Der Mediziner und Zellbiologe Hans Drexler gilt als führender Wissenschaftler im Umgang mit Krebszellkulturen und hält sich in der Freizeit mit 100 km-Läufen fit. Welche Durststrecken er in Studium und Training bisher überwinden musste, erzählt er uns in einem launigen Interview.
DocCheck: Was hat Dich nach der Schulzeit dazu bewogen, ein Medizinstudium zu beginnen? Prof. Dr. Hans Drexler: Nach dem Abitur stand der Ersatzdienst (heute eher als Zivildienst bekannt) an. Ich war Kriegsdienstverweigerer und nach einer "Gerichtsverhandlung" (damals nötig) vor dem Kreiswehrersatzamt in Augsburg als solcher anerkannt worden. Ein Schulfreund hatte eine Ersatzdienststelle an den Unikliniken Ulm erhalten. Dieser Freund meinte, dass es dort "toll sei" und ich mich dafür auch bewerben solle. Was ich gemacht habe. Somit habe ich meinen Ersatzdienst auf einer Inneren Station der Uniklink Ulm am Safranberg absolviert. Die Arbeit und das ganze "Medizinische" hat mich so fasziniert, dass ich ziemlich bald dachte, dass ich das studieren wollte. Damals gab es 2 Möglichkeiten zum Medizinstudium: Entweder man hatte die absolut besten Zeugnisnoten (was damals nur die "Streber" hatten, da wir 1972 noch ziemlich hippiemäßig angehaucht waren und die Schule nicht als "cool" galt) oder versuchte es über die Warteschlange.
Man bewarb sich dazu bei der ZVS (Zentrale Vergabestelle) in Dortmund und gab Präferenzen an; dann erhielt man wenige Tage vor Semesterbeginn eine Mitteilung: "Sie haben Nummer 498.754.000 und der letzte, der einen Platz bekam hatte die Nummer 7.539 - oder so ähnlich. Auf jeden Fall rutschte man von Semester zu Semester in der Schlange vor und konnte sich so ausmalen, in welchem Jahrzehnt man drankommen würde. Überraschenderweise kam eine Woche vor dem Wintersemester 1976 - nach 4 Jahren "Wartezeit" - ein unerwarteter Brief: "Sie sind im Nachrückverfahren zugelassen worden, begeben Sie sich unverzüglich etc...". In der Wartezeit habe ich meinen 18-monatigen Ersatzdienst - zur "Belohnung" drei Monate länger als die damalige Bundswehrzeit - absolviert und bin als Krankenpflegerhelferassistent - also der niedrigsten Stufe in der Hackordnung - im Krankenhaus in der chirurgischen Ambulanz geblieben. Dort habe ich unheimlich viel gelernt und die "Liebe zur Chirurgie" entdeckt.
DocCheck: Du unterrichtest zurzeit hin und wieder Studierende an der TU Braunschweig und arbeitest auch mit jungen Medizinern zusammen. Was hat sich Deiner Meinung nach im Vergleich zu Deiner Studienzeit an den Inhalten und Rahmenbedingungen verändert? Drexler: An der TU Braunschweig unterrichte ich Studenten der Biologie und der Biotechnologie und es gibt auch keine medizinische Fakultät. Ich kann also, da ich selbst Medizin studiert habe, hierzu keine konkreten Angaben machen. Die Studenten sagen oft, dass alles "strenger" und zeitlich gestraffter sei. Außerdem müssten sie jetzt für Bachelor und Master wie die Jäger hinter ihren Punkten herjagen. Masterarbeiten seien zeitlich genau terminiert und wehe man überzieht die Zeit.
DocCheck: Gibt es aus Deinen ersten Semestern eine spezielle Prüfung oder Unterrichtssituation, die Dir bis heute in Erinnerung geblieben ist? Drexler: Im Präp-Kurs in einem riesigem Raum mit (wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht) geschätzten zehn Tischen und Leichen darauf, an denen wir Studenten präparierten, sauste der Anatomieprofessor immer mit einem 25 cm langen Messer herum, um hier oder dort größere Teile zu präparieren oder abzuschneiden. Also hieß es, dem Prof. mit dem langen Messer besser aus dem Weg gehen. Zudem war dieser Professor politisch ziemlich rechts angesiedelt und machte auch keinen Hehl daraus, sondern suchte aktiv die Diskussion, die er stets zu dominieren versuchte - er wollte Recht haben und überzeugen. Dazu suchte er sich für "spontane Zwischenprüfungen" an den Leichen immer die "linken Socken" heraus - bekannt durch Aktivitäten an der Uni oder im ASTA - und wollte sie ein klein wenig "vorführen". Die Jungs rechneten aber damit und bereiteten sich immer gut vor. Das war also nichts mit "Rechts ist klüger als Links".
DocCheck: Kannst Du uns von schwierigen Zeiten oder Karriere-Hürden berichten? Drexler: Ich bin nicht den "normalen Weg" geradeaus gegangen, sondern sozusagen um mehrere Ecken. Ursprünglich war eine akademische Karriere an einer Uniklink angedacht. Mein Doktorvater an der Kinderklinik der Uni Ulm überzeugte mich, für die Zeit direkt nach dem 3. Staatsexamen und der Fertigstellung der Doktorarbeit ein zweijähriges Forschungsstipendium bei der DFG zu beantragen. Das erhielt ich, für ein Jahr in Buffalo im Staat New York und für ein zweites Jahr in London, England. Kurz vor meiner Anreise war mein Gastgeber von Buffalo nach Chicago umgezogen – umso besser. Dort gefiel es mir beruflich und privat so gut, dass ich dort auch das zweite Jahr blieb. Aber dann? Da ich ein Exchange Visitor Visum hatte, musste ich die USA verlassen – außer man findet jemanden, der die Behörden überzeugt, dass man für die USA so wichtig und wertvoll ist, das man ein "limited work permit" erhält. Da mein Gastgeber aber just zu dieser Zeit nach mehr als 25 Jahren in seine japanische Heimat zurückkehrte, hatte ich niemanden, der "mir den Rücken stärkte".
So war ich in folgender Situation: "Ich brauche einen Job für ein Visum und ein Visum für einen Job." Das stellte sich als unmöglich heraus. Glücklicherweise war mein ursprünglicher Gastgeber in London bereit, mich in sein Forscherteam aufzunehmen und mir sogar ein Gehalt zu zahlen. Ursprünglich sollte ich ja mit einem Stipendium kommen, also "mein eigenes Geld mitbringen". Das war sicherlich ein Glücksfall. Ich hatte aber auch noch Hintertürchen in petto: Mein zweiter Doktorvater, Hämatologie-Chefarzt in Frankfurt, war auf Anfrage bereit, mich auch einzustellen, allerdings als Kliniker. Im Hinterkopf hatte ich auch immer noch die Option, meinen Doktorvater, damals Oberarzt in der Kinderklinik, zu beknien, dass er mir eine Stelle besorgen möge. Schließlich wählte ich aber London.
DocCheck: Hast Du während Deines Studiums einen Nebenjob ausgeübt? Wenn ja, welchen? War es schwierig, Lernen und Arbeiten in den Studienalltag zu integrieren, ohne dass etwas davon zu kurz kommt?Drexler: In den so genannten "Semesterferien" - eigentlich ja eher eine praktikums- oder prüfungsfreie Inter-Semester-Zeit - vor dem Physikum habe ich bei der Deutschen Post als Briefträger und im Paketdienst gearbeitet. Nach absolviertem Physikum habe ich Nacht- oder Wochenenddienste im Krankenhaus übernommen, zumeist auf der Intensivstation. Und nein, das war kein allzu großer Stress. Bei der Post habe ich was aus dem "normalen Leben" gelernt, ist der Briefträger doch ein unglaublich informativer Job, bei dem man einiges über seine Mitmenschen erfährt. Die Krankenhausarbeit war extrem lehrreich, außerdem konnte ich dort in den "Pausen" immer lesen und büffeln. Also insgesamt gesehen, waren das sehr positive Erfahrungen und im Nachhinein hat alles Spaß gemacht. Erinnerungen sind aber natürlich immer extrem selektiv. Ach ja, Geld habe ich dabei ja auch noch verdient.
DocCheck: Hattest Du einen Professor oder einen Mentor, der Dich besonders gefördert hat? Drexler: Hier möchte ich drei Personen erwähnen: Zuerst meinen Doktorvater, Professor Gerhard Gaedicke an der Uni-Kinderklink Ulm, der mir eine tolle Doktorarbeit gab und mich, wo es nur ging, aktiv unterstützt und gefördert hat; wir sind jetzt richtige Freunde. Dann während meiner USA-Zeit Dr. Jun Minowada, der für mich zum großen Vorbild wurde. Letztlich in meiner London-Zeit Prof. Victor Hoffbrand (von allen nur "Prof" genannt), in dessen Abteilung ich wunderbare Jahre verbrachte, sowohl beruflich als auch privat.
DocCheck: Wie bist Du zum ersten Mal mit medizinischer Forschung in Kontakt gekommen und wie hast Du Dich in dieses weite Feld eingearbeitet? Drexler: Bei der Doktorarbeit. Eine kuriose Geschichte: Ich war eigentlich auf der Schiene "Action-Medizin", chiurgische Ambulanz, Unfallchirurgie, Notfallmedizin, Notarzt, Anästhesie. Ich suchte nach einer Doktorarbeit in der neu eingerichteten Abteilung Experimentelle Anästhesie in Ulm. Jedoch war alles voll. Zu der Zeit traf ich einen Schulkameraden, der mir erzählte, dass im Haus seiner Eltern ein neuer Kinderarzt aus Hamburg eingezogen sei und er ihn am Wochenende bei einer Hausparty treffen werde. Mein Freund "empfahl" mich gebührend und so kamen Dr. Gaedicke und ich zusammen - und sind es für 3 intensive Jahre geblieben. Die Doktorarbeit war rein experimentell. Damit war der Zug auf dem Gleis, auf dem ich heute noch fahre.
DocCheck: Hast Du einen Rat an künftige Mediziner, die sich schon im Studium sehr für Forschung interessieren? Wie können sie bereits im Studium der späteren wissenschaftlichen Karriere auf die Sprünge helfen? Drexler: Wen Forschung interessiert, der sollte Forschung anschauen und aktiv "erleben": Also rein ins Wasser, gleich mit Kopfsprung. Vielleicht ein Praktikum, eine Doktorarbeit. Wichtig ist herauszufinden, ob einem das liegt. Weiterhin ist von großer Bedeutung, in welches Team man kommt. Wie immer im Leben, muss die "persönliche Chemie" stimmen. Daher sollte man sich das Institut, die Abteilung, das Labor etc. genau anschauen, sich vorab informieren, mit Personen reden, die dort sind oder schon waren.
DocCheck: Du hast ein ganz besonderes Hobby! Vielleicht kannst Du unseren Lesern ein bisschen beschreiben, wie Deine Freizeitgestaltung so "abläuft". Drexler: Ich bin ein Läufer. Ich laufe jeden Tag, im Frühjahr, Sommer und frühen Herbst oft morgens zum Institut, das sind auf dem direkten Weg 4 km, dort habe ich eine Dusche zur Verfügung – abends dann zumeist mit kleinem "Umweg", um es interessanter zu machen, zwischen 5 und 10 km. Mein Minimum pro Tag sind 2 km, aber normalerweise mehr. Im Winter sause ich durch die Nachbarschaft, "um den Block rum", da es hier Straßenbeleuchtung gibt. Wenn das Tageslicht länger zur Verfügung steht, dann auch durch den Wald und über die Felder. Ich wohne am Rande von Braunschweig, habe nur 5 Minuten bis zum nächsten Wald.
An Wochenenden nehme ich oft an Wettkämpfen teil, aber nicht an "schnellen Wettkämpfen", dafür bin ich zu langsam, ich sage immer: zu alt – zu dick – talentfrei. Unter Marathondistanz (also 42,195 km) mache ich jedoch keine Wettkämpfe, in den letzten Jahren auch vermehrt oder fast nur noch "Ultras" - Ultras sind Ultramarathons, definitiv länger als ein Marathon, Distanz nach oben offen. Mein längster Ultra in 2012 war ein Lauf über 166 km, also 103 Meilen. Dieses Jahr werde ich ca. 8 "Hunderter" laufen, sechsmal 100 km und zweimal 100 Meilen. Etappenläufe gefallen mir auch sehr gut. Zum Beispiel in 2007 sind wir von Rügen an der Ostsee in 17 Tagen über 1200 km nach Lörrach gelaufen. In 2011 von Horb im Schwarzwald nach Berlin, 800 km in 13 Tagen.
DocCheck: Welche Bedeutung hat Dein Sport für Deine Arbeit? Gibt es Probleme, die Forschung und das recht zeitaufwändige Hobby unter einen Hut zu bringen? Drexler: Das Laufen ist wichtig. Um gängige Klischees zu bemühen: Es entspannt, baut Aggressionen ab, löst Probleme. Ja, da ist was dran, aber das sind natürlich pathetische Ausdrücke. Mir gefällt es einfach. Natürlich hat es seinen Nebennutzen. Zum Beispiel halte ich meine Vorlesungen oder Vorträge oft während des Laufens, entweder "nur im Kopf" oder auch schon mal mit lauter Stimme (dann denken sich Passanten vermutlich ihren Teil dazu). Zeitlich ist es kein Problem. Es gibt auch außerhalb des Instituts und der Forschung noch ein Leben.
DocCheck: Auf welchen wissenschaftlichen Erfolg (z. B. eine Publikation) bist Du besonders stolz? Drexler: Zum einen mein erstes Paper. Das war eine Zusammenfassung meiner Doktorarbeit. Ich muß mal nachschauen, ob das überhaupt jemand jemals zitiert hat, moment mal... (gibt die Suche kurz darauf scherzhaft resigniert auf). Zum anderen mein Buch über die Leukämie-Lymphom-Zelllinien. Ein massives Werk, eine Sammlung von Daten, also eher eine Nachschlagewerk, wie ein Telefonbuch, wahnsinnig viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt. Das habe ich damals (vor 2000) noch alles in WordPerfect als eine zusammenhängende Datei pro Kapitel zusammengetippt, die Dateien kann ich gar nicht mehr öffnen. 'Die Zeit vergeht, o tempora, o mores'.
DocCheck: Was sind Deine wissenschaftlichen und sportlichen Pläne und Ziele für 2013? Drexler: Also in 2013 lieber mehr die langen Läufe als die kurzen (kurze = Marathons mit 42,195 km). In 2012 lief ich 16 Marathons und 14 Ultramarathons. Für 2013 sind ein paar Hunderter geplant, also 100 km-Läufe wie im Schweizer Biel, der ThüringenUltra um den Inselsberg, Il Passatore von Florenz über den Appennin nach Faenza, möglicherweise noch die Deutsche Meisterschaft über 100 km in Kienbaum und die 100 km in meiner Heimatstadt Ulm mitnehmen. Highlight wird sicherlich der ganz lange "Rennsteig nonstop" über 168 km, das wird interessant und schwer. Wahrscheinlich auch nochmals den Ultima Frontera über 166 km in Spanien. Auf jeden Fall kann ich nicht mehr überehrgeizig auf Geschwindgkeit achten, sondern mehr auf die Ausdauer. Zuviel Ehrgeiz bezüglich Speed führte in der den vergangen Jahren immer zu (lästigen) Verletzungen.
In 2013 steht zudem eine Begutachtung des Institutes an, da wollen wir "gut wegkommen". Ansonsten läuft in den letzten Jahren die Forschung sehr gut, dass heißt, es kommen viele gute und interessante Ergebnisse heraus, die wir auch zufriedenstellend publizieren konnten. Dass das so weitergeht, ist auch für 2013 abzusehen. Die eigenen Projekte laufen gut, die Kooperationen mit ein paar wenigen, aber hochkarätigen Gruppen funktionieren ausgezeichnet.