Epidemiologen vermuten einen Zusammenhang zwischen zuckerreicher Ernährung über einen langen Zeitraum und neu auftretenden Symptomen einer Depression. Laut einer aktuellen Studie sollten gerade Männer ihren Zuckerkonsum im Blick haben.
Wer viel Zucker konsumiert, erhöht sein Risiko, Typ 2-Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Die Leiden gewinnen weltweit an Relevanz. Gleichzeitig entwickeln sich gerade schwere Depressionen (Major Depressions) in reichen Ländern zum wichtigsten Grund für körperliche Einschränkungen. Schon früher haben Wissenschaftler vermutet, dass Assoziationen zwischen Depressionen und dem Konsum zuckerhaltiger Lebensmittel bestehen (u.a. Arthur N. Westover, 2002, Walid El Ansari, 2014, Bin Yu, 2015). Die umgekehrte Fragestellung wurde bislang aber noch nicht untersucht: Wie verändert sich die Stimmung durch stark gesüßte Speisen oder Getränke?
Anika Knüppel vom Department of Epidemiology and Public Health, University College London, wollte das Rätsel lösen. Basis ihrer Arbeit waren Daten aus der Whitehall II-Studie mit 10.308 Staatsbediensteten zwischen 35 und 55 Jahren. Zwischen 1985/1988 (Phase I) und 2012/2013 (Phase II der Studie) wurden mehrfach Ernährungsgewohnheiten der Probanden erfasst. Auf dieser Basis konnte Knüppel die ungefähre Zuckermenge pro Tag ermitteln. Gleichzeitig legten Forscher allen Teilnehmern regelmäßig den General Health Questionnaire (GHQ) vor, um depressive Symptome zu erfassen. Zur Auswertung teilte sie alle Personen nach steigender Zuckeraufnahme in drei Gruppen ein. Beim Drittel der Männer mit besonders hohem Konsum fand Knüppel tatsächlich einen statistisch signifikanten Zusammenhang. Etwa 23 Prozent entwickelten nach fünf Jahren depressive Symptome. Zuvor hatten sie keinerlei Beschwerden. Aufgrund der Zeit schließt Knüppel kurzfristige Effekte wie den Griff zu Knabberzeugs bei Frust aus. Weitere Einflüsse, etwa ärztlich diagnostizierte Grunderkrankungen oder soziodemographische Einflussfaktoren, konnte sie mathematisch eliminieren. Im Unterschied dazu gab es bei Frauen kein signifikant erhöhtes Risiko. „Unsere Forschung bestätigt eine nachteilige Wirkung von Zucker aus süßem Essen beziehungsweise aus süßen Getränken auf die langfristige psychische Gesundheit“, schreibt Knüppel. Dies deute darauf hin, dass geringe Mengen mit weniger seelischen Beschwerden assoziiert seien.
Bleibt als Fazit für die Praxis: Wer langfristig große Mengen an Zucker konsumiert, muss mit kardiovaskulären und/oder metabolischen Erkrankungen rechnen. Das steht wissenschaftlich außer Frage. Ob eine Kausalität zu psychosomatischen Leiden besteht, lässt sich über Kohortenstudien nicht klären, ist aber auch nicht relevant. Hinzu kommt, dass viele Patienten mit Prädiabetes oder Diabetes nichts von ihrer Erkrankung wissen. Gerät der Stoffwechsel in Schieflage, sind depressive Symptome wahrscheinlicher. Anika Knüppel lässt sich davon nicht beirren. Sie nennt nicht nur Schwankungen der Blutglucose, sondern auch Effekte auf den BDNF-Spiegel (Brain-derived neurotrophic factor) und auf entzündliche Prozesse. „Beide Wege werden als biologische Erklärung für Depressionen diskutiert“, schreibt die Forscherin.