amerikanischen North Carolina setzten Ärzte einem Patienten eine neue Harnblase ein, die mit einigen Zellen des Patienten auf einem Kollagen-Kunststoffgerüst besiedelt und sieben Wochen lang im Bioreaktor gereift war. In Stockholm bekam vor zwei Jahren ein Patient eine neue Luftröhre. Sie bestand aus einem Kunststoffgerüst und wurde von Zellen aus dem Knochenmark besiedelt. Natürliche und synthetische Gerüste Bei Organen mit komplizierterem Aufbau sterben Zellen im Inneren rasch ab, wenn sie nicht ständig ausreichend mit Energie, oder aber auch mit Signalen aus ihrer Nachbarschaft versorgt werden. In ihnen arbeiten mehrere Gewebetypen eng zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Die Lösung ist daher in den meisten Fällen ein dreidimensionales Gerüst, auf das die Zellen aufwachsen können. Im Laufe der Zeit schaffen sich diese Zellen mit ihrer extrazellulären Matrix dann ihre eigene Makrostruktur und machen die anfängliche Hilfestellung beim Organbau überflüssig. Zum Teil bestehen Gerüste daher aus Materialien, die der Organismus abbaut, wenn er sie nicht mehr braucht. Dabei spielen natürliche Materialen wie etwa Hyaluronsäure ihre Stärke aus. Modifikationen mit künstlichen Crosslinkern erhöhen auf Wunsch ihre Stabilität. Rein synthetische Baustoffe erleichtern dagegen den Chemikern die Arbeit bei der Herstellung und Berechnungen des hydrolytischen Abbaus. Ein Beispiel dafür ist etwa PLGA (Polylactid-co-Glycolid). Ein solches Gerüst, auf das sich Epithelzellen niederließen, diente zum Bau eines Ureters. Organskelett als Besiedlungsplatz Eine recht erfolgreiche Technik besteht darin, ein Spenderorgan (etwa das eines Verstorbenen) zu verwenden und es mit Detergentien oder anderen Mitteln komplett von seinen Zellen zu befreien. Übrig bleibt das Außengerüst, genau in der Form des ursprünglichen Organs. Es kann mit Zellen des Empfängers besiedelt werden, ohne dass es zu Abstoßungsreaktionen oder physiologischer Inkompatibilität kommt. Die Blutgefäße sind dabei schon im Gerüst vorhanden. Die extrazelluläre Matrix hat zumindest im Tierversuch bereits erfolgreiche Tests bei Leber, Herz, Lunge, Trachea, Ösophagus und Skelettmuskel bestanden. Entsprechend neueren Erkenntnissen wäre es sogar möglich, entsprechende Gerüste von Haustieren wie etwa dem Schwein zu entnehmen und dann mit menschlichen Zellen zu besiedeln. Um bei größeren Organen jedoch den Neubau eines Versorgungssystems anzuregen, koppeln die Organzüchter wie bei Gefäßstents Faktoren an das Gerüst, die den Zellen entsprechende Aufträge geben. VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), PDGF (Platelet-derived growth factor) oder FGF (Fibroblasten-Wachstumsfaktoren) sorgen für das Zellwachstum. Ein anderer Ansatz besteht auch darin, diese Faktoren in kleine Kügelchen einzuschließen und im Gewebe zu verteilen. Stammzellen für schnelleres Wachstum Je größer jedoch das Organ, desto länger dauert auch die Besiedlung mit den Zellen des zukünftigen Empfängers. Nicht immer ist es möglich, seinem Körper eine dementsprechend große Menge zu entnehmen, dass die Gewebezucht in kurzer Zeit für die Wiederherstellung eines defekten Organs ausreicht. Auch mit dem 3D-Drucker (DocCheck berichtete) lässt sich das Problem der großen Zellmengen wohl nicht lösen. Daher bauen die Forscher der regenerativen Medizin auf Stammzellen. Das Luftröhrengerüst in Stockholm blieb eineinhalb Tage im Bioreaktor, wo mononukleäre Zellen aus dem Knochenmark Gelegenheit zum Sesshaftwerden hatten. Mit den Wachstumsfaktoren G-CSF oder Erythropoetin wurde ihnen die Regeneration zusätzlich schmackhaft gemacht. Fünf Monate nach der Implantation war der Patient komplett symptomfrei. Im Herbst letzten Jahres berichtete "Nature" über den Erfolg eines belgischen Teams, das embryonale Stammzellen der Maus in follikuläre Zellen der Schilddrüse verwandelte. An deren Niere angepflanzt, lagerten sie sich zu kleinen Einheiten zusammen, die histologisch den Schilddrüsenfollikeln ähnelten. Sie nahmen erfolgreich Jod auf und produzierten zumindest einige der typischen Drüsenhormone. Wachstumsfaktoren direkt von der Quelle Bei hohen Ansprüchen an das Wachstumsmedium ist der Brutschrank oder Fermenter nicht immer der optimale Wachstumsplatz. Nicht selten ist der Körper des Empfängers der bessere Ort für das Heranwachsen von Organen. Dabei muss es dabei nicht unbedingt die anatomisch korrekte Lage sein. Jeanette Bierwolf und Jörg-Matthias Pollok von der Universität Bonn planen, Lebergewebe auf Alginat-Gerüsten zumindest im Tierversuch an Dünndarmgewebe anzuheften. "Wichtig ist, dass das Stückchen in einen gut durchbluteten Bereich eingepflanzt wird, damit Blutgefäße einwachsen können und die von der Leber gebildeten lebensnotwendigen Stoffe rasch in den Kreislauf gelangen", beschreibt Bierwolf die Anforderungen. Nicht immer ist auch das vollständige neue Organ notwendig, wenn das alte schwächelt. Bei Versuchen mit Rindern reichten kleine Gerüste mit relativ geringen Mengen an Nierenzellen, um nach der Transplantation ins lebende Tier ihre Funktion als Blutfilter und Urinproduzent zu erfüllen. Gerüste aus dem Ersatzteillager Wenn es um einfache Strukturen geht, könnte die Idee vom Organ von der Stange bald Wirklichkeit werden. Shannon Dahl und ihre Kollegen aus dem amerikanischen Durham haben synthetische Gerüste mit menschlichen oder Nagerzellen besiedelt und dann wieder ausgewaschen. Das ursprüngliche Gerüst war dann zerfallen, die Kollagenmatrix blieb jedoch zurück und diente bis zu einem Jahr danach noch als Fertigteil für den Gefäßersatz. In Affen rief das Teil aus dem Lager keine Abwehrreaktion hervor. Mit dem Patent will diese Firma schließlich einmal Herzchirurgen mit solchen natürlich-synthetischen Gefäßteilen helfen. Nachgebaute Herzklappen mit lebendem Gewebe sind inzwischen dank der regenerativen Medizin Wirklichkeit geworden, die Zucht von "Ersatzherzen" bleibt aber wohl noch für längere Zeit unerreichbar. Kranke Organe einfach zu verjüngen, davon sei man weit entfernt, zitiert das Ärzteblatt Konrad Kohler von der Uniklinik in Tübingen. Aber Unterstützung für Organe, die nicht mehr hundertprozentig fit sind, diesem Ziel ist "Tissue Engineering" in den letzten Jahren ein beträchtliches Stück näher gekommen.